Daß man sich spiegeln kann...

Zwei Buchautoren wollen Meister Propper als Weltfußball-Chef.

Fünf Tage vor dem Eröffnungsspiel der Fußballweltmeisterschaft am kommenden Montag, wählt der Welltfußballverband (Fifa) einen neuen Präsidenten. Zur Wahl gestellt haben sich der Schwede Lennart Johansson, Präsident des Europäischen Verbandes Uefa, und der Schweizer Joseph Blatter, bisher Generalsekretär der Fifa. Eine Konstellation, die Geschichte als Farce wiederholt: Zieht man die Wissenschaft von Politik und Ökonomie zu Rate, denn steht Blatter für die bisher innerhalb des Weltverbandes praktizierten Prinzipien des Absolutismus und der Leibeigenschaft, Johansson hingegen für parlamentarische Demokratie und Konkurrenzkapitalismus. Der Wahlkampf war scharf, die Kandidaten bezichtigten sich gegenseitig der Erpressung und der Lüge, der Ausgang des Wahl-Konvents scheint offen.

Zwei deutsche Sportjournalisten, Thomas Kistner von der Süddeutschen Zeitung und Jens Weinreich von der Berliner Zeitung, hoffen inständig auf den Sieg des Konkurrenzkapitalismus. In ihrem soeben erschienenen Buch "Das Milliardenspiel. Fußball, Geld und Medien" belegen sie stichhaltig, daß der Weltverband seit mehr als 20 Jahren von einer "Riege machtgieriger, korrupter und diktatorisch regierender Funktionäre" mißbraucht wird. "Denen geht es längst nicht mehr um Sport, sondern um persönliches Ansehen, um Einfluß und Geld - wofür mehr und mehr Leichen in den Keller wandern mußten." Ob letztere ihre Wanderung dort für ein Picknick unterbrachen, bleibt offen, statt dessen erfährt der Leser eine Menge über den Werdegang von Joseph Blatter, der die Fifa seit 1981 als Generalsekretär, im Verein mit Jo‹o Havelange, dem Präsidenten, führt. Beide sind zwielichtige Gestalten.

Havelange, beheimatet in Brasilien, hatte immer einen kurzen Draht zur dortigen Militarjunta und wies sich 1974 anläßlich seiner erfolgreichen Bewerbung um das Amt des Fifa-Präsidenten als Direktor je eines Gymnasiums, einer Busgesellschaft, eines Elektronikunternehmens, eines Metallbetriebes sowie zweier Versicherungsgesellschaften aus. Ein Jahr zuvor war er Teilhaber einer Chemikalienfirma geworden, die den bolivianischen Militärdiktator Hugo Banzer mit Munition und Granaten belieferte. Das Geschäft rief die brasilianische Steuerfahndung auf den Plan.

1974 kam heraus, daß Havelange als Vorsitzender den brasilianischen Sportverband in den finanziellen Ruin geführt hatte, doch als im Rahmen einer von der Regierung angeordneten Untersuchung die Verhaftung des Sportführers erwogen wurde, war dieser just zum Präsidenten der Fifa gewählt worden. Auf Initiative des brasilianischen Geheimdienstes wurden die Defizite mit Einnahmen aus der staatlichen Sportlotterie verrechnet. Die Fifa-Präsidentschaftswahlen von 1974 gewann Havelange knapp gegen den Briten Sir Stenley Rous: Wahrend seiner - in dieser Form bis dahin in der Sportpolitik unbekannten - prunkvollenWahltournee durch 86 Länder nahm Havelange Partei für die gerade dekolonialisierten Dritte-Welt-Staaten und setzte sich für den Boykott des südafrikanischen Apartheidregimes ein. Menschenrechts-Kalkül: Proteste gegen die Austragung der Weltmeisterschaft von 1978 in der argentinischen Militerdiktatur konterte Havelange plötzlich mit dem Hinweis, Sport habe mit Politik nichts zu tun; einen von Putsch-General Videla verliehenen Orden nahm er dankend an.

1995 besuchte Havelange Nigerias Militardiktator Sani Abacha und versprach diesem - ohne Rücksprache mit der zuständigen Fifa-Exekutive - die Ausrichtung der nächsten Junioren-Weltmeisterschaft. Zum Dank für diese Hilfe erhielt Havelange einen Staatsorden, am nächsten Tag ordnete Abacha die Hinrichtung des Dichters Ken Sero Wiwa und acht weiterer Bürgerrechtler an, die gegen die Enteignungspolitik des Mineralölkonzerns Shell in Nigeria opponiert hatten. Nach dieser Aktion wandten sich die bis dahin weitgehend präsidententreuen afrikanischen Verbände von Havelange ab Ende 1996 erklärte der damals Achtzigjährige den Verzicht auf eine erneute Kandidatur, brachte dafür aber seinen Generalsekretär Blatter ins Spiel.

Blatters Karriere als Fußballverwalter hatte im Umfeld von Horst Dassler, Miteigentümer des Sportartikelunternehmens Adidas mit Stammsitz in Herzogenaurach, begonnen. Dassler, der in den siebziger Jahren vom elsässischen Landerheim aus den Aufbau von Adidas-France betrieb, hatte vor allen anderen die enormen finanziellen Potentiale des Sportbetriebes erkannt. Über die "sportpolitische Arbeitsgruppe", einen Firmengeheimdienst, der u.a. systematisch Dossiers über Sportfunktionäre anlegte, installierte Dassler ein diskret funktionierendes und auf Korruption beruhendes Bruderschaftssystem zur Kontrolle der personal- und sachpolitischen Entscheidungen im Weltsport. Eine vom britischen Sportministerium angestellte Untersuchung kam in den achtziger Jahren zu dem Ergebnis, daß "die multinatinale Adidas-Gruppe mit den kommerziellen und organisatorischen Angelegenheiten des Weltsports einzigartig verquickt ist".

