Kein Kick für Ethno-Popper

Das Cinema Afrika löst sich von den Klischees des Westens

Nach stundenlanger Fahrt mit dem Kleinbus über Pisten und Schlaglöcherstraßen, mitten im afrikanischen Nirgendwo, steht auf der einzigen Wellblechhütte der Umgebung eine Satellitenantenne, und das gesamte Dorf sieht wie gebannt MTV, "Al Bundy" oder Softpornos. Die mediale Versorgung mag weniger individualisiert sein, aber die Images, die dort, wo man noch immer stundenlang nach Wasser laufen muß und der Stromgenerator krachmäßig mit den Spice Girls oder Slayer konkurriert, sind dieselben wie in New York, Berlin oder Karachi.

Nur, daß die Kids in New York und Berlin eher sich selbst oder zumindest ihnen bekannte Lebensbereiche wiedererkennen, während die Kids in Karachi, Nairobi oder Lagos eine Fortsetzung dessen sehen, was Frantz Fanon Entpersonifizierung nennen würde: Die koloniale Fortschreibung der Geschichte, die konsumorientiert das Leben in den Metropolen des Nordens wie des Westens globalen Universalisierungvorgaben unterwirft. Im Gegensatz zu einem sich radikalisierenden, emanzipierenden Post-MigrantInnenbewußtsein, das - Separationsbestrebungen hin oder her - es sich nicht gefallen lassen will, in der "Lindenstraße" auf Kebab-Verkäufer-Images reduziert zu werden, scheint das Interesse in Afrika an afrikanischen Produktionen immer noch geringer als das an amerikanischen.

Gründe dafür gibt es viele, einer der wichtigsten ist sicherlich, daß sich afrikanisches Kino bislang oft auf Problemfilme konzentrierte - Riten und Märchen, dargestellt in ländlicher Umgebung, woran das vorwiegend urbane Kinopublikum kein besonderes Interesse hatte. Nicht nur, weil hier Teile einer überwundenen Vergangenheit thematisiert wurden, sondern auch, weil es kaum Identifikationsmomente und selten Millieubeschreibungen gab, die den Kontext der ZuschauerInnen aufgegriffen hätten.

Die Widersprüche des afrikanischen Kinos sind auch Resultat spezifischer Kontextverschiebungen; die Filmemacher sind westlich ausgebildet, abhängig von westlichen Geldgebern und deren Distributionspolitik sowie unter Legitimationszwang gegenüber diversen Gruppen. Afrikanische Filme gehorchten deshalb lange Zeit dem Auftrag und der Sehnsucht des Westens nach möglichst "authentischen", "reinen", "unberührten", "unwestlichen", "exotischen" und "mythischen" Geschichten als Abbildung fremder Kulturen durch Mittler, die die eigene Sprache - kulturelle Kodes und tatsächliche Sprache - beherrschen.

Der Legitimationsdruck, dem die Filmemacher ausgesetzt waren, brachte den problembewußten, "fremden" afrikanischen Film hervor, der vielleicht Anthropologen oder Ethno-Poppern den entscheidenden Kick gab, das "Andere" vom "Anderen" erzählt und dargestellt zu bekommen, aber den Leuten in Afrika war dieses Kino reichlich egal. Probleme hatten sie selbst, und dafür an der Kinokasse Geld auszugeben, schien ihnen - ebenso wie ihren westlichen Kinogänger-Counterparts - als bloße Verschwendung.

Bei den jetzt auf dem "Festival Panafricain du Cinéma et de la Télévision de Ougadougou" in Berlin gezeigten Filmen läßt sich eine Veränderung dieser "White is right - that's why I hate white"-Haltung ablesen. Die meisten der hier gezeigten Spielfilme funktionieren als Unterhaltungsfilme, die mit spitzen Verweisen auf genuine oder spezifische Probleme arbeiten und auf ein Publikum in Afrika abzielt, das nicht mehr zwischen den Stühlen sitzt, auf die Kolonialmächte schielt und sich an deren Erziehungs- und Bildungssystem abarbeitet, sondern sich entspannter mit vorgeblichen Traditionen auseinandersetzt und die Entwicklung der eigenen kulturellen Codes mit ziemlich tricky-humorvollen Verweisen vorantreibt.

