Im Zweifel für den Staatsanwalt

Nachdem ein Bonner Zivilgericht ihre Schadensersatzklage abgewiesen hat, setzen die Eltern von Wolfgang Grams nun auf den Europäischen Gerichtshof

Nein, wirklichen Grund zu Optimismus hat der Wiesbadener Rechtsanwalt Andreas Groß nicht. Und dennoch läßt ihn die Entscheidung der 1. Bonner Zivilkammer hoffen: "Das Urteil ist nicht so negativ, wie es auf den ersten Blick aussieht", sagte der Jurist im Gespräch mit der Jungle World. Das Gericht wies die Klage der Eltern des in Bad Kleinen ums Leben gekommenen Wolfgang Grams zurück.

Die Bundesregierung muß nun nicht, wie von der Familie gefordert, die Beerdigungskosten des Grams-Sohnes in Höhe von 12 305,69 Mark übernehmen. Schließlich habe auch das Zivilverfahren nicht klären können, ob das RAF-Mitglied tatsächlich an diesem Junitag 1993 auf dem Bahnhof in der Mecklenburger Kleinstadt von Beamten der GSG-9 ermordet worden ist.

Daß Verteidiger Groß trotz der Entscheidung vom vergangenen Dienstag noch hofft, die Wahrheit über den Einsatz der Antiterror-Einheit könne eines Tages ans Licht gebracht werden, liegt an der Urteilsbegründung des Vorsitzenden Richters Heinz Sonnenberger. Denn während sich die Bundesregierung in ihrem Abschlußbericht vom Frühjahr 1996 darauf festgelegt hat, Grams habe sich eindeutig selbst umgebracht, zog Sonnenberger ein anderes Fazit: "Wir kommen nicht zu einem erwiesenen Selbstmord und nicht zu einer erwiesenen Fremdtötung." Mit anderen Worten: Ein deutsches Gericht hat eingeräumt, daß Beamte des Bundesgrenzschutzes (BGS) den RAF-Aktivisten erschossen haben könnten.

Allein deshalb müßten die beiden verdächtigen GSG-9-Männer vor Gericht kommen, meint Groß. Das ist freilich nicht zu erwarten, nachdem Rostocker Landesrichter bereits im März 1996 eine entsprechende Klage als unbegründet abgewiesen hatten. Es sei denn, die Grams-Eltern entscheiden sich, nun auch beim Kölner Oberlandesgericht ein Zivilverfahren anzustrengen. Möglicherweise werde man dann dort die verdächtigen Beamten laden lassen, überlegt der Anwalt. Vor allem aber setzt er auf den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte. Dort liegt seit bald zwei Jahren eine Beschwerde der Eheleute Ruth und Werner Grams vor, weil gegen die BGS-Beamten keine Anklage erhoben wurde. Über tausend Seiten Akten hat Groß nach Straßburg geschickt. Nach dem Bonner Urteil werden es noch ein paar mehr sein, die beweisen sollen, woran der Wiesbadener Jurist selbst keinen Zweifel hegt: "Wolfgang Grams wurde hingerichtet."

Doch den beiden Zeugen, die der Anwalt zur Unterstützung seiner These beim Zivilverfahren hatte vorladen lassen, wollte Richter Sonnenberger keinen Glauben schenken. So sei bei einem Zeugen, der gesehen haben will, wie Grams erschossen wurde, gar nicht klar, "ob er überhaupt am Tatort war". Auch die Kioskverkäuferin Johanna Baron habe einen verwirrten Eindruck gemacht und sei unglaubwürdig. Ihre Angaben stimmten nach Meinung Sonnenbergers nicht mit dem bislang nachgewiesenen Ablauf des Geschehens überein. Dennoch bescheinigte Groß der Kammer angesichts der bisherigen "Beweismittelvernichtung" einen "fairen Zivilprozeß" und räumte "Ungenauigkeiten" in den Aussagen der Frau Baron ein.

Für Groß steht ohnehin die Einlassung eines Bundeskriminalamts-Beamten im Vordergrund. Der BKA-Mann hatte von einem "geschlossenen Geschehensablauf von zehn bis 15 Sekunden" gesprochen, in dem das RAF-Mitglied auf dem Bahnsteig mehrmals von Polizeikugeln getroffen und dann auf das Gleis gestürzt sei. Warum, will Groß nun wissen, könne kein Beamter erklären, "wie das Loch in Grams' Kopf kam", wo der Flüchtige doch "immer unter Kontrolle" gewesen sei. Die im Abschlußbericht der Bundesregierung festgeschriebene Version, nach der sich Grams - im Fallen oder schwerverletzt auf den Gleisen liegend - mit einem aufgesetzten Schuß aus seiner eigenen Waffe selbst tötete, hält Groß schlichtweg für "absurd".

Sollte der Straßburger Gerichtshof zu einer ähnlichen Einschätzung kommen, muß das Strafverfahren neu aufgerollt werden - schließlich hat eine Entscheidung dieser Art "internationalen Instanz" Weisungscharakter. Ob die beiden verdächtigen BGS-Beamten dann verurteilt werden? Groß ist skeptisch.

Doch auch wenn ein Gericht im Zweifel für die Angeklagten entscheiden würde, wäre zumindest ein Ziel des Anwalts und seiner Mandanten erreicht. Denn "allein die Vorstellung, daß nach jahrelanger Isolationshaft und Killfahndung gegen die RAF auch noch die Selbstmordversion von Bad Kleinen als einzige Wahrheit stehen bleibt, ist überaus erschreckend."