Explosion im Kosovo

Albanische Intellektuelle und die "Befreiungsbewegung Kosova" setzen in ihrem Kampf um einen von Serbien unabhängigen Kosovo auf eine Internationalisierung des Konflikts. Milosevic sucht das mit Waffengewalt zu verhindern

Daß ihm die Kontrolle über die militante Separatisten-Bewegung derart schnell abhanden kommen würde, hätte sich Ibrahim Rugova an Silvester wohl nicht träumen lassen. Als der allein von Albanien anerkannte Präsident der im Frühjahr 1991 ausgerufenen "Republik Kosova" seine Landsleute im Satellitenfernsehkanal TV Shquiptar auf das "Jahr der Freiheit und Unabhängigkeit des Kosovo" einschwor, ahnte Rugova nicht, daß dies seine letzte Neujahrsansprache gewesen sein könnte. Was der Ex-Vorsitzende des albanisch-sprachigen kommunistischen Schriftstellerverbandes zum Jahreswechsel als "Schicksalsjahr 1998" angekündigt hatte, dürfte nicht zuletzt Rugovas persönliches Schicksal besiegeln - das bedeutet die Abwahl bei den Präsidentschaftswahlen am 22. März und damit das Eingeständnis, daß die von ihm jahrelang propagierte Option einer gewaltfreien Sezession der südserbischen Provinz von Belgrad gescheitert ist.

Mit den in der vergangenen Woche eskalierten Auseinandersetzungen zwischen serbischer Polizei auf der einen sowie protestierenden Kosovo-Albanern und ihrer Separatisten-Guerilla "Befreiungsarmee Kosova" (UCK) auf der anderen Seite ist die Stimmung in der zu neunzig Prozent albanisch besiedelten Provinz endgültig gekippt: Der von Rugova eingeschlagene, auf Verhandlungen beruhende Weg zur Unabhängigkeit des Kosovo von der serbischen Zentralregierung - "einer Politik im Sinne Gandhis" - findet unter der Mehrheit der knapp zwei Millionen Kosovo-Albaner keine Zustimmung mehr.

Der bislang vom Westen hofierte Rugova forderte in den letzten Tagen zwar unentwegt ein internationales Protektorat für die Krisenprovinz und bezeichnete die Angriffe Belgrads wortgewaltig als "serbisches Programm zur ethnischen Säuberung im Kosovo". Doch nachdem vielen Kosovo-Albanern in den vergangenen Monaten klar geworden ist, daß Europäische Union und USA den bislang pazifistischen Kampf um einen eigenständigen Staat nicht zu honorieren bereit sind, verliert Rugovas Position an Rückhalt - und gewinnt die UCK an Unterstützung. Schneller als vom Westen befürchtet, scheint der seit Jahren schwelende Konflikt nun in einen weiteren Bürgerkrieg auf dem Balkan zu münden - in ein neues Bosnien.

Auslöser für die seit Jahren heftigsten Unruhen in der Provinz war ein Überfall von UCK-Kämpfern auf eine serbische Polizeistreife am letzten Februarwochenende. Nahe dem westlich der Kosovo-Hauptstadt Pristina gelegenen Dorf Likosane kamen bei einem Schußwechsel vier serbische Polizisten und fünf Mitglieder der Untergrundbewegung ums Leben - der Zündfunke für die andauernden militärischen Auseinandersetzungen in der zwischen Pec und Pristina gelegenen Bergregion Drenica. Vom serbischen Innenministerium als "Vergeltungsaktion" bezeichnet, griffen daraufhin im Laufe der vergangenen Woche Spezialeinheiten der serbischen Polizei Dutzende Dörfer und Weiler in der Umgebung der UCK-Hochburg Srbica an. Nach albanischen Angaben sollen auch Truppen der Jugoslawischen Armee an der Offensive beteiligt gewesen sein, bei der die serbische Seite Panzerwagen, Helikopter, Granatwerfer und Raketen einsetzte. Ganze Dörfer gingen in Flammen auf, während Frauen und Kinder aus der Region versuchten, sich in Sicherheit zu bringen - Kolonnen von Traktoren mit Flüchtlingen haben sich nach Augenzeugenberichten sowohl in Richtung Norden als auch zur südlichen Grenze zu Mazedonien in Bewegung gesetzt. Vergangenen Donnerstag beschossen mutmaßliche Mitglieder der UCK in der Provinzhauptstadt Pristina erstmals eine Polizeistation - für Belgrad Anlaß zur weiteren Eskalation der Kämpfe.

