Nazis from Outer Space

Erinnerungspolitik und Erlebnisgesellschaft in Weimar und Buchenwald

Als Weimar 1993 zur europäischen Kulturstadt 1999 gekürt wurde, war es den für die Planung dieses Ereignisses Verantwortlichen schnell klar, daß es schlecht möglich ist, die Geschichte des deutschen klassischen Humanismus in Weimar zu feiern und Buchenwald auszublenden.

"Mit der Errichtung des Konzentrationslagers Buchenwald in unmittelbarer Nähe zu den Stätten deutscher Klassik wird mit dieser Tradition so nachhaltig gebrochen, daß der Schatten, der vom Ettersberg auf Weimar fiel, für alle Zeiten mahnend und unauslöschlich die Geschichte der Stadt verdunkeln wird", steht denn auch auf einer schwarz gerahmten Seite des offiziellen Kulturstadt-Magazins vom November 1997 zu lesen.

In einer Kulturstadt-Broschüre von 1994 war noch relativierend vom "Konzentrations- und Internierungslager Buchenwald" die Rede gewesen. "Es gilt nicht nur, einzelne Splitter einer solch vielschichtigen Vergangenheit sichtbar zu machen, sondern auch, sie in Beziehung zueinander und zu uns zu setzen (...). Weimar-Buchenwald ist ein Modellfall für den Zivilisationsbruch des 20. Jahrhunderts, den auf das 3. Jahrtausend hin zu verstehen unabdingbar ist", präzisiert ein Informationsblatt zum Kulturstadt-Rahmenprogramm "Weimar 1999".

Geleistet werden soll dies nun u.a. in einem zusammen mit der Gedenkstätte Buchenwald ausgerichteten internationalen Jugendcamp des Projektbüros "AREA 1999" und einem Projekt mit dem Titel "Planet Buchenwald - Deep Space Weimar". Das weckt natürlich bewußt Assoziationen zur Fernsehserie "Star Trek". Offenbar sollen die Jugendlichen mit diesem poppigen Titel dort abgeholt werden, wo sie in ihren medial vermittelten Erlebniswelten stehen. Und so setzt sich in den bislang zugänglichen Materialien diese Terminologie munter fort: Bereits dieses Jahr werden seit Juli 15 Jugendliche aus den einst von NS-Deutschland besetzten europäischen Ländern zu "Space-Scouts" ausgebildet, die dann mit den BesucherInnen nächstes Jahr in der "spannungsreichen Geschichte des Raumes (...) schwarze Löcher suchen und zeigen" sollen.

Daß mit diesem Andocken an die Vorstellungswelten Jugendlicher statt historischer Aufklärung eine Entwirklichung und Banalisierung des Diskurses über den nationalsozialistischen Massenmord befördert werden könnte, scheint auch den Verantwortlichen zu dämmern. Die Pressereferentin der Gedenkstätte Buchenwald, Frau Hertel, hält diese Kritik für verständlich und gibt auch gleich den Hinweis, daß in den neuesten Infomaterialien zum Projekt den "Scouts" der "Space" entfernt wurde.

Die Arbeit der jugendlichen ProjektteilnehmerInnen sei nicht als klassisches pädagogisches Programm ausgerichtet, sondern setze auf selbständige Erarbeitung und Weitervermittlung des Themas durch die Jugendlichen selbst. Eine Trivialisierung der in diesem "Enterprise"-Rahmen erarbeiteten Ergebnisse soll durch die begleitende Steuerung von den pädagogischen MitarbeiterInnen der Gedenkstätte, Daniel Gaede (pädagogischer Leiter der Gedenkstätte) und Pia Frohwein, verhindert werden.

Fragt sich nur, ob mit Detailkorrekturen eine Linie zu durchbrechen ist, die durch ihre intergalaktische Terminologie den Alltagsdiskurs befördert, nach dem der vielbeschworene Zivilisationsbruch wie eine Invasion von einem anderen Stern über die deutsche Gesellschaft gekommen sein muß, statt aus deren Mitte.

