Kritik der geklonten Vernunft

Die Gegner des Gen-Doublens berufen sich auf Immanuel Kant oder betreiben Evolutionsarithmetik

"Eineiige Zwillinge sollen Zufall bleiben", forderte Dieter E. Zimmer in der Zeit und nahm argumentativ Zuflucht bei Charles Darwin: "Es ist das Prinzip der Natur, daß jeder neue Mensch genetisch ein Unikat ist, eine Kombination der elterlichen Gene, die es so noch nie gegeben hat und nie wieder geben wird. (Als) Gattungswesen konnte sich der Mensch nur dank seiner Variabilität zu dem Anpassungsgenie entwickeln, das er geworden ist." Und: "Wenn die Menschen begönnen, sich zu klonen, verstießen sie gegen eins der Prinzipien, denen sie ihre Existenz verdanken. Darum dürfen sie es sich nicht erlauben."

Eine ähnliche Evolutionsarithmetik hatte Ulrich Greiner kurz zuvor angestrengt und von der Titelseite der Zeit deutschen Paaren zugerufen: "Zeugen statt züchten". Klonen, die ungeschlechtliche Verdoppelung der Erbanlagen, verstoße gegen eine zentrale Maßnahme der Natur, deren Wirksamkeit wir im Ergebnis den fabelhaften homo sapiens verdankten. Das zweite Prinzip der Natur, das uns den aufrechten Gang immerhin prinzipiell ermöglicht, die Selektion, bleibt bei Zimmer ungenannt, und das ist natürlich ungerecht gegenüber den Klonierungsfans. Schließlich könnten diese mit Fug und Recht behaupten, das Klonen Erwachsener, das Einpflanzen einer x-beliebigen Körperzelle in eine Eizelle, deren eigene Erbinformation vorher abgesaugt wurde, sei nichts anderes als die längst überfällige Realisierung der Utopie von der unblutigen Selektion.

Die so betriebene Selektion würde die Menschenzüchtung auf eine qualitativ neue Ebene heben, wie sie deutsche Eugeniker schon vor 100 Jahren herbeigesehnt haben, werden doch "mißliche" Zufälle, also behinderte Kinder, durch das Klonen konsequent verhindert. Daß diese Versicherung gegen "Gendefekte" mit einer optischen Uniformität des Menschengeschlechts erkauft wird, ist eine Vorstellung, die der deutschen Intelligenz den Schweiß auf die Stirn treibt, spätestens nachdem der US-amerikanische Genforscher Richard Seed zu Jahresbeginn erklärt hatte, er werde, ein kleines Darlehen vorausgesetzt, demnächst den ersten Menschen klonen.

Mit dem Schaf "Dolly" war der Nachweis erbracht, daß sich höhere Säugetiere aus einer differenzierten Körperzelle klonen lassen, und seitdem geben sich Politiker, Philosophen und Genforscher, die um die Übertragbarkeit der Methode auf den Menschen wissen, alarmiert: Leben im Reagenzglas erzeugen; IQ nach Spendersamenkatalog; Geschlecht nach Wunsch; Embryonen vor ihrer Übertragung in die Gebärmutter auf genetische Abweichungen durchchecken; die Föten reihenweise durch den Gesundheits-TÜV jagen. - Und jetzt Menschen klonen, eine nahezu hundertprozentig identische Genkopie eines Menschen herstellen.

Wie kann unter diesen Vorzeichen der Mensch noch vor sich selbst, vor Forschungsfanatismus und heillosem Machbarkeitswahn geschützt werden? Vor genau 20 Jahren waren zum erstenmal derartige Klagen zu vernehmen, als in Großbritannien Louise Brown, das erste Retortenbaby, zur Welt kam.

Sein medizinischer Vater Robert Edwards kommentierte die wütenden Proteste damals mit dem Hinweis, in der Moderne habe sich die Ethik eben nach der Technik zu richten. Seine unfromme Hoffnung erfüllte sich insofern, als der Gewöhnungsprozeß, der bisher noch immer alles technisch Machbare in die soziale Umlaufbahn katapultierte, die Invitro-Fertilisation legitimieren half.

