Wolfgang Purtscheller

»Faschismus wird geschnupft«

Zwischen 1993 und 1996 verschickte die Bajuwarische Befreiungsarmee (BBA) 25 Briefbomben an Nicht-Österreicher und "Ausländerfreunde" und legte drei Rohrbomben. Dabei wurden vier Menschen getötet, elf weitere teilweise schwer verletzt. Wolfgang Purtscheller, österreichischer Journalist und Buchautor, recherchiert und berichtet seit Beginn der ersten Bombenserie über Ursachen und Urheber des rassistischen Terrors. Seit 1995 lebt Purtscheller in Mexiko-City und Bressanone. Nach Österreich, wo Jörg Haiders FPÖ ihn in einer beispiellosen Hetzkampagne der Mittäterschaft an den Bombenanschlägen bezichtigt, kommt er nur noch selten.

Mitte Mai hat eine Sonderkommission des Innenministeriums einen Untersuchungsbericht zu den Brief- und Rohrbomben-Serien zwischen 1993 und 1996 vorgelegt. Ergebnis: Franz Fuchs war's, und zwar ganz alleine. Weil der nicht geständig ist, wird der Bericht von psychiatrischen Gutachten flankiert, die in Fuchs einen "geistig abnormen Rechtsbrecher" sehen. Ist nun in Österreich alles wieder gut?

Das ist nur die Fortsetzung der Einzeltäter-Kampagne des Innenministeriums mit anderen Mitteln. Bei Fuchs muß man zwischen dem kriminalistischen und dem politischen Aspekt unterscheiden: Kriminalistisch gibt es unzählige Hinweise darauf, daß Fuchs die Anschläge unmöglich allein durchgeführt haben kann. Das wissen auch Polizei und Justiz, aber daran läßt sich drehen. Politisch soll das ganze braune Umfeld von jeder Schuld freigesprochen werden. Die Inhalte, die die BBA in ihren Bekennerbriefen vertreten hat, sind formuliert im klassischen austrofaschistischen Vokabular der Grenzlandschützer und Jugoslawienhasser. Es ist die immergleiche Hetze gegen Slowenen, die hat dort Tradition.

Also hat Fuchs recht, der behauptet, lediglich ein Teil der BBA gewesen zu sein, die sich Ende 1996 aufgelöst habe?

Die BBA-Auflösung soll - so seine Aussage - nach dem Regierungswechsel 1996 über die Bühne gegangen sein. Und zwar, weil ihre Forderungen damals erfüllt worden seien. Wenn das stimmt, heißt das, daß die Regierung in ihrer Repressions- und Ausländerpolitik der BBA, also einer terroristischen Nazi-Gruppe, das Wasser abgegraben hat, indem sie einen Teil von deren Inhalten übernahm. Sie hat die BBA benutzt, um den Polizeistaat auszubauen.

Es ist möglich, daß die BBA sich aufgelöst hat, aber nicht sehr wahrscheinlich. Falls es aber die BBA oder vergleichbare Strukturen noch gibt, werden die sicher warten, bis der Prozeß läuft. Das wäre die beste Gelegenheit, die Republik vorzuführen: Der Einzeltäter soll ans Kreuz genagelt werden, und dann kracht es.

Ganz Österreich scheint von der BBA und von Franz Fuchs eher fasziniert denn angewidert zu sein.

Franz Fuchs erhält im Schnitt hundert Briefe in der Woche, 50 davon enthalten Zustimmung oder Heiratsanträge.

Auch die BBA wird als Faszinosum angesehen. Aber das Problem ist doch nicht, ob die aus einem, drei oder sieben Leuten bestanden hat, sondern daß es in einem Land wie Österreich Hunderte gibt, die sich überlegen, ob sie die ganze Sache nicht weiterführen. Eine zweite Generation könnte kommen, die, wie es im SS-Jargon heißt, "das Schwert wieder aufnimmt". Die BBA war ja erfolgreich, sie hat ihre Inhalte zum Teil durchsetzen können: Rassismus, Nationalismus, Polizeistaat, Repression.

Und damit den Freiheitlichen Konkurrenz gemacht ...

Auch Haiders FPÖ formuliert in diesen Bereichen Vorschläge, die von der Regierung dann beim Asylrecht, beim Lauschangriff oder bei der Rasterfahndung umgesetzt werden. Es ist das gleiche Muster wie bei der BBA.

Die Haider-Kritik der traditionellen österreichischen Linken lautet ungefähr so: Das Problem bestehe nicht darin, daß Haider ein Faschist sei, sondern darin, daß er keiner sei. Das ganze Gerede über den vermeintlichen Faschismus der Freiheitlichen lenke nur von deren Funktion beim neoliberalen Rollback ab.

Das halte ich für eine Kapitulationserklärung. Haider ist natürlich dann kein Faschist, wenn man versucht, ihn in eine Faschismus-Definition zu pressen, die in den dreißiger Jahren hängengeblieben ist. Die Debatte darum, was Faschismus heute bedeutet, oder wie er sich heute äußert, müßte ja erstmal geführt werden. Solange dies nicht geschieht, bleibt die Aussage, Haider sei kein Faschist, eine Kapitulation.

Welche Bedeutung hat Haiders FPÖ zur Zeit? Ihr einziger ernstzunehmender Gegner scheint die Partei selbst, oder zumindest ein Teil von ihr, zu sein.

Nach den jüngsten Skandalen wird nun der Yuppie-Flügel, dem es fast nur um Posten und Geld geht, zurückgedrängt. Auch die Krise in der niederösterreichischen FPÖ ist so bewältigt worden. Der Vater des verurteilten Neonazis Schimanek, der sich nie von seinem Sohn distanziert hat, ist neuer Landesvorsitzender geworden. Parteisekretärin wurde die Ehefrau von Horst-Jakob Rosenkranz, der Fakten, eine der wichtigsten neonazistischen Zeitungen in Österreich, herausgibt. Überspitzt könnte man sagen, daß das Umfeld der rechtsterroristischen VAPO nun die Kontrolle über die niederösterreichische FPÖ übernommen hat.

