Doris Pack

»Notfalls militärische Intervention im Kosovo«

"Nur in einer Nuance" unterscheide sich seine Position von der seiner US-amerikanischen Amtskollegin Madeleine Albright, sagte Bundesaußenminister Klaus Kinkel nach dem Treffen der internationalen Kontaktgruppe zur Kosovo-Krise in der vergangenen Woche. Kinkel selbst hüllte sich über die Differenz in Schweigen. Die CDU-Politikerin Doris Pack wird deutlicher. Frau Pack ist seit acht Jahren Abgeordnete des Europäischen Parlaments und dort Vorsitzende der Südosteuropa-Delegation.

Sie haben die Beschlüsse der Kontaktgruppe zur Kosovo-Krise als "äußerst dürftig" kritisiert. Heißt das, die Bundesrepublik solle jetzt einseitig die "Republik Kosova" anerkennen, so wie man 1991 Kroatien anerkannt hat?

Nein. Kroatien war im ehemaligen Jugoslawien eine Teilrepublik, der Kosovo aber bis 1989 nur eine autonome Provinz. Das machte zwar de facto keinen Unterschied, wohl aber de jure.

Aber die Sprecher der Kosovo-Albaner plädieren unisono für eine Sezession.

Mein Wunschmodell wäre, daß sich ein neues Jugoslawien bestehend aus drei Teilrepubliken bildet: Serbien, Montenegro - die schon bisher den Republikstatus haben - und Kosovo. Natürlich muß sich dazu in Belgrad eine Menge politisch ändern. Die Kosovo-Albaner plädieren bisher für die Eigenstaatlichkeit. Ich denke aber, daß man sie für eine solche Lösung gewinnen kann, z. B. hat sich Herr Demaci schon vorsichtig in diese Richtung geäußert. Aber zustimmen werden sie erst, wenn Serbien ein demokratischer Staat geworden ist.

Sie haben gefordert, der Westen dürfe im Kosovo "militärisches Eingreifen nicht ausschließen". Dazu dürfte Milosevic wohl kaum seine Zustimmung geben. Heißt das, man soll notfalls einfach ohne das Plazet aus Belgrad im Kosovo einmarschieren, also zum Beispiel via Albanien?

Wir können nicht bei Milosevic anfragen, ob er mit einem Militäreinsatz einverstanden ist, der sich gegen ihn und seine Schergen richtet. Natürlich wird er da nie zustimmen. Das beste wäre also, wenn überhaupt nötig, über Mazedonien zu intervenieren.

Dann würden Nato-Soldaten direkt auf die Jugoslawische Armee treffen - das wäre ein viel heißerer Krieg als in Bosnien, wo man nur mit Karadzics Truppen konfrontiert war.

Auch in Bosnien hat man es mit der Jugoslawischen Armee zu tun bekommen. Ich erinnere an Vorschläge, die der damalige Nato-Generalsekretär Manfred Wörner 1992 gemacht hat: Zur Sprengung des Belagerungsrings um Sarajevo solle man systematisch alle serbischen Stellungen bombardieren und notfalls den Flughafen von Belgrad angreifen - damit Milosevic spürt, daß er Druck bekommt. Nicht daß ich dies aktuell vorschlagen würde. Aber feststeht, daß die aktuelle Eskalation auf Milosevics langjährigen Terror zurückgeht, und in dieser Situation darf der Westen sein Handeln nicht von dessen Zustimmung abhängig machen.

Sie machen für die Eskalation die serbische Seite verantwortlich. Was aber ist mit dem Terror seitens der Kosovo-Albaner? Anschlägen ihrer Untergrundarmee UCK fielen in den letzten zwei Jahren 50 Menschen zum Opfer, seit Oktober läuft eine regelrechte Anschlagswelle, die sich sogar bis auf mazedonisches Gebiet erstreckt.

