»Ich hab nichts zum Sagen«

Die Schauspielerin und diskrete Lesbe Therese Giehse wäre am 6. März 100 Jahre alt geworden

In "Mephisto. Roman einer Karriere" (1936) zeichnet Klaus Mann das Zerrbild eines Schauspielers, eine maßlos eitle, machtbesessene, skrupellose, völlig korrupte Kunstmarionette. Damit meinte er, allen Widerrufen zum Trotz, seinen Ex-Schwager und Nazi-Mitläufer Gustaf Gründgens. Gewidmet hat Klaus Mann das Buch jedoch einer Frau, die von all dem das Gegenteil verkörperte: der Schauspielerin Therese Giehse. Sie bewahrte, unter welchen Umständen auch immer, ihre unkorrumpierbare, menschenfreundlich-politische Haltung. Vom Autor gefragt, ob sie die Widmung denn überhaupt annehmen wolle, hatte sie geantwortet: "Ich fühle mich geehrt."

Als Gründgens sie 1949 in der Schweiz aufsuchte, um ihre Hilfe gegen Mann und das "schlimme Buch" zu erbitten, lehnte sie diese mit dem Hinweis auf die Widmung ab - die Gründgens offenbar vergessen hatte. Was ihr einflußreiche Freunde des längst wieder in Amt und Würde agierenden Intendanten nie vergaßen.

Am 6. März würde Therese Giehse 100 Jahre alt werden. Sie kam in München zur Welt, wo sie am 3. März 1975 auch verstarb. Ebenso wie Helene Weigel

verkörperte "die Giehse" das Berufsbild der politisch bewußten, künstlerisch fortschrittlichen Darstellerin, die mit immenser Technik und Intelligenz eine "dialektische" Methode fand, auf der Bühne alles glaubhaft tun zu können - ohne faulen Zauber und Illusionismus. Für beide war Bertolt Brecht eine Schlüsselfigur. Giehse lernte ihn bei der Münchener "Dreigroschenoper" kennen, wo sie 1929 die Celia Peachum gab. 1941 spielte sie am Zürcher Schauspielhaus in der Uraufführung von "Mutter Courage und ihre Kinder" die Titelrolle (Regie: Leopold Lindtberg).

Mit dieser Rolle feierte sie immer wieder Triumphe. 1951 gastierte Therese Giehse bei den Salzburger Festspielen in Kleists "Der zerbrochne Krug", den sie ein Jahr später am Berliner Ensemble selbst inszenierte. In Zürich und in München spielte sie quer durchs Repertoire, von Shakespeare bis Gorki, von Sartre bis Hauptmann, und unter Regisseuren wie Oskar Fritz Schuh, Leopold Lindtberg, Berthold Viertel, Helmut Käutner, Hansgünther Heyme, Rudolf Noelte, Brecht sowieso. Darüber hinaus prägte sie zahlreiche Uraufführungen, von Dürrenmatts "Der Besuch der alten Dame" und "Die Physiker" bis zu Giraudoux' "Die Unsterbliche" und Frischs "Don Juan".

"Auch den außergewöhnlichsten Charakteren, auch den außergewöhnlichsten Handlungen", schrieb Hans Mayer über ihre Interpretationen, eigne "immer ein hohes Maß innerer Logik und Folgerichtigkeit: die 'Vernünftigkeit' bleibt immer wieder bemerkenswert. Man kann sie konstatieren - ohne deshalb im mindesten etwa die Gestalt oder ihr Handeln zu billigen!" Kein Wunder, daß der an Darstellung im

Sinne von Vorzeigen interessierte Brecht sie "die außerordentliche Giehse" nannte. Sie selbst umschrieb ihren politischen Ansatz so: "Erst muß man mit sauberen Füßen auf der Erde stehen, auf der Seite der Gerechtigkeit mit unverschmiertem Gefühl und unegoistischem Sinn für das Reale. Von da

aus soll man starten."

Therese Giehse arbeitete von 1949 bis 1952 am Berliner Ensemble, dann kehrte sie an die Münchener Kammerspiele zurück, wo sie bereits von 1925 bis 1933 zum Ensemble gehört hatte. In dieser Zeit enstand auch die Freundschaft zu Erika und Klaus Mann. Gemeinsam gründeten sie das Kabarett "Die Pfeffermühle". Die erste Vorstellung fand am 1. Januar 1933 in der berühmten "Bonbonnière" statt. Zwei Monate später waren Giehse und die Mann-Familie bereits aus Deutschland geflohen. So lange es noch möglich war, gastierte das Kabarett in ganz Europa. Nach einem kurzen, erfolglosen Ausflug in die USA - die "Peppermill" scheitert kläglich und wird aufgelöst - ging die Giehse an das Zürcher Schauspielhaus, wo sich inzwischen eine stattliche Zahl exilierter Künstler eingefunden hatte.

"Ich hab nichts zum Sagen", lautet der berühmteste Satz der berühmten Dame. Sie weigerte sich, theoretische Ausführungen zur Schauspielkunst wie über ihre eigenen Darstellungen zu geben und hat auch nie unterrichtet; und sie bewahrte höchste Diskretion über ihr Privatleben, gemäß dem alten Motto der "Pfeffermühle": "Immer indirekt". Auch über die Liaison mit Erika Mann in den dreißiger Jahren hielten sich beide bedeckt. Die Mann-Biographin Irmela von der Lühe dazu: "Sie waren sehr verschieden, die mütterlich-korpulente Therese und die schmale, knabenhafte Erika. Sie waren ebenbürtig und ergänzten sich; sie stritten, aber stützten sich auch. Therese Giehse und Erika Mann bildeten ein Paar ohne große Worte."

Trotz des Ruhmes blieb die Giehse zeitlebens risikofreudig und neugierig. Ab 1966 entwarf sie drei Brecht-Programme, mit denen sie auch auf Tournee ging. Und sie suchte selbstverständlich Kontakt zu den jungen Theaterleuten, die um 1968 und im Umkreis der Studentenproteste Einfluß gewannen, wie Martin Speer, Franz Xaver Kroetz, Peter Stein. 1970 spielt sie in dessen Inszenierung von Gorkis "Die Mutter" an der Berliner "Schaubühne am Halleschen Ufer" die Titelfigur. Stein schrieb später zum Tod der Giehse im Spiegel: "Wenn ihr wüßtet, was da gestorben ist", und schloß mit dem Worten: "Hängt euch eines dieser Photos übers Bett, aus denen man den Blick der Giehse auf sich ruhen fühlt, und fragt euch, ob ihr was zu sagen habt."

In einem Gespräch wenige Jahre vor ihrem Tod sagte Therese Giehse über sich selbst: "Eigentlich bin ich stinkfaul. Ich bin sogar ein kolossal fauler Mensch. - Es war nie Fleiß - es war alles Interesse."