Vor allem Dasslers Einfluß verdankte Antonio Samaranch, ehemals Minister im Kabinett des spanischen Faschisten General Franco und (damals) ein enger Freund Havelanges, daß er 1980 zum Präsidenten des Internationalen Olympischen Komitees gewählt wurde. Havelange selbst konnte durch Dasslers Hilfe mehrmals drohende Finanzskandale abwenden: Letzterer bewegte den Coca-Cola-Konzern, die WM 1978 in Argentinien mit acht Millionen Dollar zu sponsern, vier Jahre später, beim Turnier in Spanien, schossen Cola und andere Sponsoren bereits über 30 Millionen Schweizer Franken zu - der Beginn einer neuen Ära der Sportvermarktung.

Blatter war dabei. Seit 1975 arbeitete er für den Fußballweltverband, sein Schreibtisch allerdings stand zu Beginn noch in der elsässischen Adidas-Zentrale, die ihn auch bezahlte. Nachdem der rechtschaffene, aber etwas altbackene Fifa-Generalsekretär Helmut Käser nach einer von Dassler / Havelange / Blatter initiierten Mobbing-Kampagne resignierte, ernannte Havelange Blatter zum Fifa-Generalsekretär - ohne Rücksprache mit dem zuständigen Exekutivkomitee. In der Folge führte das Duo - immer in engstem Kontakt mit Dassler - den Verband nach Gutsherrenart. Dies betraf neben der um Satzungsfragen nicht bekümmerten Personalpolitik vor allem den schnell expandierenden Bereich der Vermarktungs- und Fernsehrechte. Die wurden nämlich, regelmäßig unter Vermeidung offener Ausschreibungen, der 1982 von Dassler gegründeten Agentur ISL zugeschanzt, nicht unbedingt zum Vorteil des Verbandes: Vor der WM 1966 in Mexiko zahlte die ISL der Fifa 45 Millionen Schweizer Franken für die Vermarktungsrechte, in der Folge erlöste die Agentur 200 Millionen Franken an Sponsorengeldern.

Dassler starb 1987 an Augenkrebs, das Kartell funktionierte weiter: Unter dubiosen Umständen verkauften Blatter / Havelange im Juli 1996 die TV- Rechte an den WM-Turnieren der Jahre 2002 und 2006 für 3,4 Milliarden Mark an Leo Kirch und die ISL. Im September 1997, als das Fifa-Exekutivkomitee in Kairo über die Vergabe der milliardenschweren Marketingrechte für 2002/ 2006 beraten sollte, erhielten die Teilnehmer die betreffenden Unterlagen erst in der Nacht vor der Sitzung. Den Zuschlag bekam später, wie von Blatter gewünscht, die ISL.

Zur Galionsfigur des Widerstandes gegen die Vetternwirtschaft Havelanges / Blatters wurde Lennart Johansson, der seit Mitte der neunziger Jahre Entscheidungstransparenz, ordentliche Ausschreibungsverfahren bei der Rechtevergabe und Satzungstreue in personal- und sachpolitischen Festlegungen fordert. Johansson wird von 50 europäischen Verbänden unterstützt, im Februar 1998 kündigten die afrikanischen Verbande an, für den Schweden zu stimmen. Der Chef des Deutschen Fußballbundes, Egidius Braun, ist für Johansson, weil der die deutsche Bewerbung für die WM 2006 unterstützt.

Die Buchautoren Kistner und Weinreich tendieren zu Johansson, weil ihnen die "anrollende Kommerzmaschine" Angst macht. Es müsse verhindert werden, "daß sich der festen Spielregeln verpflichtete Spitzensport zwischen Showspektakel und Spaßkultur auflöst und das totale Sensationsszenario eintritt: Gladiatorenkämpfe wie in der Antike".

Wie ausgerechnet Johansson solch kulturpessimistischen Anwandlungen genügen soll, bleibt ein Rätsel: Zu seinen Verdiensten - das erkennen auch die Autoren an - zählt die Etablierung des finanziell erfolgreichsten Sportunternehmens der jüngeren Vergangenheit, die europäische Fußball-Champions-League, die in sechs Jahren 1,5 Milliarden Mark eingespielt hat. Zu Johanssons Wahlhelfern gehören neuerdings der ehemalige Franco-Faschist Samaranch und der Adidas-Chef Hubert-Louis Dreyfuß.

Daß auch Johanssons angekündigte Fußball-Hilfsprogramme für Afrika dem Wahlkampfkalkül entspringen, belegen die Eindrücke, die er von einem afrikanischen Fußballkongreß mitbrachte und einer schwedischen Tageszeitung schilderte: "Der ganze Raum war voller Schwarzer. Es wurde verdammt dunkel, als sie da alle zusammen saßen, und außerden kann das verdammt ungemütlich werden, wenn die in Rage geraten." Auch mit Johansson würde weitergehen, was Kistner / Weinreich geradezu verzweifeln läßt: "Die Macht der Moneten hat obsiegt." Dieser Horror entsteht immer, wenn sich der Glaube an den Kapitalismus mit deutscher Romantik zur Idee des sauberen Geschäfts verbindet.

Thomas Kistner/Jens Weinreich: Das Milliardenspiel. Fußball, Geld und Medien. Fischer, Frankfurt/M. 1998, 288 S., DM 19,90