Damit eine unvorbereitete Menschheit nicht erneut von listigen Fortschrittsadepten vor vollendete Tatsachen gestellt wird, schütten hemdsärmelige Leitartikler jetzt ethische Schutzwälle gegen das Klonen auf. So fordert Dieter E. Zimmer, die Bioethik solle sich "an der Biologie orientieren", um "die Demarkationslinie zwischen Erlaubtem und Unerlaubtem" unüberschreitbar zu machen. Sein Beharren, partout nicht über den Tellerrand einer naturzentrierten Ethik schauen zu wollen, mußte er mit einer Replik von Jürgen Habermas in der darauffolgenden Woche bezahlen. Der ließ sich Zimmers simplifizierende Naturmystik nicht entgehen, um ganz locker zu punkten. "Die Biologie kann uns moralische Überlegungen nicht abnehmen. Und die Bioethik sollte uns nicht auf biologistische Abwege bringen."

Um Seeds Frontalangriff auf das genealogische Selbstverständnis des Bildungsbürgers abzuwehren, mobilisierte Habermas seinerseits eine sozialethische Größe - Kant - und konstatierte: "Soweit ich sehen kann, müßte das Klonen von Menschen jene Symmetriebedingung im Verhältnis erwachsener Personen untereinander verletzen, auf der bisher die Idee der gegenseitigen Achtung gleicher Freiheiten beruht." Durch das Klonen, diesen "intentionalen Eingriff in eine Zone der Unverfügbarkeit", werde die Beziehung zwischen Eltern und Kind bzw. zwischen Genkopiervorlage und Duplikat "an das Verhältnis von Designer und Produkt angeglichen". Damit aber, so Habermas, wird die Voraussetzung der Anerkennung allgemeiner und gleicher Freiheit untergraben.

Habermas' umständliche Konstruktion trägt allerdings nur dann, wenn man einen Gegensatz zwischen der Technik des Klonierens und einen Stand der Reproduktionstechnik, wie er zu Zeiten Kants freilich noch gegeben war, zugrundelegt: Einerseits natürliches Zeugen, privat und zufallsgesteuert - andererseits totales Erbdesign, bildschirmüberwacht und freiheitsberaubend. Doch das Habermassche Eden, in dem eine von technischer Kolonisierung unbefleckte Reproduktion die freie Ausbildung personaler Identität garantiert, ist nicht erst durch die Gentechnik zerstört.

In Gesellschaften, in denen Bildung und Wissen das verläßlichste Kapital sind und die Optimierung der Startchancen für das eigene Kind längst zu einem ungeschriebenen Gesetz für verantwortungsbewußte Eltern avanciert ist, markiert die Klonierung nur den vorläufigen Höhepunkt einer Entwicklung, an deren Anfang die harmlose medizinische Hilfe für Schwangere bzw. für diejenigen, die es um jeden Preis werden wollen, stand und an deren Ende sich der Zwang zum gesunden und leistungsstarken Kind etabliert hat. Der Übergang zum Klonen ist fließend, und eine ethische Debatte, die den neuesten Gag der Fruchtbarkeitsmedizin aus diesem Kontext säuberlich herauslöst, wird zur Fortschreibung der Erfolgsstory menschlicher Allmacht beitragen.

In seiner Entgegnung auf Dieter E. Zimmer hat der Biologe Jobst Meyer wie beiläufig die Konstruktionen der liberalen Klonierungsgegner als philosophischen Aufputz enttarnt, der nicht verdecken kann, daß sie eigentlich nackt sind. "Wir klonen nicht", bemerkt er lakonisch, "weil die Mehrheit dies nicht will. Noch nicht." Aber bald, und dann wird die internationale Bio-Tech-Avantgarde darüber richten, wie kleidsam die leinengebundene Kant-Gesamtausgabe wirklich ist.