Den Congress tanzen

Gefährliche Orte XL: Im Haus der Kulturen der Welt soll der Congress 3000 Popkultur repräsentieren. Statt Innovation gibt's zum Glück nur Spaß

Die Hauptstadt Berlin soll leben. Und sie lebe ja schon, wie Kultursenator Peter Radunski oder der Tagesspiegel nicht müde werden, jedem Berliner in die Bulette zu ritzen. Doch je mehr sich zeigt, daß die Erwartung, Berlin werde nach 1990 aus Schutt, Asche und Teilung herrlich strahlend als erste unter den deutschen Städten auferstehen, nur enttäuscht werden kann, desto verkrampfter werden die Bemühungen, das Nichtmaldienstleistungszentrum Berlin als tausendfach wimmelnde Medien-, Kultur- und Überhauptmetropole zu stilisieren. Dazu bieten der Senat, seine kulturpolitische Mafia und die Revolverblätter alle ihnen zur Verfügung stehenden Mittel auf.

Von Kongreß zu Congress und von Theaterspektakel zu Modeereignis bleibt jedoch nach großem Vorabgetöse und schmalspurigem Ergebnis nicht einmal ein schwacher Eindruck zurück. Nur die schlechte Bilanz: Die Welt-Kulturwelt hat ein weiteres Mal nicht auf diese Stadt geschaut. Einzig die Berlinale kann einen relevanten Teil der irdischen Intelligenz auf die nationale Baustelle locken. Der Rest des offiziellen Berliner Kulturlebens ist hoffnungslos provinziell. Wen wundert's, wenn der oberste Kulturbeauftragte der Stadt ausschaut wie ein Bahnhofskneipenwirt oder Fußcremevertreter und sich entsprechend gebärdet?

Daher ist es eigentlich keine interessante Nachricht, daß sich ein weiteres Mal ein Flop für die Hauptstadtvermarkter abzeichnet. Denn trotz aller Lorbeerkränze, die sich schon jetzt die Veranstalter selbst verleihen, und trotz der zum Teil durchaus erstaunlichen Einzelleistungen der Aussteller wird die Berlin Biennale, mit der sich diesmal die Bildende Kunst als ganzheitlich einender Hauptstadterschaffer versuchen soll, eher auf mittlerem Niveau herumdümpeln.

Einer der Hauptgründe für das wiederholte Scheitern der Berliner Kulturabenteuer liegt darin, daß aus Berlin selbst nichts kommt. Und daß nichts gefördert wird - man scheut das Risiko. Daher wird alles, was die Stadt hypen helfen soll, aus dem Katalog des international Anerkannten herausgesucht, ohne daß je einem oder einer der naheliegende Gedanke gekommen wäre, daß das, was bereits etabliert ist, nicht mehr wirklich spannend sein kann. Im Gegenteil: Was in London oder New York bereits langweilig ist, hat man im Stammimbiß noch nicht Staat machen sehen. Es wird darum prompt herbeigekauft. So entsteht von außen der häßliche Eindruck einer neureichen Protzerei, während sich die Berliner Lokalheroen und Lokalblätter gegenseitig allerschlimmst gerhardschrödernde Innovationswurst in den Eintopf werfen und sich anschließend groß dafür belobigen, daß die Suppe so mächtig aussieht.

Auch der vom 1. bis 3. Oktober im Haus der Kulturen der Welt stattfindende Congress 3000 wird an diesem Eindruck nichts ändern. Denn im Rahmen der Berlin Biennale, deren Programmteil er ist, und flankiert vom wild Themen herbeisuchenden Allesundnichts-katalog zur Biennale scheint er lediglich Showprogramm und Studentenbelustigung sein zu wollen. Was er auch ist.

Der Congress 3000 - obwohl sein Titel schwer zukunftweist - hat hauptsächlich eingeführte bzw. mittelfristig etablierte Namen zu einem Tänzchen geladen. Als da wären: Spex-Nachdenker Mark Terkessidis diskutiert mit Frank Castorf über "Pop als Lebensretter", Christoph Schlingensief diskutiert über sich, Malcolm McLaren redet über Mode, Kodwo Eshun über den "Sound einer Stadt", Michael Rutschky liest gemächlich, Darius James hektisch und Benjamin von Stuckrad-Barre blöd, Filme beschreiben u.a. "Women in NY-HipHop", Pipilotti Rist performt, und der Tresor-Club verläßt erstmals seinen Keller. Alec Empire, Jazzanova, Shantel, Andrea Parker, Robert & Roland Lippock, Rope und und und machen in den Nebenräumen den Soundtrack dazu oder dagegen. Das klingt eindrucksvoll, aber nicht eben neu.

Allerdings ist die Erschaffung von etwas Neuem oder schwer avantgardistische Vorreiterei gar nicht das Anliegen der Macher des Congress 3000. Anders als es die Kuratoren der Berlin Biennale vielleicht beabsichtigen, wird hier nicht Vermischung, Verfremdung, Crossovern und DJing zum x-ten Mal als heißes Eisen gehandelt, auch soll der Congress 3000 nicht Verkaufsgespräche und Unternehmerflirts ermöglichen, ebensowenig wie man sich das Auslösen von Innovationsimpulsen auf die Fahnen geschrieben hat. Wie soll eine Richtung gewiesen werden, wenn nicht einmal eine gemeinsame Haltung vorliegt, von Utopie mal ganz zu schweigen?

Eine Messe ist er nicht, zukunftsweisend ist er auch nicht. Der Congress 3000 hält also - unterm kulturhistorischen Gesichtspunkt betrachtet: bestenfalls - den state of the pop art fest. Doch selbst da sei drauf geschissen: Vor allen Dingen wird es amüsant. Wie gesagt, die DJs beschallen auch während der Diskussionsrunden und Lesungen die angrenzenden Räume. Wer hochkulturelles Akademiegefühl will, darf das, wer zu den Beats tanzen will, kriegt sie.

Daß der Spaß des Publikums im Vordergrund steht, macht den Congress 3000 beinahe zu einer subversiven Angelegenheit: Da nimmt sich einer Fördergelder und macht einen Tanzclub mit Diskussionsvorderzimmer damit. Sehr schön. Und daß man dann auch noch rauchen darf, läßt den Congress 3000 zum angenehmsten Großpopevent seit langem werden.