Helmut Holter

»Wir bekennen uns zur Marktwirtschaft«

Die "permanente Aushöhlung des Grundgesetzes" mache die Opposition, "also auch uns", zu den "eigentlichen Verfassungspatrioten", schreibt die PDS-Spitze an Richard von Weizsäcker. In dem vergangene Woche veröffentlichten Schreiben heißt es außerdem: "Es ist eine bittere Erkenntnis, daß viele von uns um großer Ideale willen Strukturen der Unterdrückung mitgetragen und Verfolgung Andersdenkender zugelassen haben. Dafür stehen wir in einer andauernden moralischen Verantwortung." Darüber hinaus bekennt sich die PDS in dem Brief zur "Beachtung marktwirtschaftlicher Prinzipien". Lothar Bisky, Gregor Gysi und die ostdeutschen PDS-Landesvorsitzenden antworteten mit ihrem offenen Brief auf einen Artikel des ehemaligen Bundespräsidenten in der Süddeutschen Zeitung. Dort hatte sich von Weizsäcker Mitte Mai gegen die Anti-PDS-Kampagne der CDU gewandt. Gleichzeitig forderte er von der PDS ein, sich unzweideutig vom "Unrecht in der Diktatur der SED" zu distanzieren und einen "erkennbaren Willen zur Einheit" zu zeigen. Helmut Holter ist Landesvorsitzender der PDS Mecklenburg-Vorpommern und hat den Brief mitunterzeichnet.
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In Ihrem Brief an Herrn Weizsäcker wird geradezu demütig die Verfassungstreue der PDS beschworen, obwohl derzeit niemand die PDS verbieten möchte. Ist das nicht vorauseilender Gehorsam?

Wir formulieren in dem Brief sowohl Kritik als auch Zustimmung in Fragen der Einheit. Das ist kein vorauseilender Gehorsam. Der Brief ist einfach eine Antwort auf die Forderungen, die Richard von Weizsäcker im Mai an die PDS gestellt hat.

Was erhoffen Sie sich davon?

Es gibt schon seit längerem eine Diskussion in der Gesellschaft um die PDS. Und hier wird noch mal sehr deutlich dargestellt, welchen Platz die PDS in der Gesellschaft einnehmen will: Sie will auf der einen Seite den bestehenden Verhältnissen sehr kritisch gegenüberstehen und auf der anderen Seite gestaltend in politische Verhältnisse eingreifen.

Muß nicht, wer die Verhältnisse grundsätzlich ändern will, die Grundsätze dieser Gesellschaft in Frage stellen?

Ich denke schon, daß wir in dem Abschnitt zum Markt einige Grundpositionen dieser Gesellschaft in Frage gestellt haben.

Aber gerade an der Stelle findet sich doch auch ein Bekenntnis zur Marktwirtschaft. Sie seien inzwischen überzeugt, "daß die Beachtung marktwirtschaftlicher Prinzipien eine Grundbedingung für wirtschaftliche Effizienz und Innovationsfähigkeit darstellt".

Richtig.

Wie macht man denn damit sozialistische Politik?

Das ist eine Position, die die PDS von Anfang an vertreten hat: ein klares Bekenntnis zu marktwirtschaftlichen Prinzipien, nachdem Planwirtschaft und staatssozialistische Prinzipien sich als untauglich herausgestellt haben. Marktwirtschaft in Verbindung mit Nachhaltigkeit und Demokratie führt zu sozialistischer Politik.

Aber das ist doch nur ein Bekenntnis zu sozialer Marktwirtschaft, also zu sozialdemokratischer Politik.

So würde ich das nicht sehen. Meines Erachtens ist es notwendig, sich klar zu marktwirtschaftlichen Prinzipen zu bekennen. Auf der anderen Seite lehnen wir die jetzige Form der brutalen, radikalen Marktwirtschaft ab und fordern eben sowohl sozial gerechtere als auch nachhaltige Bedingungen ein. Das kommt in dem Brief an von Weizsäcker sehr deutlich zum Ausdruck.

Insgesamt macht der Brief auf Zahmes-Kätzchen-Image. Gehört das zur Wahlkampfstrategie der PDS?

In dem Brief kommt schon sehr deutlich unsere Kritik an dem Vereinigungsprozeß zum Ausdruck und an der herrschenden Politik gegenüber Ostdeutschland. Wir fordern ja eine eigenständige Politik gegenüber Ostdeutschland ein: Wer vereinigen will, der muß auch solche Bedingungen in Ostdeutschland schaffen, daß ein Vereinigungsprozeß, wie er einmal angedacht war, auch vonstatten geht. Denn gegenwärtig haben wir es ja tatsächlich mit einer Diskriminierung und Unterwerfung des Ostens zu tun.

Das ist keine Zahme-Kätzchen-Politik. Wir kritisieren sehr deutlich die gegenwärtigen Verhältnisse und auf der anderen Seite machen wir deutlich, daß wir im Sinne des Grundgesetzes dafür streiten, daß es zu einem sozial gerechten und vereinten Deutschland kommt.

Der Adressat Richard von Weizsäcker ist ja nicht ganz zufällig. Da geht es um Anerkennung. Die PDS will dazugehören.

Mir geht es gar nicht um Anerkennung, die PDS ist im Osten anerkannt. Es geht mir nach wie vor darum, deutlich zu machen, daß die PDS sich als linke sozialistische Partei einen Platz in dieser Gesellschaft erkämpft hat, und darum diesen zu verteidigen. Herr von Weizsäcker hatte sich im Mai an die Öffentlichkeit gewandt und wir haben uns nach einem langen Diskussionsprozeß entschieden, in dieser Form zu antworten. Der Adressat ist natürlich nicht nur Richard von Weizsäcker, der Adressat ist die bundesdeutsche Gesellschaft insgesamt.

