Neues aus dem Casino

Globaler Rubel

"Die Neuigkeiten vom russischen Effektenmarkt brauchen niemand ernsthaft zu beunruhigen, weil es gar keinen russischen Effektenmarkt gibt", schrieb die Zeitung Iswestija nach den jüngsten Kurseinbrüchen. Die Wirtschaft des Landes werde von der Entwicklung an der Börse nicht berührt. Die Aktien gelangten von einer Hand in die andere wie ein Jeton im Casino, ohne das Kapital des Unternehmens zu vergrößern oder zu verringern, das diese Aktie ausgegeben hat.

Auch wenn die Ökonomie des Landes so am Boden liegt, daß die Wertpapiere russischer Betriebe mittlerweile den Charakter von Spielgeld haben, dürfte der Kommentar der Iswestija kaum zur Beruhigung der internationalen Banker beitragen.

Denn spätestens mit der Rubelabwertung haben die Finanzkrisen in Rußland und Asien jetzt die gesamte Weltwirtschaft erfaßt. Nach dem Rubelsturz stehen die exportabhängigen Schwellenländer sowie die erdölexportierenden Staaten wegen der sinkenden Weltmarktpreise unter erheblichem Druck.

Erstes Indiz dafür waren die Sparmaßnahmen des Emir von Brunei, eines der reichsten Erdöl-Staaten, die vor kurzem noch unter der Rubrik "Vermischtes" auftauchten. Inzwischen hat Norwegen seine Leitzinsen zum sechsten Mal in acht Monaten angehoben, die Landeswährung fiel auf den niedrigsten Stand seit sechs Jahren. Der venezolanische Bolivar verlor 20 Prozent seines Wertes, die Regierung in Caracas beschloß Sondergesetze, um nach dem Verfall des Rubels gegen den steigenden Abwertungsdruck vorzugehen. Und das mächtige US-Brokerhaus Merril Lynch hat vergangenen Freitag die Kreditwürdigkeit der Bankenbranche in Brasilien, Chile, Kolumbien und Mexiko wegen der "globalen Schwäche der Kapitalmärkte" deutlich zurückgestuft.

Drastisch sind die Auswirkungen der russischen Misere auch für China. Der "letzte Hort der Stabilität" in Asien (US-Finanzminster Rubin) ächzt schon seit Monaten unter dem schwachen japanischen Yen. Die ehrgeizigen chinesischen Wachstumspläne, die hauptsächlich auf der Annahme eines steigenden Exports beruhen, werden kaum noch zu erfüllen sein; zumal die große Flut nun auch die Industrieregionen und die Erdölfelder des Landes bedroht.

Damit sind auch die USA, deren Konjunktur bereits im achten Jahr auf Hochtouren laufen, in Gefahr. Bisher hat das Land von der Asien-Krise eher profitiert. Die Aktienkurse stiegen dort seit Januar um mehr als die Hälfte - nach den Kurseinbrüchen in Bangkok, Seoul und Tokio flüchtete das Kapital an die sichere New Yorker und Frankfurter Börse. Hinzukommt, daß rund 40 Prozent der Privatvermögen mittlerweile in Aktien angelegt sind. Die Sparquote ist hingegen so gering wie noch nie zuvor in der US-Geschichte. Werden die Erwartungen auf steigende Unternehmensgewinne und Dividenden nicht erfüllt, könnte das Geld bald wieder in andere Anlagenformen fließen - und die boomende US-Konjunktur austrocknen.

Einiges spricht dafür: Die US-Konzerne mußten bereits herbe Einbrüche beim Export nach Asien hinnehmen. Nun droht eine Baisse in Lateinamerika, wo etwa ein Fünftel aller US-Ausfuhren hingelangen. Gerät jedoch die US-Konjunktur ins Stottern, werden auch die EU-Staaten davon berührt. Die Asien- und Rußlandkrise können sie bisher noch verkraften. Einen Einbruch in den USA, dem größten Handelspartner der EU, sicherlich nicht.