Schöner als Mutter Teresa

Davis Miller schrieb ein Buch über sich selbst und damit über Muhammad Ali

Vor zwanzig Jahren sah Muhammad Ali im Fernsehen einen Bericht über ein von der Schließung bedrohtes jüdisches Altersheim in New York, in dem überwiegend Überlebende des Holocaust lebten.

Der Ex-Boxer griff sofort zum Telefonhörer. "This is Muhammad Ali", sagte er, "und ich möchte den alten Menschen 100 000 Dollar spenden, damit sie bleiben können." Die Leiterin des Heimes glaubte an einen schlechten Scherz und legte auf. Ali rief noch mal an, sagte: "It's me - I'm the champ" und wurde wieder abgehängt. Erst im dritten Versuch konnte Ali die Frau überzeugen, daß er wirklich der war, als der er sich ausgab, und daß sie sein Geld annehmen solle.

Die Geschichte gelangte erst vor wenigen Tagen an die Öffentlichkeit, anläßlich der Verleihung eines Preises, den Ali von der jüdischen Givat Haviva-Stiftung für seinen Kampf um Menschenrechte und Frieden erhielt, wurde sie von der New York Times berichtet.

Ali selbst war nicht so erfreut, daß seine zwanzig Jahre alte Spende bekannt wurde. "Sie versprach mir", sagte er über die Heimleiterin, "daß sie mit niemandem darüber redet. Ich brauche kein Lob für gute Taten, nur eines von Gott."

Über Ali, seine boxerische Karriere, seinen Übertritt zum Islam, seine Mitgliedschaft in der Nation of Islam, die von dem erklärten Antisemiten Louis Farrakhan angeführt wird, über seine Vietnamkriegs-Opposition, seine Bedeutung für den Kampf um Menschenrechte usw. sind schon mehr als 200 Bücher geschrieben worden, aber die von der New York Times gerade zutage geförderte Episode zeigt, daß das Phänomen Ali wohl immer noch nicht genügend beschrieben ist. Noch weniger gilt dies für die kulturelle Bedeutung, die Ali hatte und immer noch hat.

Im Berliner Sportverlag ist nun "Eine wahre Geschichte" über Ali erschienen: "Das Geheimnis des Muhammad Ali" von Davis Miller. In ihr wird auf faszinierende Weise beschrieben, wie der Boxer Ali für einen weißen, jüdischen Mittelklassejungen zum Vorbild wurde.

Der 1952 geborene Miller beschreibt, wie er, ein schmächtiger Junge voller Komplexe, sich mit seiner Ali-Verehrung zunächst in seiner Umgebung eher lächerlich machte. Er erzählt, wie er an seinem Ziel, an das große Idol Ali heranzukommen, festhielt, welche, mitunter peinlichen, Anstrengungen er unternahm, damit Ali sich mit ihm anfreundete. Und er erzählt, wie ihm das gelang.

Nur entlang dieser manchmal peinlich, manchmal süß und in keinem Fall unsympathisch wirkenden Bemühungen kann er über seine journalistische Karriere schreiben. Einmal war er aus einem Job geflogen, und wie als Kind, wenn er Rückschläge erlitten hatte, vertraute er sich Ali an und fragte, ob er eine Story über ihn schreiben könne. Ali sagte zu, die Karriere konnte weitergehen.

Miller hat im Grunde seine Autobiographie vorgelegt, die ohne seine tiefe Verehrung für Ali undenkbar wäre. Und damit hat er gezeigt, welche große kulturelle Bedeutung der Boxer Muhammad Ali bis heute hat.

Diesem Aspekt, der doch einer der wichtigsten ist, konnte sich wohl bislang noch keiner der Ali-Biographen so gut nähern wie jetzt Miller, der mehr ein Buch über sich als eines über Ali geschrieben hat. Miller ist übrigens fest davon überzeugt, daß Ali auch dann weltberühmt geworden wäre, wenn er kein Boxer gewesen wäre - aber Ali ist wohl einer, dessen sozialer Aufstieg nur durch das Boxen ermöglicht wurde.

Aber Alis charmantes Charisma, das ihm so wunderbare Fans wie Davis Miller eingebracht hat, wirkt sogar trotz seiner Krankheit, von der immer zu lesen ist, daß sie daher kommt, daß er zu lange geboxt habe (seine Ärzte bestreiten das, aber ganz besonders dumme Menschen behaupten sogar, es läge daran, daß er überhaupt geboxt habe) - Ali leidet schon seit einigen Jahren an der Parkinsonschen Krankheit. Sie macht ihn oft müde, er hat seine Feinmotorik nicht mehr unter Kontrolle und spricht nur noch leise und langsam. Aber die Art, wie er jetzt spricht, macht immer noch Eindruck. Nach der New Yorker Veranstaltung, bei der er geehrt wurde, ging ein Besucher auf ihn zu und sagte: "Ihre Stimme hört sich an wie die von Mutter Teresa." Ali erwiderte: "Ja, aber ich bin schöner."

Davis Miller: Das Geheimnis des Muhammad Ali. Eine wahre Geschichte. Sportverlag, Berlin 1998, 284 Seiten, DM 39,80