Ob "das beunruhigende Potential, das diese Geschichte eines Zivilisationsbruches in sich birgt", "dadurch kenntlicher" wird, daß die Länder, aus denen die jugendlichen "Scouts" kommen, als "Länder, aus denen man Menschen in das Konzentrationslager Buchenwald hineinstahl", gekennzeichnet werden, ist ebenfalls mehr als fraglich.

Pressereferentin Hertel erläutert, daß damit insbesondere die Deportationen aus den von NS-Deutschland besetzten Ländern zur Zwangsarbeit in Buchenwald als kriminelle Handlung charakterisiert werden sollen. Indem dies als "Diebstahl" - von was eigentlich, von wertschaffender Arbeit? - bezeichnet wird, ist aber die Dimension von "Vernichtung durch Arbeit" ausgeblendet, die insbesondere für die jüdische "Arbeit" in den Konzentrationslagern irrationaler Selbstzweck war, wie u.a. Daniel Goldhagen gerade auch am Beispiel Buchenwald herausgearbeitet hat.

Aber noch etwas anderes soll "dadurch kenntlicher" werden, daß Buchenwald "heute ein offener Ort" ist und "sich die pädagogischen Mitarbeiter nicht als diejenigen (verstehen), die eine vorgefertigte Erzählung übermitteln": "Vor 1989 eingeschnürt in eine Deutung, die die DDR legitimieren sollte, aber den Menschen wenig zu sagen hatte, ist heute die gesamte Geschichte des Ortes sichtbar und für alle zugänglich."

Dies schlägt sich in den Infomaterialien vor allem darin nieder, daß mehrfach das Konzentrationslager Buchenwald 1937 bis 1945 und das sowjetische Internierungslager 1945 bis 1950 aneinandergereiht werden. Der wegen angeblich zu großer DKP-Nähe geschaßte ehemalige Buchenwald-Gedenkstellenleiter Dr. Ulrich Schneider kritisierte in einem Zeitungsartikel, daß damit "totalitarismustheoretische Vorgaben jeder Erkenntnis vorgeschaltet werden".

Zumindest bei den Dauerausstellungen der Gedenkstätte bestätigt sich dieser Eindruck bisher nicht unbedingt. Die Empfehlungen der Historikerkommission, nach denen dem Konzentrationslager bei der Repräsentation in der Gedenkstätte klarer Vorrang gegenüber dem sowjetischen Internierungslager einzuräumen ist, sind gleich am Eingang der Dauerausstellung zum sowjetischen "Speziallager Nr. 2" als Exponat angebracht.

Der Gesamteindruck geht denn auch dahin, daß durchaus Mühe darauf verwandt wurde, diese Empfehlungen umzusetzen und sowohl in der räumlichen Anordnung auf dem Gelände als auch in Umfang und Inhalt der Ausstellungen zwischen dem Charakter des NS-Konzentrationslagers und dem des sowjetischen "Speziallagers" zu differenzieren und den kausalen Zusammenhang auch des letzteren mit der NS-Herrschaft zu zeigen.

Auch Hans Maur, Vorsitzender des Gedenkstättenverbandes Berlin, räumt in einem Beitrag zum Thema antifaschistische Gedenkstätten und Totalitarismusdoktrin ein, daß dem konservativen Druck in Buchenwald noch widerstanden werden konnte. Allerdings ist in einer 1993 produzierten und immer noch im Buchladen der Gedenkstätte vertriebenen Broschüre zu lesen: "Kaum vier Wochen, nachdem die letzten der Überlebenden des nationalsozialistischen Konzentrationslagers Buchenwald den Ettersberg verlassen hatten, zogen in die Baracken des Lagers erneut Häftlinge ein. Für viereinhalb Jahre wurde Buchenwald ein Ort der Isolierung und wieder des Sterbens."

