Stuhl in den Nesseln

Wo bleibt hier der Süd-Bezug? - Die entwicklungspolitische Zeitschrift iz3w wird 30 Jahre alt

Manchmal ist sogar der Dalai Lama noch für eine Überraschung gut. "Ihr seid vor keiner spiritualistischen Weisheit gefeit", schrieb ein erzürnter Leser an die Blätter des Informationszentrums Dritte Welt. Ein "Pamphlet" von Jutta Ditfurth gegen den großen Meister hatte zur Verwunderung der Redaktion für mächtig Wirbel und einige Dutzend Kündigungen gesorgt. Und das auch noch pünktlich zur großen Geburtstagsfeier: Das Blatt mit dem umständlichen Namen - kurz iz3w genannt - wurde im Sommer 30 Jahre alt und ist damit eine der ältesten deutschsprachigen Dritte-Welt-Zeitschriften.

"Wir sind selber immer wieder erstaunt, wer uns eigentlich alles liest", meint Christoph Stock von den Blättern. Das Spektrum reiche von der katholischen Landjugendbewegung bis zum Autonomen-Info-Laden. Auf esoterische Erleuchtung könne die aus der 1968 gegründeten Aktion Dritte Welt (ADW) hervorgegangene Zeitschrift allerdings damals wie heute getrost verzichten. Zwei Jahre nach Gründung der ADW in Freiburg wurde die erste Nummer der iz3w herausgegeben.

"Entwicklungspolitische Gruppen aus der SPD, den Kirchen und der Friedensmarschinitiative" warben in der Startausgabe für den "Aufbau einer Lobby für die Dritte Welt". Mit Rückenwind aus der Studentenbewegung bildeten sich damals in der gesamten Bundesrepublik gleichgesinnte Gruppen, die mit emanzipatorischen Forderungen auf eine verstärkte Entwicklungshilfe drängten. Erhard Eppler (SPD), der zu dieser Zeit das Entwicklungshilfeministerium übernahm, bewilligte finanzielle Unterstützung. Selbst die FDP war der Meinung, daß das Elend in den Ländern des Südens mehr Aufmerksamkeit verdiene und bot der ADW eine Zusammenarbeit an.

Die Allianz mit den bürgerlichen Entwicklungshelfern von SPD und Kirche bekam allerdings Risse, als sich die Zeitschrift durch ihre Sympathie für die lateinamerikanischen Dependenztheoretiker wie André Gunter Frank und die anti-imperialistischen Bewegungen deutlich radikalisierte. Nicht die Reform, sondern die Kritik des bürgerlichen Entwicklungshilfebegriffs rückte in den Mittelpunkt der Debatte. Der Grund allen Übels wurde in der einseitigen Abhängigkeit des Südens vom industrialisierten Norden gesehen, die Entwicklungshilfe als Vehikel zur Aufrechterhaltung des ungleichen Verhältnisses denunziert. Die jeweiligen "nationalen Befreiungsbewegungen" und die entsprechenden Solidaritätsgruppen wurde als Verbündete betrachtet.

Langatmige "Länderanalysen" waren nun die Folge, in denen akribisch der Stand der Klassenkämpfe und die Entwicklung der Handelsbilanzen beschrieben wurde. Simple Bilder von Gut und Böse, dickbäuchige Kapitalisten auf der einen Seite, ausgehungerte Plantagenarbeiter auf der anderen, wurden in dieser Phase der Zeitschrift gerne zur Illustration des manichäischen Weltverständnisses herangezogen. Und nebenbei machte sich die Zeitung eine der deutschesten Ansichten der antiimperialistischen Szene zu eigen: Ende der siebziger Jahre tauchen, nach der Invasion der israelischen Armee im Libanon, vermehrt Karikaturen auf, in denen israelische Politiker, große Hakennasen und dicke Lippen inklusive, mit dem Globus spielten.

Auch in einem anderen Punkt entpuppte sich der kritische Geist als erstaunlich ignorant. Unbekümmert von Ölkrise und der entstehenden Ökologie-Bewegung, wurde optimistisch das stetige Voran-Schreiten der Produktivkräfte begrüßt. Nicht die Industrialisierung, sondern nur deren ungleiche Verteilung und Kontrolle standen im Zentrum der Kritik.

Als in den achtziger Jahren Berichte über die Entwicklungsländer auch in den bürgerlichen Zeitungen selbstverständlich wurden, die strukturelle Benachteiligung des Südens als Allgemeingut anerkannt - nicht zuletzt, weil sich eine neuen Generation von Auslandskorrespondeten etablierte, von denen viele aus dem Umfeld der iz3w stammten -, wurde auch das bis dahin dominierende Konzept der Gegenöffentlichkeit obsolet: War man angetreten, unterdrückte Informationen an die Öffentlichkeit zu bringen, wurde diese inzwischen mit einem Überangebot von Berichten und Informationen aus den Entwicklungsländern konfrontiert.

