Führungskonflikte im Kosovo

Primat der Armee

Ende letze Woche drehte Ibrahim Rugova den Spieß um. Aus Verärgerung über den gewaltfreien Kurs des selbsternannten Kosovo-Präsidenten hatten sich seit Ausbruch der Kämpfe im Kosovo Anfang März seine Anhänger nach und nach von ihm abgewandt.

Nachdem Rugova bis dahin noch unangefochtener Repräsentant der südserbischen Provinzgewesen war, gewannen seine innenpolitischen Gegner nun nicht nur bei der Bevölkerung im Kosovo, sondern auch in Bonn, Washington und London an Boden. Selbst enge Vertraute aus Rugovas Demokratischer Liga des Kosovo (LDK) verließen die Partei und gründeten eine eigene Gruppierung. Gemeinsames Ziel der Rugova-Gegner: die Unabhängigkeit der Provinz von Jugoslawien mit allen Mitteln - einschließlich der bewaffneten der Untergrundarmee UCK.

Vergangenen Donnerstag schließlich reagierte Rugova auf den Machtverlust und versuchte, das Heft wieder in die eigene Hand zu kriegen. War die UCK in Rugovas Worten vor kurzem noch eine "Schöpfung des serbischen Geheimdienstes" oder aber eine Ansammlung "frustrierter Individuen", erkannte der "Kosovo-Gandhi" sie nun als "bewaffneten Arm des politischen und militärischen Bemühens" um Sezession des Kosovo von Jugoslawien an.

Ob der Abschied von seiner jahrelang auf Gewaltlosigkeit ausgerichteten Politik Rugova jetzt noch nützt, wird sich wohl erst in den kommenden Wochen herausstellen. Die Skipetaren-Guerilla hat immer deutlich gemacht, was sie von ihrem selbsternannten Präsidenten hält: "Verräter" ist das meistgebrauchte Schmähwort, und noch Mitte letzter Woche verweigerte UCK-Sprecher Jakup Krasniqi - bis März selbst LDK-Funktionär - Rugova die Anerkennung. Was Rugova nun verlangt - ein Primat seines Parlaments über die bewaffneten Kämpfer -, reklamiert Krasniqi umgekehrt für die UCK. Die zivilen Politiker hätten sich seiner Führung zu unterstellen.

Etwas zurückhaltender als Krasniqi äußerte sich Lum Haxhiu, der UCK-Offizier "für politische Angelegenheiten und Förderung der Moral": Rugova habe bislang nichts getan, was als Verrat bezeichnet werden könne, etwa sich gegen eine Unabhängigkeit des Kosovo auszusprechen. Haxhiu ist innerhalb der UCK-Hierarchie sehr bedeutend, vor allem seit seinem Treffen mit dem US-Chefunterhändler für den Balkan, Richard Holbrooke, im Juni. Der Diplomat versicherte, die USA würden ohne Rugova keine Verhandlungen mit Milosevic über den künftigen Status der Provinz zulassen.

Zwar hat Washington die Existenz der UCK als bedeutendste Kraft im Kosovo inzwischen anerkannt, von ihrer obersten Prämisse US-amerikanischer Politik auf dem Balkan wird die Regierung jedoch nicht abrücken: keine weiteren Sezessionen aus dem jugoslawischen Staatsverband. Den innenpolitischen Klärungsprozeß darüber, wer nun wen repräsentiere, mag Holbrooke Haxhiu überlassen haben, die Entscheidung darüber, daß der Kosovo Teil Jugoslawiens bleibt, nicht.

Selbst wenn ein Waffenstillstand zwischen UCK und den serbisch-jugoslawischen Einheiten erzielt werden sollte, werden die Grabenkämpfe innerhalb der gespaltenen Sezessionisten weitergehen. In einem Gespräch mit der Neuen Zürcher Zeitung drohte Haxhiu bereits, Rugovas Unterschrift unter einem Friedensvertrag, der nicht die vollständige Unabhängigkeit des Kosovo anerkenne, wäre dessen Todesurteil.