Dies ist aber auch die Stunde der Burschenschafter, die, seit die Neonazi-Szene um Funktionäre wie Küssel, Schimanek und Honsik zerschlagen worden ist, im Aufschwung sind. Sie sind das wesentliche Kaderpersonal der FPÖ. Haider ist Burschenschafter, alle wichtigen FPÖ-Funktionäre sind Burschenschafter. Und die schöpfen nicht nur aus einem reichhaltigen Nachwuchsreservoir, sondern sie können dem Nachwuchs zur Zeit einfach gute Aufstiegschancen bieten.

Burschenschafter spielen - weil viele Jura studieren oder studiert haben und über die richtigen Verbindungen verfügen - in Justiz und Verwaltung eine große Rolle. Somit ist auch die FPÖ in breiten Schichten der österreichischen Justiz gut vertreten. Das gleiche gilt für viele Positionen in der Verwaltung und der parlamentarischen Politik. Aber das reicht der F noch nicht.

Am 1. Mai ist eine sogenannte Freie Gewerkschaft gegründet worden, die, wie betont wurde, im Gegensatz zu etablierten Gewerkschaften unabhängig sei. Dahinter verbirgt sich aber nichts anderes als eine F-Gewerkschaft, die Mitgliedsnummer eins hat Jörg Haider. Zudem ist das ganze blau-braune Parteimanagement in der Führungsriege dieser Gewerkschaft vertreten. Der Vorsitzende ist Polizist, die Führungsriege wird ergänzt durch weitere pensionierte Polizisten und Angehörige der Justiz. Sprecher der FPÖ haben erklärt, das Ziel sei, eine rechte Polizei- und Justizgewerkschaft aufzubauen, um endlich auch Tarifpolitik machen zu können. Um das zu erreichen, brauchen sie mehr als ein Drittel der Stimmen bei den jeweiligen Personalvertretungswahlen. Was bei der Polizei nicht schwierig sein dürfte: Von 32 000 Polizisten in Österreich wählen 11 000 FPÖ.

Dazu paßt ein kleiner austrophober Witz. Ein Schweizer fragt einen Österreicher: "Was ist braun, steht auf der Wiese und hat vier Beine?" Der Österreicher weiß es nicht. Darauf der Schweizer: "Das bist du und deine Schwester." Wie braun ist Österreich?

Sehr. Österreich hat sich immer als Opfer des Nationalsozialismus gesehen, obwohl das Land den höchsten Organisierungsgrad an NSDAP-Mitgliedern aufwies. Diese Leute, aber auch die vielen Nazis, die nicht in der Partei waren, sind nach 1945 von den Großparteien quasi aufgesogen worden, selbst die KPÖ hat sich eine Nazi-Auffangorganisation geleistet. Die Strategie, Faschismus verhindern zu wollen, indem man ihn verinnerlicht, ihn schnupft, wie man in Österreich sagt, hat in dieser Zeit ihren Ursprung.

Zur Zeit ist es so, daß es in breiten Regionen Österreichs eine rechte Hegemonie gibt, das trifft auf die Südsteiermark zu, wo Franz Fuchs gelebt hat, und das gilt für das gesamte Alpenvorland. Dort haben sich auch die Kontinuitäten in Justiz, Polizei und Teilen der Verwaltungen besonders gehalten.

Der Witz geht weiter: Der Österreicher stellt einem Italiener die gleiche Frage. Der antwortet: "Das ist eine Kuh." Darauf der Österreicher: "Nein, das bin ich und meine Schwester." Wie haben Sie es überhaupt in Österreich so lange ausgehalten?

Das ist wirklich ein Witz. Soll ich als exponierter Antifaschist zur Polizei gehen, wo jeder zweite rechtsradikal ist? Soll ich zur Justiz gehen, wo es das gleiche Problem gibt? Sich auf den Staat verlassen, der nach Proporz einmal die Rechten, einmal die Linken schlägt? Dazu kommt dann noch diese ganze dumpfe rassistische Stimmung und eine Linke, die mit ihren ideologischen Rückzugsgefechten genug zu tun hat. Und die in ihrer politischen Entwicklung Jahre hinter der Rechten zurückgeblieben ist.

Wenn man Ihr neues Buch "Delikt: Antifaschismus" liest, stellt sich die Frage, wie Sie eigentlich Antifaschismus buchstabieren: P-u-r-t-s-c-h-e-l-l-e-r?

Nein. Bis 1994 ist die Antifa-Bewegung in Österreich stark angewachsen. Ihr größter Erfolg war 1994 eine Demonstration gegen den Burschenschafter-Kommers in Innsbruck. Danach hat gezielt die Anti-Antifa-Arbeit eingesetzt. Als einer der Exponenten der Antifa war ich deren Hauptziel. Die rechtsextreme Szene kommt zudem immer wieder an Informationen aus dem Polizeiapparat. Allein im letzten Jahr sind zweimal beamtete Haider-Anhänger aufgeflogen, weil sie aus dem Polizeicomputer Daten gestohlen und an rechtsextreme Organisationen und deren Publikationsorgane weitergegeben haben. Oder an Parlamentarier der F, die im Schutz ihrer parlamentarischen Immunität mit diesen Daten Politik machen und ihre Kampagnen gegen Antifaschisten damit unterfüttern wollen. Das betrifft nicht nur mich, sondern vor allem das Dokumentationsarchiv des Österreichischen Widerstands und autonome Antifa-Gruppen in der Provinz.