Herbe Kritik mußten die Blätter sich auch wegen ihrer theoretischen Ausrichtung gefallen lassen. Der Aufstieg der asiatischen Tigerstaaten ließ ab Mitte der achtziger Jahre den Dependencia-Ansatz als völlig überholt erscheinen. Eine nachholende Entwicklung erschien jetzt doch nur als eine Frage der richtigen Wirtschaftspolitik; der Krebsgang der afrikanischen und lateinamerikanischen Länder hingegen als selbstverschuldet. Ulrich Menzel, selbsternannter Chefideologe der deutschen Entwicklungstheorie, warf der iz3w vor, sie seien die letzten Befürworter der Dependentheorie und gehörten daher ins akademische Neolithikum - ohne zu ahnen, daß seine These von den erfolgreichen Tigerstaaten eine noch kürzere Halbwertzeit erleben sollte.

Dabei hatten die iz3w schon lange vor dem Beitrag Menzels mit der dezidierten Kritik an den Abhängigkeits- und Imperialismustheorien begonnen. Spätestens nach 1989, auch als Reaktion auf die rassistischen Pogrome in Deutschland und der Eskalation sogenannter ethnischer Konflikte in allen Teilen der Welt, begann die Redaktion, die einfache Logik der Anfangsphase zu hinterfragen.Die Auseindersetzung mit Nationalismus und "Kulturalismus" rückte in den Mittelpunkt - und die Erkenntnis, daß "nationale Befreiungsbewegungen" ebenso wenig wie der Antizionismus mit einer gesellschaftlichen Emanzipation zu vereinbaren sind.

Auch das eigene Klientel hatte sich mittlerweile verändert. Ehemalige Bauzaun-Kämpfer arbeiteten nun im ÖkoInstitut, aus der Anti-IWF-Gruppe wurde die NGO zur Agenda 21. Begriffe wie "Nachhaltigkeit" und "Zivilgesellschaft", die eine rasante Karriere im akademischen Diskurs wie in den politischen Institutionen machten, schufen einen fließenden Übergang von der ehemaligen Soli-Szene in die Parteien, Ministerien und internationalen Organisationen. Die einstige Zielgruppe der Zeitung schrumpfte in den Neunzigern erheblich oder wurde selber Teil des Establishments.

"Kritische 'unkonstruktive' Positionen sind kaum noch gefragt", schreibt die Redaktion dazu in ihrer Jubiläumsausgabe. "Der Konsens, der zur Zeit die entwicklungspolitische Szenerie beherrscht, ist eher unheimlich. Wohlfeile Schlagworte wie Demokratie und Menschenrechte, Zivilgesellschaft und Partizipation, Nachhaltigkeit und Frauenförderung, hinter denen sich alle versammeln können, bestimmen den Diskurs."

Mit der zunehmenden Distanz gegenüber der restlichen Soliszene wurde zugleich der Spielraum größer, unabhängig von konkreten entwicklungspolitischen Forderungen Theoriediskussion zu führen. Übrig bleibt ein allenfalls sympathisierender Bezug und die pragmatische Unterstützung einzelner Forderungen der Soliszene. "Früher ging es erstmal auf die Demo und erst danach wurde diskutiert. Heute denken wir, was die Leute machen, ist ihre Sache. Wir geben keine Handlungsanleitung mehr", beschreibt Christian Stock das Selbstverständnis der jetztigen Redaktion.

Sehr zur Verwirrung der Leser: "Wo bleibt den hier der Süd-Bezug?" fragte eine Leserin in der Geburtstagsausgabe, ein anderer kritisierte den "Pluralismus ohne Kohärenz". Dafür ist die Kritik klüger geworden. Die Abkehr von einfachen Wahrheiten und eindeutigen Bezugsgruppen hat der Zeitschrift ausgesprochen gut getan. An die Stelle simpler Zuordnungen oder Reduzierung von strukturellen Konflikten auf personifizierbare "Profitinteressen" trat eine Kritik der Ideologie und die Dekonstruktion der Begriffe. Die Länderberichterstattung wurde reduziert, dafür gibt es ausführliche Schwerpunkte zu "Globalisierung" oder "Ethnisierung von Konflikten". Neue Themen wie Cultural Studies, Sport und Literatur, die früher allenfalls am Rande wahrgenommen wurden, sind deutlich präsenter. Und statt anklagender Schwarz-Weiß-Bilder arbeitet man heute mit assoziativen Fotos.

Den Preis, den die MacherInnen der Blätter dafür zahlen, ist, daß sie nun "zwischen allen Stühlen und in den Nesseln" sitzen. Auch ökonomisch, denn ginge es nach den Marktgesetzen, würde es die Blätter, wie die meisten anderen Dritte-Welt-Zeitschriften, kaum mehr geben. Die Zahl der ehemals 7 000 Abonnenten hat sich deutlich reduziert, ohne Spenden und Projektförderung wäre ein Überleben kaum mehr möglich.

Dafür halten die Redakteure den Anspruch aufrecht, ohne den derzeit vermutlich keine vernünftige und kluge Zeitung zu machen ist. "Das einzige Konzept, um eine vernünftige Zeitung zu machen, ist eines, das uns selber am besten gefällt".

iz3w. Ein Heft kostet 8, ein Abo 60 Mark, zu bestellen bei iz3w, Postfach 5323, 79020 Freiburg