"Nie wieder Tagesspiegel"

Hier ist Deutschland!!!!!

Skandale und wüste Polemiken sind seine Sache nicht. Statt dessen gelten die wohltemperierte Kontroverse und der ausgewogene Bericht als ureigenstes Metier des Tagesspiegel. Umso verdutzter dürften die arglosen Lokal-Redakteure der Berliner Tageszeitung gewesen sein, als sie plötzlich ein Sturm der Entrüstung traf. Ein harmloser Türkisch-Kurs, vor einigen Wochen als Glosse im hinteren Teil des Blattes eingerichtet, provozierte die Leserschaft in einem ungeahnten Maße.

"Nie wieder Tagesspiegel. Hier ist Deutschland!!!!!" gehörte noch zu den moderateren Zuschriften, die die Redaktion erhielt. "Bringen Sie doch jeden Tag eine andere Sure aus dem Koran", empfahl ein anderer Leser. Die Türken sollten gefälligst erstmal Deutsch lernen, bevor man auf den irrwitzigen Gedanken käme, sich ihre Sprache anzueignen.

Die erstaunliche Popularität der kleinen Serie veranlaßte die Zeitung vergangene Woche sogar zu einem Kommentar auf der Titelseite - wohl nicht zuletzt, weil sich mittlerweile Nachrichtenagenturen und Fernsehsender u.a. "in Holland, Schweden und am Bosporus" für ihre cholerische Klientel interessierten.

Überraschenderweise wird im Kommentar nun festgestellt, daß die Zeitung - den üblen rassistischen Ausbrüchen zum Trotz - auf eine überdurchschnittlich tolerante Leserschaft verweisen könne. Nur ein Prozent der Tagesspiegel-Abonnenten hätten sich kürzlich bei einer Umfrage als ausländerfeindlich geoutet; das liege deutlich unter dem Faktor X der Berliner Restbevölkerung. Doch diese radikale Minderheit habe wie auf ein geheimes Kommando hin kollektiv zu Stift und Papier gegriffen. Anders kann sich die Redaktion jedenfalls die stinkende Brühe, die sich auf ihre Schreibtische ergossen hat, nicht erklären.

Dabei hat es der Tagesspiegel nur gut gemeint. Jede Woche ein paar Brocken Türkisch, praktische Tips für den Urlaub und zum Flirten. Kein flausiges Multi-Kulti wurde angesprochen, sondern handfeste materielle Interessen. Der letzte Teil der Serie enthielt beispielsweise eine kleine Einführung ins orientalische Feilschen. "Indirium yapar mõsõnõz", ich bin doch nicht blöd, soll der kulturell versierte Wilmersdorfer auf dem Basar in Antalya geschickt auf jedes Preisangebot erwidern.

Schön blöd müssen sich nun vor allem die Verantwortlichen in der Potsdamer Straße fühlen. Indirekt sehen sie sich als Schönbohms Opfer. Vor ein paar Wochen sei ein politisches Feuer entfacht worden, schreibt ein Tagesspiegel-Redakteur. "Jetzt fliegt der Deckel hoch - und es spritzt gewaltig."

Gemeint sind damit die Äußerungen des Berliner Innensenators. Der hatte in letzter Zeit bei jeder sich bietenden Gelegenheit davor gewarnt, daß der Islam sich anschicke, einige Berliner Bezirken zu annektieren. Deutsche seien dort bereits eine bedrohte Minderheit.

Das scheint man auch im liberalen Berliner Westend so zu sehen. Kaum entdecken die Tagesspiegel-Hooligans in ihrem Leib- und Magenblatt eine türkische Vokabel, werden rund ums Charlottenburger Schloß die geistigen Klappmesser gezogen. Die Verteidigung des christliche Abendlandes beginnt am Frühstückstisch.

Spannend ist nun die Frage, wie lange sich das Blatt ihre unfreiwillige Leser-Provokation noch leisten will. Aber anstatt der häßlichen Kundschaft einfach die Abos zu kündigen, wie es sich für eine anständige Zeitung gehören würde, wird vermutlich doch nur die Serie eingestellt.