An dem zu DDR-Zeiten errichteten Denkmal für den im Hof des Krematoriums erschossenen Ernst Thälmann ist die Büste entfernt worden, dafür direkt unter der verbliebenen Gedenktafel eine zweite Tafel angebracht worden: "Das Gedenken an Ernst Thälmann wurde zum zentralen Bestandteil eines Erinnerungskultes, der die DDR als das bessere Deutschland legitimieren sollte."

Es ist bislang nicht bekannt, daß aufgrund der allem staatlich inszenierten Gedenken innewohnenden legimatorischen Dimension ein ähnlicher Hinweis an einer der Gedenkstätten für die militärisch-konservativen Verschwörer des 20. Juli angebracht worden wäre. Gedenkstellenleiter Volkhard Knigge sieht sich bei den Auseinandersetzungen um die Konzeption der Gedenkstätte zwischen den Fronten. Durch die Kritik an der Gedenkstättenkonzeption von Antifaschisten und Organisationen der Opfergruppen sieht er sich zu Unrecht in die Ecke rechter Geschichtsrevisionisten gestellt. Sein Beharren auf der Tatsache, daß der größte Teil der im sowjetischen Speziallager Inhaftierten NS-Funktionsträger waren, quittierte ein Verband der Stalinismusopfer mit einer Strafanzeige.

Zum Kampf um die Deutungsmacht in Buchenwald gehören auch die Auseinandersetzungen um das Antifa-Workcamp der dem Bund der Antifaschisten (BdA) nahestehenden Gruppe R.O.T.K.Ä.P.C.H.E.N. Nachdem es in den vergangenen Jahren Arbeitsverbote für die Antifas auf dem Gedenkstättengelände gegeben hatte und die Ausrichtung des Workcamps in diesem Jahr lange in Frage stand, hat sich die Situation während der Campwoche in diesem Jahr entspannt, wie sowohl die Pressereferentin der Gedenkstätte als auch Vertreter der VeranstalterInnen bestätigen.

Nach dem Anschlag auf die Figurengruppe des Buchenwald-Mahnmals im Juli war auch eine gemeinsame Kundgebung möglich, an der sich außer den Workcamp-TeilnehmerInnen und VertreterInnen der Gedenkstättenleitung Mitglieder der Jüdischen Landesgemeinde Thüringen, des Interessenverbandes der Verfolgten des Naziregimes (IVVdN) sowie von Gewerkschaften und Parteien beteiligten.

Die gleichrangige Nennung von Konzentrationslager und Speziallager in den Infomaterialien zum Projekt wirkt dennoch als Teil einer sukzessiven Nivellierung der Unterschiede zwischen beiden. Allerdings funktioniert dies weniger über die vordergründige Demagogie einer Totalitarismusdoktrin als vielmehr durch die zeitgemäße Inszenierung der geschichtlichen Ereignisse in Weimar/ Buchenwald.

Die Wahrnehmung des "Spannungsverhältnisses" zwischen Weimar und Buchenwald durch die Kulturstadt-BesucherInnen wird durch eine Fülle von geschichtsträchtig daherkommenden kulturellen und ästhetischen Angeboten strukturiert, die von unzähligen Ausstellungen, Theateraufführungen, Konzerten, Symposien, Kongressen und Workshops mit Goethe- und sonstigen Weimarer Klassik-Bezügen bis zur "Erarbeitung neuer Weimarer Souvenirkollektionen" beim "weimar design souvenir 1999" reichen.

Auch "Planet Buchenwald - Deep Space Weimar" fügt sich im Gesamtprojekt "Area 99" in eine Reihe von "für Jugendliche konzipierten Events" wie "Techno-Parties, Rock-, Pop-, Theater- und Diskussionsveranstaltungen". In diesem Umfeld, das Geschichte gleichsam in eine konsumierbare Erlebniskulturlandschaft mit Zivilisationsbrüchen auflöst, sollen die jugendlichen ProjektteilnehmerInnen "sich also formulieren - auf das nächste - das dritte Jahrtausend, ihre Zukunft hin". Beam me up, Pamela!