Schweizer Lösung

Schweizer Großbanken entschädigen Holocaust-Überlebende, doch antisemitische Populisten wühlen weiter

Der Vergleich zwischen zwei Schweizer Großbanken und jüdischen Klägern in den USA über die Entschädigungszahlung von 1,25 Milliarden Dollar (etwa 2,2 Milliarden Mark) hat in der Schweiz gemischte Reaktionen hervorgerufen. Während allgemein begrüßt wurde, daß die Einigung immerhin einen von US-Bundesstaaten angedrohten Boykott gegen die Schweizer Finanzinstitute verhindere, wurden erneut antijüdische Ressentiments geschürt - selbst von den großen Parteien des Landes.

So bezeichnete es die Regierungspartei FDP als bedauerlich, daß "Klagedrohungen und erpresserische Aktionen letztlich erfolgreich" gewesen seien. Ähnlich wertete die Schweizer Volkspartei (SVP) den Kompromiß als "schlechtes Zeichen", da die Schweiz "erpreßt" worden sei.

Damit wurde das Stichwort aufgegriffen, mit dem bereits Ende 1996 die politische Spitze der Schweiz das Klima in der Nazi-Gold-Diskussion vergiftet hatte: Der damalige Präsident Pascal Delamuraz hatte den World Jewish Congress (WJC) der "Erpressung" angeklagt, was zu einer Flut von Hetzbriefen an prominente Juden des Landes führte. Der Volkszorn machte sich Luft, sah man doch am Stammtisch das Klischee vom "geldgierigen Juden" von höchster Stelle sanktioniert.

Als dann im Frühsommer 1998 der Finanzchef der Stadt New York, Alan Hevesi, im Auftrag mehrerer US-Bundesstaaten und Kommunen einen mehrstufigen Boykottplan gegen die Schweizer Wirtschaft ankündigte, zogen sich auch seriöse Eidgenossen in das Reduit sorgsam verborgener Vorurteile zurück: Swatch-Chef Nicolas Hayek kündigte den Amerikanern einen Gegenboykott an, die Discount-Kette Denner nahm US-Produkte aus dem Verkauf, die FDP gab den Allmachtsphantasien vom Sieg im Wirtschaftskrieg politischen Flankenschutz.

Im Tessin war es sogar die im Kanton mitregierende Lega dei Ticinesi, deren Präsident Giuliano Bignasca offen mit dem Nazismus kokettierte: Die Mitglieder der Volcker-Kommission, die nach Vermögen von Holocaust-Opfern auf Schweizer Banken sucht, wollte er für zwei Wochen Urlaub "ins Hotel Buchenwald in Dachau schicken, das von einem sympathischen Herren mit Schnäuzchen geführt wird". Nur zu oft schlug Antiamerikanismus in Antisemitismus um: So rief etwa Rudolf Keller, Präsident

der Schweizer Demokraten, dazu auf, "sämtliche amerikanischen und jüdischen Waren, Restaurants und Ferienangebote zu boykottieren".

"Der Aufruf Kellers bricht mit den Regeln der bisherigen Kultur des politischen Diskurses in dieser Frage", konstatierte Thomas Lysser, Vizepräsident des Schweizerischen Israelitischen Gemeindebundes (SIG). In der Basler Zeitung warf er den etablierten Parteien vor, daß sie Hetzer "einfach gewähren lassen", anstatt sich von ihnen abzusetzen. Die Ausreden sind aus der deutschen Diskussion bekannt: Die FDP wollte "die Sache nicht mit einem Gegenkommuniqué aufblasen", die Sozialdemokraten "Herrn Keller nicht zuviel der Ehre antun".

Die Vergiftung der innenpolitischen Diskussion fand ihre Entsprechung in der Außenpolitik: Bei den Verhandlungen mit den Klägern der Holocaust-Überlebenden hatten die Schweizer Banken United Bank of Switzerland (UBS) und Crédit Suisse Ende Juni 1998 auf stur geschaltet und eine Zahlung von 600 Millionen Dollar (etwa eine Milliarde Mark) als "allerletztes Angebot" bezeichnet. Dafür müßten die beiden Sammelklagen vor New Yorker Gerichten fallengelassen werden. Bei diesen vom WJC unterstützten Klagen waren jeweils 20 Milliarden Dollar von den Schweizer Instituten als Entschädigung für unrechtmäßig einbehaltene jüdische Vermögen verlangt worden.

Der Versuch von US-Vermittler Stuart Eizenstat, die Schweizer Regierung und die Notenbank für eine Aufstockung der 600 Millionen Dollar zu gewinnen, war auf Ablehnung gestoßen. "Niemals", so Botschafter Jacques Reverdin, werde seine Regierung an solchen Verhandlungen teilnehmen. Diese Totalverweigerung der Eidgenossen hatten mehrere US-Bundesstaaten unter Führung von New York schließlich mit dem Boykottaufruf beantwortet, der am 1. September in Kraft getreten wäre.

Für den nun gefundenen Kompromiß haben die beiden Großbanken ihr Angebot mehr als verdoppelt. Als Gegenleistung sind jetzt nicht nur die Klagen gegen private Geldinstitute, sondern auch gegen die Industrie und die Nationalbank vom Tisch (nur die Versicherungen müssen mit weiteren Ansprüchen rechnen).

Deshalb fordern UBS und Crédit Suisse mit einiger Berechtigung, daß die zu zahlende Summe von 1,25 Milliarden Dollar nicht von ihnen allein, sondern von der gesamten Schweizer Wirtschaft aufzubringen wäre. Sofern dafür der Staatshaushalt belastet werden müßte, wäre dies ein idealer Ansatzpunkt für weitere innenpolitische Auseinandersetzungen.

Möglich ist aber auch, daß sich die Gegner einer ernsthaften Beschäftigung mit den dunklen Kapiteln der Schweizer Vergangenheit nun einem anderen Punkt zuwenden: Die von der Regierung geplante Solidaritätsstiftung "zur Linderung schwerer menschlicher Not im In- und Ausland" soll zwar ausdrücklich nicht Holocaust-Überlebenden, sondern den Opfern aktueller Katastrophen zugute kommen. Da die Stiftungsidee aber im Kontext der Nazigold-Debatte kreiert worden ist, spricht der Schweizerische Le Pen, der SVP-Vorsitzende Christoph Blocher, auch hier von "Erpressung, insbesondere durch den Jüdischen Weltkongreß". Blochers Vorschlag: Die rund 500 Tonnen Zentralbank-Gold, die den Grundstock für die Stiftung hätten liefern sollen, sollten eher zur Sanierung der maroden Schweizer Rentenversicherung AHV verwendet werden. Christdemokratische und freisinige Abgeordnete unterstützen diesen Vorschlag.

Bei so viel Gegenwind rudert die Regierung nun zurück: Sollte es ursprünglich noch in diesem Jahr ein Plebiszit über die Stiftung geben, wird mittlerweile das Jahr 2000 als frühester Termin genannt. Im Unterschied dazu funktioniert ein anderes im Zusammenhang der Raubgold-Diskussion initiiertes Projekt recht gut: Die "Holocaust-Stiftung", 1997 mit 100 Millionen Franken von der Nationalbank gegründet, zu denen weitere 170 Millionen von Privatspendern kamen, hat mittlerweile mit Zahlungen an überlebende Juden, aber auch an Roma und Sinti begonnen.