Zu früh gefreut

Die Opposition hat bei den slowakischen Parlamentswahlen gesiegt. Doch Vladimir Meciar wartet auf eine abermalige Machtübernahme

Vladimir Meciar konnte die geeinte slowakische Opposition bei den Parlamentswahlen Ende vergangener Woche auf die Plätze verweisen. Trotz der weitgehenden Einigung der Opposition und trotz vernichtender Umfragewerte ist die Bewegung für eine Demokratische Slowakei (HZDS) von Premier Meciar stärkste Partei im neuen Parlament. Zwar verlor sie mit 27 Prozent der Stimmen gegenüber den letzten Wahlen 1994 acht Prozent, doch das aus fünf Oppositionsparteien gebildete Bündnis Slowakische Demokratische Koalition (SDK) mußte sich mit etwas mehr als 26 Prozent der Stimmen zufriedengeben.

Dabei hatte die Opposition in Bratislava alles gegeben. SDK-Chef Mikulas Dzurinda tourte mangels großem Wahlkampfbudget per Rad durch die Slowakei und verbreitete Neuerungsideen. Der Skandal um das regimekritische Privat-TV Markiza, das durch ein Meciar-nahes Unternehmen übernommen werden sollte (Jungle World, Nr. 39/98) ließ die Sympathiewerte des Regierungschefs ebenfalls absacken.

Aber all das nutzte nichts. Dabei hatte es Samstag abend noch so gut ausgesehen. Da versammelten sich vor der Zentrale der SDK Dutzende Anhänger und stießen auf das Ende Meciars an. Jan Carnogursky, Chef der in der SDK aufgegangenen Christlich-Demokratischen Partei (KDH) schwärmte gegenüber Jungle World: "Meciar ist weg" und präsentierte Hochrechnungen, die dies zu bestätigen schienen. Danach verfügte die SDK am Samstag gegen 19 Uhr über mehr als 30 Prozent der Stimmen, Meciars HZDS lag abgeschlagen bei knappen 23 Prozent. Der Grund dafür war von Carnogursky schnell benannt: Die SDK hatte ihre Wähler aufgerufen, erst am Samstag wählen zu gehen, um mögliche Wahlfälschungen in der Nacht von Freitag auf Samstag zu verhindern. Doch aus dem stattlichen Vorsprung wurde in der folgenden Nacht ein knapper Rückstand auf den Angstgegner.

Dem tschechischen Staatspräsident Vaclav Havel war das offenbar egal. Er gratulierte Dzurinda zum Sieg und erhoffte sich in seinem Telegramm an den Chef des Oppositionsbündnisses zukünftig eine stabile Mehrheitsregierung. Auch der Shooting-Star der slowakischen Politik, der Bürgermeister von Kosice, Rudolf Schuster, mußte in der Nacht von Samstag auf Sonntag erkennen, daß er sich wohl zu sehr auf seine Popularität verlassen hatte. Mindestens 15 Prozent der Stimmen hatte Schuster für seine Partei der Bürgerlichen Eintracht (SOP) erwartet, lediglich acht Prozent wurden daraus.

Schuster gab sich zwar enttäuscht, hatte aber eine Fehleranalyse parat: "Ich war das Hauptziel von Vladimir Meciars Verleumdungskampagne und mußte seine Attacken für die gesamte Opposition abwehren." Tatsächlich konzentrierte sich Meciar voll darauf, Schuster während der Wahlkampagne zu diskreditieren. Doch Schusters Handikap mag auch gewesen sein, daß er im Wählerrevier Meciars fischte und unter den Slowaken bloß als der "freundlichere Meciar" galt. Der gesamte Wahlkampf der SOP war auf Super-Schuster zugeschnitten, ebenso große Teile das Wahlprogramms.

Der in der Wählergunst leicht zusammengestutzte SOP-Chef gilt als sicherer Koalitionspartner der SDK. Ebenso glatt sind wohl auch die Koalitionsgespräche mit der Ungarischen Koalition (SNK) verlaufen, die sich wie Schuster bereits vor der Wahl auf die Seite der Opposition gestellt hattte und rund neun Prozent der Stimmen erreichen konnte. Doch selbst die Dreifaltigkeit von SDK, SOP und SNK reicht nicht für eine künftige Parlamentsmehrheit. Gemeinsam hätten die drei Parteien 69 der 150 Sitze im Parlament von Bratislawa - zu wenig für eine Mehrheit. Entsprechend liegen die Hoffnungen der Oppositionschefs auf der Partei der Demokratischen Linken (SDL).

In den vergangenen Jahren glich die SDL einem politischen Pendel. Sie schenkte ihre Gunst mal Meciar, mal einigte sie sich mit der Opposition. Am vergangenen Sonntag war sie es, die mit ihren knapp 15 Prozent und damit 24 im Parlament errungenen Sitzen den Wahlsieg der Opposition vollenden konnte. Dessen aber war sich etwa Rudolf Schuster am Samstag abend gar nicht so sicher: "Die SDL wird hoch pokern, um sich ihre Zustimmung teuer abkaufen zu lassen", mutmaßte er gegenüber Jungle World.

Doch die SDL einigte sich schnell mit SDK, SOP und SNK auf die Bildung einer Koalition. Meciar wird die Slowakei nicht mehr regieren. Zumal nur noch einer seiner beiden bisherigen Koalitionspartner, die rechtsextreme Slowakische Nationalpartei (SNS), mit neun Prozent den Einzug ins Parlament schaffte. Gemeinsam verfügen HZDS und SNS über insgesamt 57 Sitze, die neue Regierungskoalition dagegen über 93.

Doch mit einer Koalition allein ist noch kein Staat zu machen. Immerhin schaffte es Meciar in den vergangenen vier Jahren, beinahe sämtliche staatlichen Institutionen unter seine Fittiche zu zwingen. Der Geheimdienst SIS ist ihm treu ergeben, das slowakische Staatsfernsehen STV ist sein Privat-Sender. Ehemalige Staatsbetriebe wurden in den Besitz von Günstlingen des Premiers privatisiert. Damit will die neue Regierung nun aufräumen: Rudolf Schuster kündigte an, sämtliche Privatisierungen der letzten vier Jahre überprüfen zu wollen. Eventuell widerrechtlich an Staatsbesitz gekommene Meciar-Freunde sollen gar enteignet werden. Auch das slowakische Fernsehen soll entmeciarisiert werden - ebenso die Gerichte.

Doch das ist nicht ungefährlich: Bei den geplanten Säuberungen könnte Meciar wieder einmal den Märtyrer mimen und das Land abermals polarisieren. Daß er dies kann, hat er in den letzten vier Jahren eindrucksvoll bewiesen. Immer wieder wurden seine Gegner als Verräter an der slowakischen Nation diffamiert.

Gefahren drohen der neuen Regierung auch von der leeren Staatskasse. Die nämlich ist nach vier Jahren Meciar und dessen baulicher Gigantomanie leergeplündert. Und während sich die neue Regierung an solchen Problemen abarbeiten muß, kann Meciar in Ruhe seine erneute Machtübernahme planen.