Wacht am Balkan

Die SPD läßt Differenzen zu Noch-Verteidigungsminister Rühe gar nicht erst aufkommen. Die Grünen wollen einen Kosovo-Einsatz der Bundeswehr nur mit UN-Mandat

Die Militärmusikanten üben schon. Einen Tag vor der Kanzlerkür im Bundestag bläst das Bundeswehr-Wachbataillon dem scheidenden Verteidigungsminister Volker Rühe zum Abschied noch einmal den Großen Zapfenstreich. Der kommende, sozialdemokratische Wehrchef wird ebenfalls dabeisein, wenn die Soldaten nicht zur Waffe, sondern nach ihren Musikinstrumenten greifen - zur offiziellen Amtsübergabe. Eingeführt wird der neue Oberbefehlshaber über die deutschen Streitkräfte, wie es sich für ordentliche Militärs gehört.

Den heimlichen Amtseid hat Rühe seinen potentiellen Nachfolgern schon in den letzten Wochen vorgebetet. Die SPD-Kandidaten für den Posten auf der Bonner Hardthöhe haben ihr Sprüchlein gelernt: Günther Verheugen und Rudolf Scharping wurden in der letzten Woche nicht müde zu betonen, daß es unter der neuen Bundeswehrführung kein Abrücken von der "außenpolitischen Kontinuität" und "bündnispolitischen Verläßlichkeit Deutschlands" geben werde. Reibungslose Übergabe bei den Militärs.

Die bündnispolitisch derzeit brisantesten Akten übergab der alte dem vermutlich neuen Verteidigungsminister bereits letzten Dienstag. Zwei Tage nach der Bundestagswahl traf sich Rühe mit dem amtierenden Chef der SPD-Bundestagsfraktion Rudolf Scharping, um ihm die Unterlagen zu überreichen, die die deutsche Beteiligung an einem Nato-Einsatz im Kosovo regeln. Einen Tag später beschloß das Bundeskabinett, sich mit 14 Tornado-Jets an einem möglichen Luftangriff der Nato gegen Jugoslawien zu beteiligen. Darüber hinaus stellte die Regierung 500 Soldaten zur Boden-Erkundung und -Aufklärung bereit.

Zunächst handelt es sich bei der Entscheidung des Kabinetts nur um die Antwort auf eine Anfrage des Nato-Hauptquartiers in Brüssel, wie viele Kampfflugzeuge die 16 Nato-Staaten für einen möglichen Militäreinsatz zur Verfügung stellen könnten. Auf ihrer Sondertagung im portugiesischen Villamoura hatten die Mitgliedsstaaten dieses als "activation warning" bezeichnete Verfahren Ende September in Gang gesetzt. Als nächster Schritt würde dann die "activation request" folgen, in der die Nato-Staaten bekräftigen, daß die Streitkräfte tatsächlich zur Verfügung stehen. Beide Beschlüsse bedürfen der Zustimmung des Bundestags. Ist der Bereitstellungsbeschluß des alten Kabinetts vom Parlament erst einmal abgesegnet, wäre die erste Stufe der Mobilisierung erreicht.

Um dies vor Antritt der neuen Regierung zu verhindern, forderte Angelika Beer, Verteidigungsexpertin der Bündnisgrünen, die Bundesregierung auf, keine Entscheidung über den Einsatz der Bundeswehr-Kampfjets zu treffen. Rühe warf sie vor, mit der Kosovo-Frage die zukünftige Koalition zu spalten.

Beer wittert den ersten Koalitionskrach. Und in der Tat scheint die Entscheidung über einen Militäreinsatz der Bundeswehr im Kosovo zur ersten außenpolitischen Belastungsprobe für die rot-grüne Regierung zu werden. Zwar will eine überwiegende Mehrheit der Parlamentarier von SPD und Grünen einem Nato-Einsatz nur zustimmen, wenn dafür ein eindeutiges Mandat des UN-Sicherheitsrats vorliegt. Doch die sozialdemokratischen Aspiranten auf Rühes Posten haben dessen Positionen zu einem Kosovo-Einsatz schon weigehend übernommen.

Obwohl noch in der letzten Woche Nato-Generalsekretär Javier Solana einen Militärschlag gegen die südserbische Provinz als unwahrscheinlich bezeichnete, bestand Rühe weiter auf einem Ultimatum gegen Jugoslawien. Verheugen und Scharping verfolgen dieselbe Linie. Rühe will wie kein anderer den Nato-Schlag im Kosovo: Nach Bosnien soll der Bundeswehr ein zweites, erweitertes Testfeld in Jugoslawien bereitet werden. Verzögerungen wegen des Regierungswechsels, darin ist sich Rühe mit den Sozis einig, wären für die Glaubwürdigkeit der Nato-Drohungen nur schädlich. Rühe: "Ich finde es wichtig, daß wir Herrn Milosevic nicht darüber spekulieren lassen und daß Deutschland nicht abbremst."

Verheugen konnte sich nach dem Kabinettsbeschluß ebenfalls eine Lage im Kosovo vorstellen, die einen Militärschlag auch ohne UN-Mandat "notwendig machen könnte". Und auch Scharping schwenkte auf die Rühe-Linie ein: Die bisherige Resolution des Sicherheitsrats reiche aus, ein neuer Beschluß der Vereinten Nationen sei nicht notwendig.

Da hilft es grünen Politikern wenig, wenn sie, wie ihr Vorstandssprecher Jürgen Trittin in der vergangenen Woche, auf das Völkerrecht pochen. Auch eine "abgewählte Bundesregierung", so Trittin, sei daran gebunden: Eine Intervention im Kosovo bedürfe deshalb der ausdrücklichen Autorisierung durch den UN-Sicherheitsrat - ansonsten liege ein "Bruch des Völkerrechts" vor.

Rühe dürfte dies wenig stören, er will sich selbst den schönsten Abschied bescheren. Sollte der UN-Sicherheitsrat der Nato am Mittwoch grünes Licht für einen Militärschlag geben, könnte doch noch das alte Kabinett die deutsche Beteiligung beschließen. Um die "deutsche Handlungsfähigkeit" nicht zu gefährden, ist für den 14. Oktober eine Sondersitzung des Kohl-Kabinetts angesetzt. Einziger Tagungsordnungspunkt: der Nato-Einsatz im Kosovo.