Ob in "Macadam Tribu", einem Film aus Zaire, der in Mali spielt, in "Mossane" von Safi Faye aus Senegal, in "Kini & Adams" oder in "Tableau Ferraille" - oft geht es um Liebe, öfter noch um Sex und die möglichen Hindernisse. Allerdings wird nicht, wie früher häufiger, aus der alles ordnenden Perspektive der Gesellschaft erzählt, die die betroffenen Personen nur als austauschbare Beispiele vorführt, sondern aus der individuellen Sicht der beteiligten Personen, die mit oder gegen die jeweiligen Ordnungen ihre Entscheidungen treffen.

Obgleich unter den ausgewählten Filmen nur ein Beitrag von einer Regisseurin ist, sind die Frauencharaktere wichtiger geworden ist. "Mossane", die natürlich unglaublich schöne Tochter einer geschäftstüchtigen Mutter und eines phlegmatischen Vaters, hat sich verknallt. Beim gegenseitigen Einseifen unter der Dusche berät sie mit ihrer sexuell ziemlich unbefangenen Freundin, was sie ihrem Lover beizubringen hat, damit sie befriedigt und nicht schwanger wird. Die traditionelle Verheiratungspolitik durchkreuzt vorerst ihre Pläne, da die Mutter ihre Tochter mit einem verheiraten will, der irgendwo in Frankreich sitzt und die Familienschulden bezahlen soll. Wenn vor einigen Jahren noch das Leiden in einer Zwangsehe dargestellt worden wäre, gibt es bei "Mossane" eine andere Auflösung. Mossane stellt sich am Tag ihrer Hochzeit vor die versammelte Festgesellschaft und verkündet, daß nichts und niemand sie dazu zwingen könne, den ungeliebten Mann nur aus finanziellen Gründen zu heiraten.

Diese klassischen Konfliktmotive - Zwangsehen, Polygamie und Prostitution - kehren in fast allen Festivalbeiträgen wieder, werden aber nicht als Problemklötze in den Film gestellt, sondern bieten vielmehr interne Aktionsmöglichkeiten für Situationskomik, Gesellschaftskritik - und Erziehungsanspruch. Konnte man in keinem einzigen der westlichen Berlinale-Beiträge, in denen es häufig genug um Sex ging, die Verwendung von Gummis sehen, wird in fast keinem der afrikanischen Filme auf die Aidsaufklärung verzichtet.

In "Mousso", einem senegalesischen Film, der in Frankreich spielt, ist die Realität vieler afrikanischer Frauen, die entweder einen Europäer heiraten oder einem Landsmann im Ausland vertrauen, gespiegelt. Der nette Lover wird zum Zuhälter, und die Frau sitzt in der Falle. Sie kann nicht zurückkehren, also macht sie mit, bis sie nach einem Streit einen Freier ersticht und in der Psychiatrie landet. In "Tableau Ferraille" entscheidet sich die Frau, die sich für ihr uneheliches Kind und den Lebensunterhalt ihres Vaters prostituieren muß, ihren Freiern keinen Kredit mehr zu gewähren, was einen mittleren Dorfaufstand provoziert, in "Kini & Adam" sind Prostituierte, ähnlich den Salon-Girls im Western, Marketenderinnen, die immer dorthin gehen, wo gerade gebaut, hergestellt oder produziert wird. In "Puk Nini" macht der Dialog zwischen einer Ehefrau und einer Prostituierten, deren Stammfreier der Ehemann ist, klar, daß Prostitution eine der wenigen ökonomischen Problemlösungen alleinstehender Frauen ist, aber auch die bequeme Doppelmoral der Männer unterstützt.

Wirklich kritisiert wird diese Art gesellschaftlicher Rollennormierung allerdings nie, obgleich, im Gegensatz zur Außenseiterinnenmystifizierung, wie sie für Huren im westlichen Film die Regel ist, die unaufgeregte Einbindung der Prostituierten in den Alltag der Community in diesen Filmen angenehm ist. Es geht um Geld und Überlebenssicherung, Punkt.