Das kann niemand beweisen, Sie nicht und ich nicht. Das Belgrader Regime verfügt über die Möglichkeiten, solche kriminellen Aktionen auch zu provozieren. Und was die UCK angeht: Ich bin nicht sicher, ob es diese Befreiungsarmee überhaupt gibt. Natürlich ist jedwede Gewalt zu verurteilen. Wir dürfen aber nicht vergessen, daß die Kosovo-Albaner seit 1989 friedlich und passiv gegen die serbische Unterdrückung protestiert haben und sich an der serbischen Apartheidpolitik nichts geändert hat. Sollen sie sich etwa abschlachten lassen? Ich verstehe, wenn dann junge Menschen aus Frustration zur Waffe greifen. Ich billige es nicht, aber ich kann es nachempfinden. Ich weiß nicht, wie ich selbst in ihrer Situation handeln würde.

Mit dieser Argumentation müßten Sie sich auch gegen die türkische Regierung wenden und die PKK unterstützen. Was in Kurdistan passiert, ist viel schlimmer als im Kosovo.

Solche Vergleiche bringen erstens nichts, und zweitens kann man UCK und PKK nicht gleichsetzen. Ich möchte mich auch in die Kurdistan-Problematik nicht einmischen, denn davon verstehe ich zu wenig. Aber im Kosovo kenne ich mich aus, ich beschäftige mich seit vielen Jahren mit dem Thema. Und ich weiß, daß es dort auch seit einem Jahr etwa von albanischer Seite kriminelle Aktionen gibt - Verzweiflungstaten, die ich verurteile.

Damit eine Verhandlungslösung greifen kann, müssen sich beide Seiten vom Terror ihrer Leute distanzieren. Aber Herr Bukoshi, der Ministerpräsident der nicht anerkannten Republik Kosova, ist dazu nicht bereit. Wie soll da jemand mit ihm verhandeln?

Das ist mir auch unbegreiflich. Ich erwarte von ihm und den anderen Führern der Kosovo-Albaner, daß sie sich von den Gewalttaten ihrer Seite distanzieren. Sie müssen jedoch unbedingt weiter friedlich auf die Straße gehen, denn nur so kann die Welt wachgerüttelt werden. Ich weiß aus eigener Erfahrung, daß ich seit acht Jahren im Europaparlament zum Thema Kosovo spreche - und hinterher kamen Kollegen zu mir und haben sich beklagt: Muß das Thema denn immer wieder sein. Doch die Medien hatten ja Kosovo auch bisher nicht im Visier.

Wenn die Kosovo-Albaner ihre Autonomie wieder erringen oder als jugoslawische Republik sogar mit Serbien gleichgestellt werden, könnten die Albaner in Mazedonien das auch verlangen. Entsteht so nicht eine Dynamik, die letztlich doch eine Sprengung der bestehenden Balkanstaaten bewirkt?

Das glaube ich nicht. Denn nur der Kosovo war zu jugoslawischer Zeit eine autonome Provinz, die Albaner in Mazedonien hatten keine territoriale Autonomie.

Sie könnten sich aber darauf berufen, daß ihr Anteil an der Bevölkerung Mazedoniens mehr als doppelt so hoch ist wie der Anteil der Kosovo-Albaner an der Bevölkerung Serbiens.

Nun, ihr Anteil in Mazedonien liegt bei ungefähr 28 Prozent. Sicherlich wäre es deswegen besser gewesen, ihnen bei der Gründung Mazedoniens Anfang der neunziger Jahre den Status eines konstitutiven Staatsvolkes zu geben und dafür zu sorgen, daß sie in Verwaltung und Polizei angemessen vertreten sind.

Immerhin haben sie eine kulturelle Autonomie bekommen, im Unterschied zur Lage in Serbien nach 1989. Trotzdem steigt auch in Mazedonien die Unruhe unter den Albanern.

Sie sind mit einigen Ministern an der mazedonischen Regierung beteiligt, und an der Universität Skopje haben sie eine Fakultät zur Lehrerausbildung in albanischer Sprache. Leider ist in der Frage ihrer "illegalen" Universität in Tetovo noch kein Fortschritt erzielt worden. Auch die Mazedonier könnten beim Handling der albanischen Frage noch mehr Fingerspitzengefühl zeigen.

Welche Möglichkeiten hat die deutsche Außenpolitik vor Ort?

Wir haben fähige Botschafter in den Hauptstädten. Im übrigen können wir nicht überall eine führende Rolle übernehmen so wie zum Beispiel in Bosnien.