Probleme mit dem neuen Recht

Nach über zwei Jahren ist der Prozeß gegen Bernauer Polizisten wegen der Mißhandlung von vietnamesischen Asylbewerbern zu Ende gegangen

21 Fälle von schweren Mißhandlungen an vietnamesischen AsylbewerberInnen waren ihnen vorgeworfen worden. Systematisch sollen die Beamten der Bernauer Polizeiwache die Händler und Händlerinnen unversteuerter Zigaretten vor dem örtlichen Einkaufszentrum festgenommen und in den Dienstzimmern der Hauptwache gequält haben. Andere Kollegen sollen die Angriffe beobachtet haben, ohne einzugreifen.

Vergangenen Montag nun ging der sogenannte Bernauer Polizistenprozeß nach über hundert Verhandlungstagen vor dem Landgericht Frankfurt/Oder zu Ende. Das Urteil in dem zu den längsten und größten Prozessen der brandenburgischen Rechtsgeschichte zählenden Verfahren: Zwei Jahre Haft für den Hauptangeklagten sowie zwölf und zehn Monate für zwei weitere Polizisten. Den drei Männern, deren Strafe das Gericht zur Bewährung aussetzte, wurde mehrfache Körperverletzung im Amt in den Jahren 1993 und 1994 zur Last gelegt. Zu 90 Tagessätzen von je 60 Mark verurteilte der Vorsitzende Richter einen vierten Beamten wegen unterlassener Hilfeleistung. Die Verfahren gegen vier weitere Beschuldigte waren bereits im Sommer 1997 eingestellt worden.

Als der Prozeß gegen acht Beamte aus der sogenannten D-Schicht im Januar 1996 begann, war das Medieninteresse noch groß. Eine gründliche Aufklärung wurde gefordert. Vergangenen Montag hingegen ließen sich nur noch wenige im Prozeßsaal des Frankfurter Landgerichtes blicken. Dabei kann kaum von einem Einzelfall gesprochen werden: Nachdem die Ostberliner Beratungsstelle "Reistrommel" 14 Gedächtnisprotokolle von festgenommenen Vietnamesen und Vietnamesinnen an die Öffentlichkeit brachte, kamen damals nicht nur die Ermittlungen gegen die Bernauer Polizisten ins Rollen. Systematische Quälereien von vietnamesischen Zigarettenhändlern und -händlerinnen gehörten demnach nicht nur in Bernau, sondern auch in manchen Berliner Polizeiwachen zum Alltag. Doch während der Prozeß in Frankfurt/Oder immerhin den Anschein erwecken konnte, daß derartige Vorfälle nicht ungeahndet bleiben, wurden in Berlin die Ermittlungsverfahren gegen die beteiligten Polizeibeamten entweder direkt von der Staatsanwaltschaft eingestellt, oder die Beamten wurden später von den Gerichten freigesprochen. Auch ein eigens von Amnesty International erstellter Bericht über rassistische Mißhandlungen konnte nichts daran ändern, daß sich insbesondere die Berliner Polizeiführung schützend vor ihre Beamten stellte und jegliche Vorwürfe pauschal als Unterstellungen zurückwies.

Auch in Frankfurt/Oder war die Wahrheitsfindung oft eine mühsame Angelegenheit. Nach Ansicht des Nebenklagevertreters Dieter Hummel lag dies zum einen an der inkonsequenten Prozeßführung des Landgerichts. Zum anderen hätten die von der Deutschen Polizeigewerkschaft bezahlten Verteidiger der acht Angeklagten ihr Möglichstes getan, um die vietnamesischen Opfer zu diskreditieren und ihre Mandanten als rechtschaffende Hüter des staatlichen Gewaltmonopols darzustellen. So erklärte Rechtsanwalt Frank Sommer, der den Hauptangeklagten Joachim Grunz verteidigte und die Mißhandlungen durch seinen Mandanten nicht bestritten hatte, ein gewisses Maß an Gewaltanwendung gegen Straftäter sei staatlicherseits durchaus erwünscht. Sein Mandant müsse in der Öffentlichkeit als Blitzableiter für den Gesetzgeber herhalten, der die Asylgesetze erlassen habe. Sommer unterstellte den vietnamesischen Zeugen und Zeuginnen, sie hätten ihre Aussagen vorher abgesprochen und seien ohnehin allesamt Mitglieder der "Zigarettenmafia". Konsequenterweise plädierte Sommer dann auch auf Freispruch für seinen Mandanten.