Neben den, hauptsächlich in Westafrika produzierten Spielfilmen, stellte die Retrospektive auch politische Dokumentationen und Parabeln vor. "Le Damier" von Balufu Bakupa-Kanyinda zeigt einen Dame-spielenden Diktator (Mobutu Sese Seko) und seine surreal-paradoxen Amtshandlungen und Entscheidungsfindungsprozesse. "Le Clandestin", auch aus Zaire, beobachtet die Ankunft eines illegalen afrikanischen Passagiers in einer europäischen Stadt. Nach einem halben Tag der Verwirrung entschließt er sich zur Rückreise. "GOI-GOI" ist ein witziger Splatterfilm aus dem Tschad, in dem nicht nur mit sexueller Doppelmoral, sondern auch mit männlichem Dominanzgehabe abgerechnet wird.

"Flame", "Tumult", "Asientos", "Frantz Fanon: Black Skin White Mask" und "Les Oubliées" sind Filme, die sich explizit mit der politischer Geschichte auseinandersetzen, wenngleich auch in sehr unterschiedlichen Formen."Flame" von Ingrid Sinclair ist ein Spielfilm, der anhand der Geschichte zweier aktiver Kämpferinnen den Unabhängigkeitskrieg Simbabwes nachzeichnet und dabei mit den mystifizierenden Tabus bricht, die der Darstellung von Befreiungsbewegungen eigen sind. Selbst wenn Frauen, entgegen ihren traditionellen Geschlechterrollenzuordnungen aktiv am bewaffneten Kampf teilnehmen, ist dies kein Garant für revolutionäre Gleichbehandlung, schon gar nicht, wenn nach der Transformationsperiode die bewaffnete Guerilla zur regierenden politischen Macht wird und emanzipatives Gedankengut, das während des Krieges zu Mobilisierungszwecken diente, lästig geworden ist.

Die Machtverhältnisse sind klar, während und nach dem Kampf, und so sind weniger die Vergewaltigungen während der Befreiungskriege entsetzlich, sondern vielmehr die absolute Handlungsunfähigkeit und Stagnation, die die Kämpferinnen nach Ende des Krieges erleben. In "Les Oubliées" gibt schon der Titel vor, was die Dokumentation bestätigt. Angolas Befreiungs- und Bürgerkrieg aus der Sicht ganz unterschiedlicher Frauen, die ebenso wie in "Flame", vor allem die weiterhin funktionierenden Dominanzstrukturen angreifen und die revolutionäre Antriebskraft eines Krieges, in dem sich jede politische Macht kurzzeitig im Kriegführen ausprobieren konnte, als Farce kennzeichnen.

Weniger die geschlechtsspezifischen Dominanzverhältnissen innerhalb der antikolonialen oder später revolutionären bewaffneten Bewegungen, mehr die kolonialen Dominanzverhältnisse stehen bei der Dokumentation zu "Frantz Fanon" und "Asientos" im Vordergrund. Beide Filme verwenden den Traum als erzählerisches und filmisches Mittel, was die Verarbeitung der politischen Themen auf eine private Ebene verlagert. Bei "Fanon" ist das noch plausibel, hier wird das filmische Porträt des antikolonialen Intellektuellen, FLN-Unterstützers und Psychiaters Fanon in Interviewpassagen mit zahlreichen African-Diaspora-Intellektuellen wie etwa Stuart Hall eingebettet. Bei "Asientos", einem Film aus Kamerun, der sich mit der Geschichte der Sklaverei beschäftigt, funktioniert dieser Zugriff dagegen nicht mehr, weil die Betrachtung zur beliebigen Spurensuche wird: Während die Kamera die Holzplanken ehemaliger Sklavenschiffe absucht, wird im lyrisch-leisen Off-Ton ein Kommentar gesprochen.

Die "Retrospektive des Festival Panafricain du Cinéma de Ougadougou" bietet die Möglichkeit, sich mit den verschiedenen Genres des vorwiegend westafrikanisch-frankophonen Kinos auseinanderzusetzen. Daß seine Regisseure und Regisseurinnen dabei nicht mehr zwingend das westliche Publikum als Hauptzielgruppe betrachten, ist den Filmen anzumerken. Sie wirken relaxter, und es macht auch das Zuschauen angenehmer, weil der ethno-anthropologische Blick dem kulturell decodierenden und unterhaltenden weichen kann. Die Blickrichtung enthierarchisiert sich, was alles einfach viel spannender macht.