Für den Wahlkampf scheint das Ganze aber nicht so effektiv zu sein. Die besten Umfrageergebnisse hatte die PDS, als gerade Hintze, Hauser und Co. auf sie einschlugen. Ausgrenzung hilft der PDS offenbar mehr als Anerkennung. Ist da irgendwas falsch an der PDS-Wahlkampfstrategie?

Nein, in der Wahlkampfstrategie ist gar nichts schief gelaufen. Weizsäcker hat ja gefordert, daß politische Parteien, insbesondere die PDS, sich unabhängig vom Wahlkampf zu solchen politischen Grundfragen äußern. Das haben wir getan. Im Wahlkampf werden wir unsere Kritik an den herrschenden Verhältnissen sehr deutlich machen und damit unsere oppositionelle Haltung unterstreichen.

Geht es auch darum, die Koalitionsfähigkeit der PDS zu demonstrieren?

Würde ich nicht sagen. Aber ich meine schon, daß in dem Brief ein Fortschritt des Diskussionsprozesses innerhalb der PDS zu Grundfragen der PDS zum Ausdruck kommt.

Also wird noch nicht auf Koalitionen im Bund spekuliert?

Nein, das steht überhaupt nicht zur Debatte. Es geht ausschließlich darum, deutlich zu machen, daß die PDS im Osten eine anerkannte Partei ist, und im Westen ein breiteres Spektrum der Bevölkerung für sich gewinnen will.

Je weniger die PDS gehaßt wird, desto mehr verliert sie auch ihr Image als Protestpartei. Das wird wohl eher Wählerstimmen kosten.

Die Gefahr, daß wir das Image als Protestpartei verlieren, ist natürlich gegeben. Deswegen müssen wir im Wahlkampf sehr deutlich machen, daß wir eine sehr kritische und konsequente oppositionelle Partei sind, die in Opposition zu dieser Gesellschaft und zur gegenwärtig herrschenden Politik steht.

Wie sehen Sie denn die Wahlchancen der PDS? Im Moment sind die Umfragewerte ja wieder etwas schlechter. André Brie hat eine Umfrage veröffentlicht, nach der auch die drei Direktmandate nicht sicher sind.

Die PDS darf sich nicht selbstbewußt geben in dieser Frage. Sie muß hart kämpfen, um die fünf Prozent zu erreichen. Ich bin aber optimistisch, daß die PDS mehr als fünf Prozent erreicht. Und ich meine auch, daß wir mit dem Beitrag von Mecklenburg-Vorpommern, wo wir um die beiden Direktmandate in Rostock und Schwerin-Hagenow kämpfen, mindestens drei Wahlkreise direkt gewinnen werden. Ich bin der Überzeugung, die PDS ist im nächsten Bundestag wieder vertreten.

Wie sieht es in Mecklenburg-Vorpommern nach der Wahl aus? Hier steht ja wirklich eine Koalition SPD-PDS an. Bereiten Sie sich schon darauf vor?

Wenn es zu einer Fortsetzung der Politik unter Beteiligung der CDU kommt, dann ist dem Land überhaupt nicht gedient. Es muß zu einer neuen Politik kommen, und die PDS bereitet sich ganz intensiv auf den 27. September und die Zeit danach vor.

Möglicherweise haben Sie dann ja auch eine neonazistische Partei im Landtag sitzen. Werden Sie schon im Wahlkampf darauf eingehen?

Die Gefahr besteht, daß eine neonazistische Partei in den Landtag einzieht. Auf der einen Seite baue ich auf die politische Einsicht und das politische Urteilsvermögen der Bevölkerung in Mecklenburg-Vorpommern, einen solchen Einzug nicht zuzulassen. Sprich: doch die andere Protestpartei, also die PDS, zu wählen.

Auf der anderen Seite werden wir uns im Wahlkampf mit rechten Parolen und mit rechten Parteien auseinandersetzen. Wir werden faschistische, antisemitische und andere rassistische Auffassungen entlarven und deutlich machen, wo die Ursachen liegen. Da geht es in erster Linie darum, Aufklärung zu betreiben.

Wo liegen denn die Ursachen?

Eine Ursache ist die Perspektivlosigkeit insbesondere junger Menschen. Eine zweite Ursache ist die Unzufriedenheit mit der herrschenden Politik. Das ist ja auch in Sachsen-Anhalt mit dem Wahlerfolg der DVU zum Ausdruck gekommen: ein Zeichen setzen, den herrschenden Parteien einen Denkzettel verpassen. Und eine wichtigere Ursache sehe ich darin, daß es durchaus in der Bevölkerung latente Auffassungen in diese Richtung - Rassismus und Faschismus - gibt, die in dieser Unzufriedenheit mit Ausländern zum Ausdruck kommt. Wobei die ja überhaupt nicht die Ursachen für die eigentliche Lage, der schlechten sozialen Lage einzelner oder ganzer Familien, sind. Es werden Sündenböcke gesucht und das muß man einfach deutlich machen.

Was mir fehlt, ob nun in der Schule oder in der Gesellschaft insgesamt, ist eine breite antifaschistische Aufklärungs- und Erziehungskampagne. Wir haben es bei den jungen Leuten in den neuen Bundesländern inzwischen mit einer Generation zu tun, die den gewollten Antifaschismus in DDR nicht mehr miterlebt hat. Dieses Moment der Erziehung zum Antifaschismus kommt mir in der gegenwärtigen Zeit zu kurz. Da muß eine linke Partei wie die PDS ihren Anteil leisten.