Christian Specht

»Ich mach’, was sich andere nicht traun«

"Christian Specht kann man das Protestieren nicht verbieten!" (Christian Specht) Hat man miterlebt, wie der Aktivist auf Demos und Veranstaltungen in Berlin interveniert, versteht man, daß ihn so mancher zum Teufel wünscht. Vor Christian Specht ist niemand sicher - weder Joseph Fischer noch die Streetfighter, keine Zeitungsredaktion in Berlin und schon gar nicht die Polizei. Wegen einer von ihm angemeldeten Demonstration auf dem Schönefelder Flughafen am 28. März ist gegen ihn jetzt ein Ermittlungsverfahren wegen Verstoßes gegen das Versammlungsgesetz eingeleitet worden.

Christian, die Polizei in Berlin will Dir wieder mal ans Leder - was ist passiert?

Das war nicht die Berliner Polizei, die kennt mich ja, sondern die Brandenburger Polizei. Die Berliner Polizei kennt mich schon jahrelang, und ich hab' bei denen auch schon Verfahren gehabt. Das letzte ist eingestellt worden. Die Brandenburger kennen mich noch nicht so sehr. Die wollen mir ein Verfahren anhängen, weil ich eine Demo nicht aufgelöst hätte. Dabei hatte die sich schon alleine aufgelöst.

Was für eine Demo?

Im März auf dem Flughafen Schönefeld. Ich hab' da eine Demo angemeldet. Da ging es um eine Abschiebung von einem Ausländer, der schon mal abgeschoben werden sollte, aber da hat sich die Fluggesellschaft geweigert, ihn mitzunehmen. Und das war diesmal auch so. Die haben ihn nicht mitgenommen.

Warum machst Du eigentlich bei solchen Aktionen mit?

Weil ich will, daß es mehr Gerechtigkeit gibt. Und die Ausländer, die nach Deutschland kommen, kriegen davon sehr wenig mit.

Glaubst Du, daß Du anders bist als andere Menschen? Du bist überall dabei und redest immer mit ...

Ich glaube nicht, ich bin eigentlich genauso wie andere Leute. Aber ich mach' was, was sich andere Leute nicht traun.

Was zum Beispiel?

Da war vor kurzem eine Demo in Zehlendorf, da ging's um ein Jugendzentrum. Irgendwann zum Schluß, als die letzte Musikband aufhören sollte, kam auch die Polizei, und da sind ein paar Jugendliche ausgerastet und haben einem Polizisten die Mütze runtergeschlagen. Ich bin dann hin und hab' erstmal die Mütze aufgehoben und hab' sie dem Polizisten zurückgegeben.

Du magst keine Gewalt ...

Ich bin dagegen, Steine zu schmeißen. O.k., ich krieg' auch manchmal Frust. Aber sowas find' ich nicht toll. Auf Menschen, auf Polizisten Steine zu schmeißen. Wenn ein Polizist Kinder hat und Familie, und der kommt nicht mehr nach Hause, das ist schlimm. Das akzeptiere ich nicht. Das muß friedlich sein. Aber deswegen akzeptieren mich manche auf den Demonstrationen auch nicht und sagen: Du arbeitest für den Verfassungsschutz.

Und?

Das ist Quatsch. Bei der 1. Mai-Demo haben Polizisten Leute von einem Baugerüst geschmissen. Da bin ich hin zu dem Einsatzleiter und hab' gesagt, er soll sich doch mal um seine Kollegen kümmern, die verletzen die Leute. Nee, hat er gesagt, ich kann da auch nicht viel machen. Dann hab' ich gesagt: Du kannst dahin gehen und Deinen Kollegen sagen, haltet Euch mal bitte zurück. Hat er aber nicht gemacht.

Christian, Du könntest auch anders leben: Zum Beispiel bei Deiner Oma oder in einer Wohngemeinschaft für Behinderte - Du tust das aber nicht?

Will ich auch nicht. Da werden die unter Druck gesetzt. In so einer Behinderten-WG hast Du keine Freiheit mehr. Da haben nur die Betreuer was zu sagen. Das habe ich miterlebt, ich war mal in so 'ner Wohngemeinschaft drei Tage zur Probe, und da hab' ich gesehen, wie das da abging. Wenn du Leute einladen wolltest, mußtest Du die Betreuer um Erlaubnis fragen.

Du möchtest also lieber selber entscheiden können?

Ich will meine Freiheit haben. Ich will selber entscheiden.

Auch, wenn das eine falsche Entscheidung sein sollte ...

Es gibt immer wieder Leute, die mir sagen: O.k., das ist richtig, was Du machst, oder: Das ist nicht toll, was Du da abziehst.

Scheiße gebaut zu haben, gehört also zu Deiner Freiheit dazu ...?

Ja, das gehört für mich immer dazu.

Hast Du manchmal das Gefühl, daß Du auch von anderen benutzt wirst, daß Leute Dir sagen, vielleicht, weil sie sich selber nicht trauen: Christian, mach mal dies, oder sag mal das ...

Ja, aber das merke ich auch und mach' das dann nicht.

Ist Politik so interessant, daß Du Dich immer wieder einmischen mußt?

Mir hat schon mal einer vorgeworfen, ich wäre Berufspolitiker und warum ich nicht ins Parlament reinging ...

... was ja keine schlechte Vorstellung wäre ...

Ich finde das wichtig, auch in der Politik dabeizusein. Viele sagen: Wir kümmern uns um Euch und tun das dann doch nicht. Wenn ich im Parlament wäre, würde ich vieles vielleicht anders machen.

Wie die Grünen oder die PDS-Leute, die in den Parlamenten sitzen?

Von den Grünen und der PDS kriegt man Rückendeckung, die können einem helfen.

Die machen es also Deiner Meinung nach richtig?

Auch nicht alle. Ich hab' mal zu einem gesagt, Du willst doch nur Deinen Sessel behalten. Der ist dann aber zurückgetreten, und jetzt macht es eine Frau. Die hat sich aber sehr verändert, seit sie auf dem Platz sitzt, ganz komisch.

Du meinst, so eine Funktion verändert die Menschen?

Ja, und deswegen hätte ich auch gar kein Interesse an so 'nem Amt.

Wie ist das eigentlich mit den Linken? In einem Film über Dich sagst Du: "Ich hab' tierisch Angst, daß die Linke auch wegschaut, wenn Behinderte eingewiesen werden in die Klapse, wenn das Amt sagt, der ist doch bescheuert, der gehört in die Klapse, der hat auf der Straße nichts zu suchen."

Ja, es gibt ganz viele Linke, die mit Behinderten nichts zu tun haben wollen.

Wie stellst Du das fest?

Die sagen, wenn ich was sage: Christian, halt doch die Klappe, davon verstehst Du nichts!

Du bist ja auch nicht ganz einfach, und vielleicht nervst Du manchmal ...

Ja, das kann schon sein. Aber Behinderte müssen auch mitmachen, und die Linken müssen das akzeptieren. Bei denen müßte auch mal eine Diskussion über Linke und Behinderte losgehen. Vielleicht mit einem Kongreß. Ich hab' das mal vorgeschlagen, aber dann haben die Leute gesagt, nee, das ist zuviel Arbeit.

Welche Leute?

Na, Linke.

Thomas Winkelkotte und Imma Harms haben 1995/96 einen Film über Christian Specht gemacht, "Oh Mitternacht, oh Sonnenschein! Begegnung mit Christian Specht". Kopien können bei bei autofocus videowerkstatt e.v. , Lausitzer Str. 10, 10999 Berlin entliehen werden.