Dam, dam, dam, daaa

Die Klassikradios haben vom stern ein Programm-Magazin bekommen: amadeo

I.
Wozu gehören die nachfolgenden Stichworte? "Die Form. Die Sinne" - "Der Kuß der Muse" - "Die Stimme der Verführung" - "Kein Genuß ist vorübergehend; denn der Eindruck, den er hinterläßt, ist bleibend." - "Alles, was soviel Lustgewinn bereitet, ist normalerweise ungesetzlich." - Sie werden es mit allen sechs Sinnen erleben. Alle anderen nur mit einem." - "body and soul" - "Musik erleben", "unmittelbar und authentisch", "mit allen Sinnen entdecken." - "Getanzte Verführung".

II.

In der gesellschaftlichen Bewertung sogenannter klassischer Musik hat sich schon seit längerer Zeit, signifikant aber in den letzten Jahren, ein Wandel vollzogen. Bei diesem Wandel korrespondiert ein verändertes Hör- und Hörerverhalten mit einer neuen kulturindustriellen Marketingstrategie. Beginnen wir mit dem ersten Punkt. Der alte Klassik-Hörer - Adorno nannte ihn in der "Einleitung in die Musiksoziologie" den "Bildungshörer" oder den "Bildungskonsumenten" - war der Schatten des längst ausgestorbenen Bildungsbürgers des 19. Jahrhunderts.

Sein Verhältnis zur klassischen Musik beschrieb Adorno folgendermaßen: "Musik respektiert er als Kulturgut, vielfach als etwas, was man um der eigenen sozialen Geltung willen kennen muß; diese Attitüde reicht vom Gefühl ernsthafter Verpflichtung bis zum vulgären Snobismus." Seine Beziehung zur "Klassik" war also eine ganz und gar äußerliche, funktionelle: sie wird als Statussymbol getragen, als Distinktionsmerkmal eingesetzt. Allerdings behielt "klassische Musik" solcher Verdinglichung und Entsubstantiierung zum Trotz einen gewissen Nimbus - und zwar sowohl im Bewußtsein derer, die sie konsumieren als auch im allgemeinen Bewußtsein. Sie wurde stets noch als Kanon ewiger Werte, als Gediegenheit, Ernsthaftigkeit Verbürgendes gehandelt, als eine Sache, die jenseits des Alltagslebens sich ereignet.

"Klassische Musik" galt als Heiligtum, die Orte, an denen sie gespielt wird - Konzertsäle, Opernhäuser - galten als sakrale Bezirke der bürgerlichen Gesellschaft. Dementsprechend war die "Klassik" entweder Gegenstand der Ehrfurcht oder zog das Ressentiment auf sich: "Klassik" zu hören galt als abgehoben, antiquiert, verstaubt, spleenig und wer im falschen Kontext erzählte, er höre aus Interesse an klassischer Musik den Kultursender und nicht die Dudelwelle mit Staudurchsage, konnte schon mitleidige Blicke und Kopfschütteln ernten.

Der Klassik-Boom, wie er seit Jahren anhält - symptomatisch dafür ist die Einrichtung des "Klassik-Radios" ("Musik für gewisse Stunden") - indiziert gegenüber dem alten Zustand keine grundsätzliche qualitative Veränderung. Sein Kennzeichen ist, daß mit der Veräußerlichung und Funktionalisierung der "Klassik" nun richtig Ernst gemacht wird, dergestalt, daß die längst schon scheinhafte Differenz von Kunst und Alltagsleben vollends nivelliert wird. "Klassik" zu hören ist jetzt wieder "in" und "chic", und die Gründe, die dafür angeführt werden, haben mit Snobismus und auf Hochkultur abonniertem Gehabe nichts mehr zu tun.

"Klassik" wird mittlerweile auf ganzer Linie als Körper- und Seelen-Therapeutikum gehandelt: sie halte das Gehirn fit, versetze einen in angenehme Stimmungen und fördere die Ausgeglichenheit und Zufriedenheit (und spornt dadurch wieder zu größerer Arbeitsleistung an), so heißt es allenthalben. "Klassische Musik" soll den "ganzen" Menschen ansprechen und ihm helfen, seine "Ganzheit" wiederzufinden. Derart wird im neuen Klassik-Boom der Konsum zum Kult: Man hört nicht mehr Musik, nein, man erlebt sie "mit allen Sinnen", man hat "sinnlichen" Genuß. Je abgestumpfter die Sinne, desto mehr Aufhebens um die "Sinnlichkeit".

III.