Der jugoslawische Präsident Slobodan Milosevic indes hat sich mit seiner Strategie der massiven Eindämmung der "Befreiungsbewegung Kosova" und der Einschüchterung der albanischen Zivilbevölkerung im Kosovo international erneut in die Nesseln gesetzt. Nachdem die USA erst vor Wochenfrist politische und ökonomische Lockerungen des Embargos gegen die Bundesrepublik Jugoslawien zugesagt hatten, zog Washington diese nach den serbischen Polizeieinsätzen in der vergangenen Woche zurück. Robert Gelbard, der US-Sonderbeauftragte für Jugoslawien, warnte Milosevic davor, die Entschlossenheit der USA zu unterschätzen und drohte mit "schwersten Konsequenzen". Milosevic verblieben nunmehr zwei Optionen: Entweder er widersetze sich nicht länger der Demokratisierung Serbiens und Jugoslawiens und einer breiten Selbstverwaltung des Kosovo, oder er verliere seine Macht.

Der britische Außenminister Robin Cook schloß sich als EU-Sprecher der Kritik an Serbien an und forderte Milosevic zur Wiederaufnahme des Dialogs mit den Kosovo-Albanern auf. Rückendeckung erhielt Jugoslawiens Präsident lediglich von Moskau: Wie Milosevic selbst warnte Rußlands Außenminister Jewgeni Primakow den Westen vor einer Einmischung in die innerserbischen Angelegenheiten und machte "albanische Terroristen" für die Unruhen verantwortlich.

Ob die von deutschen Medien als einheitliche Linie der EU, der NATO und den USA gefeierte Verlautbarungsdiplomatie hält, was sie verspricht - keine Ausdehnung des Konflikts auf die jugoslawischen Nachbarstaaten Albanien und Mazedonien; Selbstverwaltung, nicht Unabhängigkeit der Provinz -, bleibt allerdings fraglich. Nicht zuletzt die Reaktionen albanischer, von der gemäßigten Haltung Rugovas enttäuschter Intellektueller in Pristina und Tirana auf die Äußerungen Gelbards machen deutlich, daß die Interessenlage innerhalb der Bosnien-Kontaktgruppe weitaus diffuser ist, als die eiligen Statements belegen.

Worauf die EU weitestgehend verzichtete, eine eindeutige Verurteilung der terroristischen Gewalt der UCK, darauf wiesen die USA ausdrücklich hin - und setzten sich damit der scharfen Kritik der auf eine "Daytonisierung" des Kosovo-Konflikts zielenden Intellektuellen aus: So habe Gelbard Belgrad mit seiner Qualifikation der UCK als terroristischer Organisation erst "grünes Licht" für die Polizeiaktionen gegeben und Milosevic geradezu "zum Dreinschlagen" ermuntert.

Die Differenzen zwischen den westlichen Staaten der Bosnien-Kontaktgruppe (USA, Frankreich, Italien, Großbritannien, BRD) finden sich zwischen den Zeilen: Was den USA die "breite Selbstverwaltung", ist Frankreich und Großbritannien die "Wiederherstellung der (1989 von Milosevic de facto außer Kraft gesetzten) Autonomie" des Kosovo. Auf seiten der Bundesregierung findet sich hingegen die "Änderung des Status quo", was eine Lösung außerhalb der jugoslawischen Grenzen zumindest nicht explizit ausschließt.

Nicht verwundern dürfte deshalb eine Abkehr Bonns von Rugova zugunsten des "albanischen Mandela" Adem Demaci, Rugovas Gegenspieler bei den Wahlen im Kosovo am 22. März. Sollte der Vorsitzende der unter der Parole "Die Unabhängigkeit Kosovos kommt - aber nur aus den Gewehrläufen" antretenden Parlamentarischen Partei als Sieger aus dem Urnengang hervorgehen, erscheint die Bonner Forderung nach Aufwertung des dann "demokratisch legitimierten" Demaci wahrscheinlich - Genschers eigenmächtiges Vorgehen gegenüber Zagreb 1991 könnte dabei als Vorbild dienen.

Die Prognose, der mörderische Kreis des Sezessionismus im ehemaligen Jugoslawien werde sich im Kosovo schließen, erhält durch die jüngsten Ereignisse traurige Plausibilität. Milosevic heizt den Konflikt weiter an, indem er einmal mehr den Mythos vom "heiligen serbischen Boden", dem Amselfeld als "Wiege der serbischen Kultur", wiederbelebt. Darüber hinaus dürfte sein Kalkül, mit der massiven Einschüchterung der Zivilbevölkerung der UCK die Unterstützung zu entziehen, nicht aufgehen: Der von mittelamerikanischen Militärs erfolgreich praktizierte Umkehrschluß aus dem Mao-Wort von der Guerilla als dem Fisch, der das Wasser - respektive die Bevölkerung - zum Überleben brauche, scheint im Kosovo nicht umsetzbar. Die blutige Kampagne dürfte eher zur Stärkung als zur Schwächung der Skipetaren-Guerilla beitragen.