25. Trailer for sale or rent

Fortgesetzte Erzählungen

Wir machten Trailer bis in die Nacht. Nächsten Morgen um sieben gondelte ich mit einem Opel Kapitän, der so weich gefedert war, daß man bei jedem Schlagloch den Staub der Straße fegte, in die Lobby eines Frankfurter Nobelhotels, unausgeschlafen, ungewaschen und ungefrühstückt.

Es war das Hotel, in dem zehn Jahre später ein potentieller Nobelpreisträger und sein Freund mit einer Axt rumrannten, weil die Gattin des einen, auch sie eine bekannte Literatin, sich während der laufenden Bonzenparty plötzlich ein Zimmer nahm, das kurz drauf auch ein bekannter Kunstschriftsteller betrat.

Der Boß kam runter, eine Schickse im Schlepptau:

"Hi, Moddy, ist der Trailer fertig?"

Ich nickte und hielt die Türen des Firmenschlittens auf. Mr. Schuster, der aus Milwaukee stammte, stank nach Carven von Magriffe, war bester Laune und fertig zum Ausreiten, aber am Trailer führte kein Weg vorbei. Der Trailer entschied, ob ein Film ein Flop und Mr. Schuster gefeuert wurde.

Die amerikanischen Bosse wurden ständig gefeuert, deshalb kamen sie meistens ohne Familie und wohnten im Hotel. Nie habe ich erfahren, ob es in der amerikanischen Filmwirtschaft jemand gab, der unkündbar war. Ganz oben vielleicht, in den USA oder noch höher.

Ein Trailer ist eine Vorschau. Man nimmt einen Film, schneidet ein paar Stellen raus und pappt die Schnipsel aneinander. Unser Schnipselmann hieß Roger Miller, aber ich weiß nicht, was aus ihm geworden ist. An den Wochenenden trat er mit einer Country-Band in den amerikanischen Clubs auf, und sein Hit ging etwa so:

"Trailer for sale or rent, rooms to let fifty cents."

Das war natürlich eine Anspielung auf unseren Job und die Bezahlung. Mr. Miller war ein lausiger Musiker, aber ein begnadeter Filmemacher. Ich war zwar nur dafür zuständig, Cola und Basketburger und Mr. Schuster zu holen, immer zu wissen, wo ein bestimmter Filmschnipsel hing, am Radio zu drehen und Country-Musik zu suchen, aber es war keine verlorene Zeit.

Sie war nützlicher als eine Vorlesungsreihe über die Ästhetik der zweiten Moderne. Sagen wir bei Sloterdijk. Bei Mr. Miller und Mr. Schuster lernte ich, daß man im Prinzip alles vertrailern kann, und daß ein guter Trailer das Produkt, dessen perfekte Synthese er bildet, gut und gerne ersetzt. Seither weiß ich:

Die aktuelle Kultur ist ein Nebenprodukt eines Werbemittels, das zusammen mit dem Film erfunden wurde. Jeder Fernsehbericht über einen Bürgerkrieg, ein Erdbeben oder eine Überschwemmung ist praktisch der Zusammenschnitt eines Films, der nie in die Kinos kommen wird. Wir sind längst gewohnt, nur noch die Trailer zu konsumieren.

Deshalb stand ich eines nebligen Tages vor einer gutbürgerlichen Wohnungstür, hängte den Stockschirm von rechts nach links, strich den Glencheckanzug glatt, ordnete die Fliege und klingelte. Ich hatte meine Herbst-Depression und wußte: So wie bisher ging es nicht weiter. Mein Vater hatte recht gehabt.

"Wozu mußt du studieren, wenn du kein Geld hast? Du hast einen schönen Beruf, du bist Maler und Anstreicher, werd' Gewerbelehrer, oder geh zur Bahn und werd' Inspektor, jetzt, wo du auch noch das Abitur hast."

Ich studierte im fünften Semester und hatte noch keinen Schein, wegen der ständigen Jobberei, aber jetzt gab es die Studienförderung nach dem Honnefer Modell. Die nötige Prüfung bei Professor Wirfus fand in seinem Wohnzimmer statt. Auf dem Tisch standen Kekse, Tee und eine Sanduhr, die er zu Beginn der Prüfung rumdrehte. In einem Sessel fläzte sich ein Jüngling.

"Mein Assistent", sagte Wirfus.

Ich sagte: "Hallo!"

Der Knabe hatte ein auffallend schöne Freundin, mit der er in der Mensa erörterte, was für Verlobungsgeschenke zu erwarten seien. Tante Hertha hatte ein Rowenta-Bügeleisen angekündigt.

Er quittierte mein "Hallo" mit einem ironisch gemeinten:

"Dr. Kluge mein werter Name."

