Die WAA Sellafield gerät unter Druck

Radioaktive Tauben

Die Stimmung in der britischen Atomindustrie ist ähnlich schlecht wie in der deutschen. Nun wächst der Druck auf das letzte Glied in der Kette des nuklearen Zyklus: die sogenannte Wiederaufbereitung des Atommülls, sozusagen der Scheiße des Atomkapitals. Vergangene Woche hat sich Greenpeace mal wieder zu Wort gemeldet: Das Meer vor der britischen WAA Sellafield müsse "zum atomaren Sperrgebiet erklärt werden"; Abwässer aus der WAA hätten das Meer stark radioaktiv verseucht, und an den Endstellen der Pipelines, durch die radioaktive Abwässer ins Meer eingeleitet werden, seien "Plutoniumkonzentrationen in einer Höhe aufgetreten, wie sie auch 1993 in den Gewässern um russische Atombombentestgebiete gemessen worden sind". Sprecher der WAA-Betreiberfirma BNFL sagten, die Werte seien seit langem bekannt, sagten aber nichts über das tatsächliche Ausmaß der Gefährdung für Menschen aus. In 40 Jahren "Wiederaufbereitung" sind laut Greenpeace allein 500 bis 1 000 Kilogramm Plutonium im Meer gelandet - nach dem Motto Londons bei der "Müllbeseitigung", das bis Anfang der achtziger Jahre galt: "Verdünnen und verteilen".

Im nächsten Monat soll in Lissabon ein Treffen der Ospar-Kommission stattfinden, die sich um die "Entsorgung" von Müll im Meer durch europäische Länder kümmern soll. Der Guardian Weekly schrieb vergangene Woche, es werde erwartet, daß die Umweltminister aus 15 europäischen Ländern und die Kommission ein Verbot der Einleitungen von radioaktivem Müll ins Meer verlangen werden. Die Einleitung ins Meer zu stoppen sei in Sellafield aber technisch schwierig und extrem teuer.

Zudem ist unklar, was mit dem in Sellafield gelagerten Atommüll passieren soll. Allein aus Deutschland lagerten Ende 1996 oberirdisch 490 Tonnen hochradioaktiven Atommülls in Sellafield; für ein unterirdisches Endlager in Sellafield aber wurde im März 1997 das Aus beschlossen. Mit BNFL haben die deutschen Stromkonzerne bis April 1997 Verträge über die Wiederaufbereitung von mehr als 1 500 Tonnen Atommüll abgeschlossen. Diese Verträge gelten als "Entsorgungsvorsorgenachweis", und der ist für den Betrieb eines AKW zwingend erforderlich. Und die Lagerkapazitäten für abgebrannte Brennstäbe in Deutschland sind begrenzt.

Zwar schreibt das deutsche Atomgesetz vor, daß die Atommüllbeseitigung in Form "schadloser Verwertung" stattzufinden habe. Aber das ist interpretationsfähig. Wem schadet es schon, wenn die Tauben von Sellafield eigentlich als radioaktiver Sondermüll entsorgt werden müßten (BNFL bezeichnete eine entsprechende Untersuchung als "unverantwortliche Panikmache") oder wenn sich in den Zähnen von britischen Teenagern nach einer Studie des British Department of Health Plutoniumspuren nachweisen lassen?

Ersatzweise bietet sich eine kürzlich in Spanien erprobte, etwas unorthodoxe Methode der "Abfallbeseitigung" an. Das Rätsel um die radioaktive Cäsiumwolke, die vor mehr als zwei Wochen über Europa hinwegzog, scheint zumindest ansatzweise gelöst. Das Stahlunternehmen Acerinox meldete dem Spanischen Rat für Nukleare Sicherheit (CSN) vergangene Woche, die Wolke sei einem Werk in Andalusien entwichen - und zwar bereits am 25. Mai und aus einem Hochofen. Anscheinend war zwischen Alteisen und Schrott auch radioaktiver Abfall, der eingeschmolzen wurde. Eine Gefahr für die Bevölkerung, so die CSN, habe zu keiner Zeit bestanden.