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Die französische Regierung setzt auf die Zusammenarbeit Paris-Bonn/Berlin als sozialdemokratischer Motor der Europäischen Einigung

Ganz Westeuropa wird von den Neokonservativen beherrscht. Ganz Westeuropa? Nein. Ein kleines gallisches Dorf, geführt von sozialistischen Häuptlingen, leistet den Eindringlingen erbitterten Widerstand. So könnte ein Versuch beginnen, die Geschichte der französischen Linksregierung zu schreiben.

Gemeint wäre nicht jene - rosa-rot-grüne -, die nach der Wahl vom Juni 1997 unter Lionel Jospin gebildet wurde, sondern ihre Vorgängerin, die sozialistisch-kommunistische Koalition, die nach dem Sieg Fran ç ois Mitterrands bei der Präsidentschaftswahl im Mai 1981 das Ruder übernahm. Tatsächlich lag diese Regierung der französischen "Linksunion" voll gegenläufig zum damaligen politischen Trend in der gesamten westlichen Hemisphäre: Margaret Thatcher war 1979 in Großbritannien ins Amt gewählt worden, Ronald Reagan 1980 in den USA, in Westdeutschland folgte 1982 Helmut Kohl.

Nach einer kurzen Reformperiode, in der die neue Pariser Regierung eine Reihe sozialer Forderungen zu befriedigen suchte (Arbeitszeitverkürzung von 40 auf 39 Stunden, Ankündigung der 35-Stunden-Woche für 1985, Einführung der fünften Woche Jahresurlaub), wurde unter Wirtschaftsminister Jacques Delors ab dem Frühsommer 1982 eine 180-Grad-Wende eingeschlagen, ab dem Herbst sprach man vom tournant de la rigueur (Wende zur Austerität). Die Einbindung des französischen Franc in das Europäische Währungssystem (EWS), das einen festen Währungskurs vorschrieb, und die Politik der westeuropäischen EG-Partner verbiete eine andere Politik, hieß es damals.

Es ist kein Zufall, daß es derselbe Jacques Delors ist, der wenige Jahre später als Präsident der Europäischen Kommission (ab 1985) die zunehmende ökonomische Integration Westeuropas predigte und für eine gemeinsame europäische Währung eintrat. Hintergedanke dabei war, daß eine echte ökonomische Union auf EG/EU-Ebene eine Situation wie die der "Linksunion" in den frühen achtziger Jahren aufbrechen könne, da sie eine Koordinierung der Wirtschaftspolitiken der Teilnehmerländer erlaube.

Gleichzeitig sollte eine EG/EU-Währung die starke DM, die mächtigste Waffe des ökonomisch übermächtigen Nachbarn BRD neutralisieren. Deren "Härte" zog die spekulativ über die Kapitalmärkte fließenden Investorengelder an und zwang Frankreich zu einer "orthodoxen" Finanzpolitik. Lohnerhöhungen und Sozialausgaben als "Inflationsgefahr", die die Kapitalien verschrecken könnte, wurden zur Seite geschoben.

Was daraus geworden ist, ist bekannt: Die Wirtschaftsunion wurde in der Folgezeit als nahezu lupenrein-liberales Projekt vorangetrieben. Dabei steht im Mittelpunkt, daß alle Hindernisse für die freie Konkurrenz auf dem EG/EU-Binnenmarkt wegzuräumen sind. Die gemeinsame Währung, der Euro, wurde nach der Art und Weise deutsch-orthodoxer Währungspolitik ausgestaltet - unter der Kontrolle einer Europäischen Zentralbank (EZB), die wie die Bundesbank in Frankfurt/Main sitzt und wie diese von jeglicher Kontrolle durch gewählte politische Organe frei ist.