Wirfus schenkte Tee ein und sagte freundlich:

"Erzählen Sie uns etwas über die culpa in contrahendo und die positive Vertragsverletzung. Was sind das überhaupt für seltsame Rechtsfiguren?"

Ich nippte am Tee und überlegte. Der Rowenta-Mann grinste. Ich hatte bei ihm schon Klausuren vergeigt. Die Vorlesungen, in denen solche Dinge behandelt wurden, fanden vormittags statt. Zu der Zeit saß ich im studentischen Schnelldienst und wartete auf einen Job, zwei Stunden Kohlen rauftragen, vierter Stock, einsfünfzig die Stunde, oder ich war schon dabei, einer grünen Witwe den Rasen zu kehren.

Es gab auch gute Jobs. Ein Semester lang fuhr ich mit dem Fahrrad Präservative aus und lernte auf die Weise sämtliche Klos von Frankfurt am Main kennen, auch die in den Puffs.

Das Frankfurt jener Jahre entwickelte sich wildwüchsig aus einer Trümmerwüste. Im Herbst '55, als ich anfing, konnte man vom Goethedenkmal am Roßmarkt auf den Main blicken, als Wirfus mich durchrasseln ließ, waren die übriggebliebenen Häuser an der Zeil abgerissen und die ersten Kaufhäuser erbaut, und als ich die Stadt verließ, im Frühling '60, weil Truschka mit Big Bill durchbrannte, um für ihn in einer Bretterbude am Rio Negro anzuschaffen, entstand neben der Ruine der alten Oper gerade das erste Hochhaus, das heute kümmerlich aussieht.

"Sie sagten", sagte Wirfus, "daß Sie bisher weniger das juristische Grundwissen interessiert habe als vielmehr das Normensystem als politisch-soziales Regulationsinstrumentarium. Nun gut. Welche Bedeutung hat objektiv die grundgesetzliche Garantie des Privateigentums für die freiheitlich-demokratische Grundordnung?"

Er sah mich aufmunternd an. Dr. Kluge grinste weise. Ich hatte ernst kürzlich, als er einer anderen Uni-Queen in der Suppenmensa erklärte, er beabsichtige nach der zweiten Staatsprüfung entweder Rechtsanwalt zu werden oder Filmregisseur oder beides, ganz beiläufig eingeworfen, daß ich bei einem amerikanischen Filmverleih tätig sei und Kurzfilme mache.

"Die freiheitlich-demokratische Grundordnung", sagte ich und starrte die Sanduhr an. Der Begriff sagte mir nichts, deshalb sagte ich auch nichts, und mir wurde immer heißer. Bestimmt hatte mir Kluge was in den Tee gemacht, als ich dringend aufs Klo mußte, weil ich den Tatbestand des Paragraph 211 StGB nicht auswendig wußte, während er sogar die gängigen Definitionen der einzelnen Tatbestandsmerkmale herbeten konnte.

"Boing", sagte Wirfus munter und stand auf. "Na, dann kommen Sie halt nächstes Jahr wieder." In meinem Kopf keimte der Verdacht, er wollte an der Uni keinen Anstreicher, dessen Vater Anstreicher war.

Aber er fragte richtig menschlich: "Was werden Sie jetzt machen?", als er sah, daß ich einfach sitzen blieb. "Mir einen Job suchen", sagte ich. "Und was haben Sie bisher gemacht, wenn ich fragen darf?" - "Trailer", sagte ich. Wirfus fragte ungläubig: "Trailer? Was ist das?" Kluge betrachtete seine Fingernägel. Er schien mich jetzt regelrecht zu verachten. "Trailer?" schien sein Antlitz zu sagen. "Wer macht denn Trailer?"

Vielleicht war dies der Augenblick, der darüber entschied, daß ich später nie einen Film von Kluge genießen konnte, ohne daran zu denken, daß sein damaliger Chef mir fast die juristische Karriere vermasselt hätte, obwohl ich nie rausgekriegt habe, ob jener eingebildete Klausurenassistent, den ich Mitte der fünfziger Jahre ein paar Mal traf, wirklich Kluge hieß und nicht Klüger oder Krüger, und ob er identisch war mit dem späteren Filmemacher.

Nächsten Morgen kriegte ich jedenfalls erst mal den Job, für zehn Mark am Tag plus Spesen zwecks Einführung einer neuen Filterzigarette täglich 20 Gaststätten zu besuchen, jedem Gast eine Zigarette anzubieten und mit jedem Wirt ein Bier zu trinken, aber das erwähne ich nicht, um zu behaupten, daß früher alles besser war, sondern nur, um diese Geschichte etwas abzurunden, wenn ich schon nicht weiß, ob sie hierhergehört.

Nächste Woche: "War wer Homer?"