Klasse und Kritik

Die Debatte über die Internationalisierung des Kapitals geht einher mit der Wiederkehr eines reformistischen Politizismus und der theoretischen Wiederbelebung des angeblich grundsätzlichen Widerspruchs zwischen Markt und Staat. Umso beachtlicher ist die Studie von Bernd Röttger, der sich mit Nachdruck gegen die konstruierte Dichotomie von Markt und Staat wendet und bereits im Untertitel seines Buches auf die politische, also vor allem staatliche Konstruktion des Marktes hinweist.

Röttger würdigt und kritisiert sowohl die klassischen Regulationstheorien wie auch die Ansätze zu einer globalen Politischen Ökonomie. Vor diesem theoretischen Hintergrund werden die spezifischen Grundlagen und Verlaufsformen der euro-kapitalistischen Regulation analysiert, als deren Ergebnis er "ein komplexes System von 'Schützengräben' und 'Befestigungsanlagen' neoliberaler Transformation" erblickt, das den "Umbruch von der fordistisch gesellschaftlichen zu neoliberal kapitalistischen Regulation" absichert. Er untersucht den Erfolg des "Modell Deutschland" wie auch dessen mögliche Transformation nach der Wiedervereinigung im Rahmen einer grundlegend neuen transnationalen "Macht- und Hegemonialkonfiguration". Zu bemängeln ist, daß Röttger die postfaschistischen ideologischen Elemente, die zum Erfolg dieses Modells nicht unwesentlich beigetragen haben, kaum berücksichtigt. Bemerkenswert dagegen ist das Abschlußkapitel, das bei den meisten linken Globalisierungskritikern "Perspektiven marxistischer Politik" heißen würde, bei ihm aber den verheißungsvollen Titel "Perspektiven marxistischer Kritik der Politik" trägt.

Röttger, früher Mitherausgeber der inzwischen eingestellten Zeitschrift links, erkennt, was mit den staatsfetischistischen linken Marktkritikern passiert: "Klagende Linksintellektuelle werden in institutionelle Formen der Politik involviert, die bereits in ihrer Struktur neoliberal oder neoliberalistisch geschliffen sind." Zur Reformulierung eines emanzipatorischen Projekts empfiehlt Röttger eine Rückbesinnung auf den Klassenkampf. Diese ebenso eindeutige wie einseitige Orientierung entspringt aus seiner traditionalistischen Interpretation der Marxschen Kritik der politischen Ökonomie. Das zentrale Element der Marxschen Theorie sei die Kritik am "Widerspruch zwischen Lohnarbeit und Kaital und damit der Produktion von Mehrwert". Daß Klassen und Mehrwert bei Marx bereits abgeleitete Kategorien sind und sich vor der Entwicklung dieser Begriffe die gesamte Wertformanalyse befindet, scheint Röttger nicht zu interessieren. Bei ihm ist zwar ständig von der gesellschaftlichen Totalität die Rede, aber anstatt die Wertform als zentrales konstituierende Element dieser Totalität zu benennen, redet er nur von Klassen und der Hegemonie, obwohl sich gerade im Klassenkampf wie auch im Kampf um Hegemonie immer wieder die Wertförmigkeit der Gesellschaft artikuliert.

Röttger ist zuzustimmen, wenn er gegen geschichtsmetaphysische Vorstellungen daran festhält, "daß die emanzipatorischen Lösungsformen nicht aus der Krise der bürgerlichen Gesellschaft selbst erwachsen". Wenn er aber gegen solche Vorstellungen von einem Automatismus postuliert, daß die Emanzipation von "der Rekonstruktion der Terrains des Klassenkampfs" abhängig ist, so ist dem entgegenzuhalten, daß die Möglichkeit zur Befreiung heute vermutlich eher dadurch offen gehalten wird, daß das Terrain der radikalen Kritik, deren Gegenstand gerade auch die ideologische Form des Klassenkampfs zu sein hat, rekonstruiert wird.

Bernd Röttger: Neoliberale Globalisierung und eurokapitalistische Regulation. Westfälisches Dampfboot, Münster 1997, 252 S., DM 39