Hat sich diese Ausgangslage kurz vor dem Eintritt in die Währungsunion geändert, seitdem 13 von 15 EU-Staaten von Sozialdemokraten (mit-)regiert werden und mit Schröders Sieg auch das dritte zentrale EU-Land sozialdemokratisch geführt wird? Diese Frage treibt die Franzosen zur Zeit um. In einem Beitrag für das Wochenmagazin Le Nouvel Observateur schreibt Premierminister Jospin: "All diese Krisen (Rußland, Asien u.a.) lösen eine Illusion auf: jene der Autonomie der ökonomischen Sphäre, welche vom politischen System, von der sozialen Organisation losgelöst handelt. Die Koordinierung der Wirtschaftspolitiken, die dank des Euro-Rats" - der als informelle Institution der EZB ohne echte Befugnisse gegenübersteht - "begonnen wurde, geht aus dieser Prüfung gestärkt hervor. Europa hat auch die politische Grundlage, dank einer Konstellation, in der die Linkskräfte - naturgemäß sensibel für ein solches Vorgehen - in der Mehrheit sind."

Die Frage wird also sein, ob die sozialdemokratische Einfärbung Europas sich tatsächlich in eine entsprechende gemeinsame Politik umsetzen läßt. Bisher scheint das zweifelhaft. Erinnert sei an den EU-Gipfel von Amsterdam im Juni 1997; die frischgewählte Jospin-Regierung hatte gefordert, neben dem "Stabilitätspakt", der die orthodoxe Finanzpolitik absichert, zusätzlich einen "Beschäftigungspakt" zu verabschieden. Auf einem Treffen der Sozialistischen Internationale im schwedischen Malmö war wenige Tage zuvor vereinbart worden, daß die skandinavischen und südeuropäischen sozialdemokratischen Regierungen die französische Position unterstützen würden. Doch diese machten in Amsterdam gegenüber den Repräsentanten Kohls nicht einmal den Mund auf. Nationales Interesse ging eben doch vor sozialdemokratischer Familienzugehörigkeit.

Die französischen Sozialisten setzten intensive Hoffnungen auf die Wahl Schröders, den sie im deutschen Wahlkampf unterstützt hatten, da die "Achse Paris-Bonn" als "Motor" der europäischen Einigung eine Koordinierung sozialdemokratischer Politiken voranbringen könne. Bei seinem Antrittsbesuch in Paris am Mittwoch vergangener Woche wollte Schröder dazu aber nur wenig konkret werden. "Der bewußt glatte, wohlgefällige und ein wenig inhaltsleere Diskurs Schröders sucht zu verführen und Konsens zu stiften. Dieser Stil, der seinen politischen Aufstieg erlaubt hat, prägte seinen ersten diplomatischen Besuch", notierte die linksliberale Pariser Libération.

Eine europäische Koordinierung der Sozial- und Arbeitsmarktpolitik? Natürlich sei das der Punkt, in dem seine Regierung sich von der seines Amtsvorgängers unterscheiden werde, aber "Deutschland muß immer eine pro-deutsche Politik machen", zitiert L'Humanité Schröder.

Eine Reform des IWF und des Weltwährungssystems von Bretton Woods, wie sie Lionel Jospin vorgeschlagen hat, um aus dem IWF einen "wirtschaftlichen Sicherheitsrat" zu machen? Es sei noch zu früh, sich dazu konkret zu äußern, meinte Schröder. "Früher oder später wird man die internationalen Kapitalflüsse kontrollieren müssen", setzte er hinzu. Für bilaterale Fragen zwischen Bonn und Paris, die etwa die Höhe der deutschen Beiträge zum EU-Budget oder die EU-Osterweiterung betreffen, wurden Arbeitsgruppen eingesetzt.

Der Fortgang der Versuche, eine gemeinsame Politik zu definieren, ist offen. Das Wochenmagzin EDJ und die KP-Zeitung L'Humanité sagen für den Fall, daß das wirtschaftliche Wachstum abfällt, massive Konflikte zwischen Paris und Bonn/Berlin über die künftige EZB-Politik voraus. Sicher aber ist, daß die politische Verantwortung der Sozialdemokratie für die nähere Entwicklung des europäischen Kapitalismus total sein wird. Ausreden, wie sie 1981 triftig gewesen sind, ziehen heute nicht mehr.