Auch auf staatlicher Seite war man offenbar bemüht, die Aufklärung der Mißhandlungen zu behindern. So wurde einer der vietnamesischen Zeugen schon vor Prozeßbeginn nach Vietnam abgeschoben, obwohl die Frankfurter Staatsanwaltschaft und das Gerichts zugesichert hatten, daß eine Abschiebung der Zeugen und Zeuginnen bis zum Prozeßende nicht erfolgen werde. Einem weiteren Zeugen wurde die Wiedereinreise in die Bundesrepublik trotz einer gerichtlichen Vorladung nach Frankfurt/Oder verweigert. Die zuständigen Stellen unterstellten, der Zeuge habe sich damit erneut ein Aufenthaltsrecht in der Bundesrepublik verschaffen wollen. Die Gefahr, daß er - einmal in Deutschland angekommen - abtauchen würde, sei zu groß.

Trotz aller Bemühungen, den Prozeß zu verschleppen und die Zeugen als unglaubwürdig darzustellen, blieben die meisten Zeugenaussagen unwiderlegt. Insbesondere Joachim Grunz, der von den vietnamesischen Opfern als der "Glattrasierte" bezeichnet worden war, wurde dabei schwer belastet: "Bei der Polizei mußten wir uns nackt ausziehen. Dann wurde wir alle einzeln geschlagen. (...) Später wurden wir alle einzeln in einen Raum gebracht, wo wir uns an eine Wand stellen mußten, mit dem Gesicht zur Wand. Die Beamten, die vorbeigingen, durften uns schlagen, was sie auch immer wieder taten. (...) Wir mußten die Mundwinkel auseinanderziehen und die Augen, damit wir wie Chinesen aussehen sollten", berichtete eines der Opfer vor Gericht. Mehrere Zeugen und Zeuginnen schilderten außerdem, daß sie nach den Schlägen nackt fotografiert worden seien.

Aussagen von Ärzten und Bernauer Bürgern, die die Festnahmen beobachtet hatten, ergänzten das von den Opfern gezeichnete Bild. Nur die Kollegen der Angeklagten schwiegen eisern. "In der Bernauer Polizeiwache herrschte strikter Korpsgeist. Eine Aussage gegen die angeklagten Kollegen war in diesem Klima nicht zu erwarten", schilderte ein Prozeßbeoachter seine Eindrücke von den Aussagen der Vorgesetzten der acht Angeklagten. Man habe entweder ohnehin nichts gehört und nichts gesehen, oder sich in Lobreden über den Diensteifer der Angeklagten verstiegen, die unter hohem Streß und hoher Arbeitsbelastung gelitten hätten. Einige der Polizeibeamten zogen unter dem Druck ihrer Kollegen belastende Aussagen, die sie gegenüber ermittelnden Beamten des Landeskriminalamtes im Sommer 1994 noch gemacht hatten, vor Gericht wieder zurück.

Diese "falsche Kameraderie" kritisierte auch der Vorsitzende Richter Joachim Dönitz. Und zeigte Verständnis: Daß die Polizisten teilweise Falschaussagen gemacht hätten, sei auf ein Führungsproblem der Polizei zurückzuführen. Für das weit unter den von der Staatsanwaltschaft geforderten vier Jahren Haft ausgefallene Urteil gegen den Polizeihauptmeister Joachim Grunz fand Dönitz ein eigenwilliges Argument: Die Taten seien kurz nach der Wende vorgefallen. Damals habe man bei der Polizei noch Probleme im Umgang mit dem neuen Recht gehabt. Strafmildernd sei zudem einzubeziehen, daß alle Angeklagten "in einem Staat aufgewachsen sind, der in diktatorischer Weise für Recht und Ordnung sorgte und sich hierzu einer Polizei bedienten, die in ihrem Tun unantastbar war".

Für Grunz und seine beiden ebenfalls zu Haftstrafen verurteilten Kollegen dürfte die Polizeikarriere nun beendet sein. Bereits im Sommer 1994 waren sie vom Dienst suspendiert worden. Bei Prozeßende saßen nur noch die Hälfte der ursprünglich acht Angeklagten auf der Anklagebank. Gegen vier Polizeibeamte, denen entweder keine Tatbeteiligung oder nur "minderschwere Vergehen" wie "Strafvereitelung im Amt" vorgeworfen worden waren, hatte das Landgericht die Verfahren schon im Sommer letzten Jahres eingestellt. Für Nebenklagevertreter Dieter Hummel hat die lange Prozeßdauer und die frühzeitige Einstellung eines Teils der Verfahren verhindert, daß der Prozeß irgendeine Signal- und Abschreckungswirkung auf weitere potentielle Mißhandler in Uniform haben wird.