Auflösung von Punkt I: Eine Werbeanzeige für das Peugeot 406 Coupé - Überschrift eines Kurzportraits der israelischen Klarinettistin Sharon Kams; das dazugehörige Foto zeigt die Künstlerin, wie sie ihr Instrument küßt, Bildinschrift: "Eine erotische Beziehung: Sharon Kam und ihre Klarinette" - Überschrift eines Artikels über die Sängerin Cecilia Bartoli - Ein Goethe-Zitat aus einer Werbeanzeige für "merci"-Schokolade - Eine Werbeanzeige für Porsche - Aus einer Werbeanzeige für den Saab 93 Cabrio - Aus einer Werbeanzeige für "Calida"-Dessous - Werbeanzeige für die Elektronik-Firma Canton - Überschrift eines Artikels über den Tango.

IV.

"Sinnlichkeit" ist eines der kartoffelblödesten und deswegen treffendsten Stichworte der Zirkulationssphäre und der Reklame im allgemeinen sowie des Klassik-Booms im besonderen. Beide Momente fusionieren in der neuen vom stern herausgegebenen Klassik-Zeitschrift amadeo, der die Zitate entnommen sind, aufs allergemeinste. Schwer sinnlich hebt schon das Vorwort des "stern"-Chefredakteurs Werner Funk an: amadeo sei ein "Magazin, das Lust machen will auf ein Riesenthema, so vielfältig und farbig wie die Menschen, die Musik entstehen lassen oder genießen (Ö) AMADEO bedient sich bewußt der journalistischen Mittel, die den STERN groß gemacht haben und ihn auszeichnen: spannende und informative Reportagen, große, vitale Optik und sinnliche Fotografie." Und so sinnelt, schwallt und schwappt es weiter, 162 Seiten lang auf dickem Hochglanzpapier.

Einige Kostproben: "Cecilia Bartoli (eine italienische Sopranistin; C.N.) scheint auf die Welt gekommen, um Sinnbild zu sein für die Verführungskraft des Gesangs, der menschlichen Gefühlen Glanz verleiht. Der Klang ihrer dunklen und doch leuchtenden Stimme ist ein Echo der mythischen Sirenen, die den Odysseus vom Wege leiten wollen; die Verlockung der fremden, betörenden Frau, die den jungen Mann auffordert: 'Komm mit, wir genießen bis zum Morgen die Liebe.' (Sprüche 7,18) Es ist eine Stimme, die das Reich der Sinne erschließt."

Und ein anderer Beitrag, der im Inhaltsverzeichnis mit der anzüglichen Bemerkung "Über Viviane Hagner und ihre Partnerin" angekündigt wird, hebt mit folgenden Schmocknotizen an: "Sie ist schön, sehr schön. Eine zierliche Erscheinung mit barocker Figur und schlanker Taille. Sie hat einen wunderbaren, schlanken Hals, ihre braune Haut zeigt einen jugendlichen Schimmer." Die Rede ist von einer Stradivari-Violine aus der Instrumentensammlung der Berliner HdK, die die junge Geigerin Viviane Hagner derzeit zur Verfügung gestellt bekommt, eine Künstlerin, die, unterstellt man, sie wird korrekt wiedergegeben, den Redakteur an sprachlicher Kakophonie noch übertrifft: "'Sie ist ein Lebewesen', sagt Viviane über ihre Violine. 'Ich spüre es. Sie lebt, wenn ich sie spiele. Sie ist wetterfühlig. (...) Sie mag es eher feucht.'"

Lassen wir's dabei bewenden. Die Sinnlichkeitsideologie ist das Seidenpapier, mit dem die altbekannten Fetische des Musikbetriebs und der Musikpublizistik neu umwickelt werden, aber so unangefochten wie eh und je sich behaupten: da wird der übliche Rummel um Starinterpreten, Starsängerinnen und besonders kostbare Instrumente veranstaltet und wo tatsächlich einmal über Musik geredet wird - explizit auf vier Seiten von 162, in einer Rubrik "Das Werk" -, dann über die bekannten Schlager (in der erwähnten Rubrik ist, wie könnt' es anders sein, der "Bolero" Gegenstand). Neue Musik kommt in amadeo nur in einem Artikel vor, wo wiederum ein Starinterpret, Gidon Kremer, als Vermittlungsinstanz herangezogen werden muß, um der Zielgruppe auch mal Luigi Nono zumuten zu können.

Und wer ist diese Zielgruppe? Die Verlagsleitung meint dazu: "... Menschen mit gehobenem Lebensstil, kulturell ambitioniert mit großen Ansprüchen und mit Affinität zur klassischen Musik ..." Im Klartext: jene Lifestyle-Parvenüs, die, mit Zigarre hinter den Kiemen, den neuesten "sinnlichen" Duft aufgelegt, mit der Fähigkeit, ein paar Weinsorten fehlerfrei auszusprechen, einem mit ihrer forcierten Agilität auf die Nerven fallen, aber auch mal zu "klassischer Musik" die "Seele baumeln lassen", wie sie es in kompletter Seinsverfinsterung nennen. In amadeo haben sie nun ein Magazin, das ihnen auf den Leib geschneidert ist.