Hilfsgüter für Wählerstimmen

Bei den Kommunalwahlen in Chiapas setzte sich die mexikanische Regierungspartei durch - trotz Naturkatastrophe und Wahlboykott. Oder deswegen?

Eine Naturkatastrophe hat auch ihre Vorteile: Die mexikanische Regierungspartei PRI (Partei der Institutionalisierten Revolution) präsentiert sich als Siegerin der Kommunalwahlen in Chiapas. Nach der Auszählung von 90 Prozent der am 4. Oktober abgegebenen Stimmen liegt sie in 81 von 103 Landkreisen vorn. Die linksoppositionelle PRD (Partei der Demokratischen Revolution) gewann dagegen nur 17 Landkreise, die rechtskatholische PAN (Partei der Nationalen Aktion) siegte in fünf Stimmbezirken, darunter der Landeshauptstadt Tuxtla Gutiérrez.

Die glänzende Bilanz der Regierungspartei ist allerdings das Ergebnis eines weitgehend illegitimen und manipulierten Wahlvorgangs. Das wußten die meisten Chiapaneken schon vor dem Urnengang: Etwa 65 Prozent der 1,7 Millionen Einwohner gaben deshalb ihre Stimme gar nicht erst ab. Neben der Militarisierung des Bundesstaates - mit dem Ziel, die Guerilla EZLN in Schach zu halten - wirft die Opposition der Regierung vor, die katastrophalen Auswirkungen der Regenfälle in der ersten Septemberhälfte zu Wahlkampfzwecken genutzt zu haben.

Damals wurden weite Teile von Chiapas überschwemmt. Nach Angaben von Hilfsorganisationen sind mindestens 500 Menschen getötet worden. Das Gesundheits- und Erziehungssystem brach in vielen Gemeinden zusammen, Preise für Lebensmittel stiegen um 200 Prozent. Viele Dörfer mußten wochenlang mit Helikoptern versorgt werden, weil sie von der Außenwelt abgeschnitten waren. Die Agrarproduktion im Katastrophengebiet wurde weitgehend vernichtet.

Bereits als sich die Ausmaße der Verwüstungen abzuzeichnen begannen, forderten Opposition, Kirchen und zahlreiche Nichtregierungsorganisationen die Aussetzung der Wahlen. Doch die Regierungspartei setzte ihren klientelistischen Apparat in Gang und begann, die staatlichen Hilfsgüter über ihre Strukturen und die örtlichen Kandidaten an die Katastrophenopfer zu verteilen. Dabei begünstigte sie systematisch ihre Anhänger und verweigerte Parteigängern der Opposition die Hilfe. An anderer Stelle wurden die Hilfsgüter nur unter der Bedingung ausgehändigt, daß die Empfänger in Zukunft wieder PRI wählen.

Die PRD protestierte gegen diese Praxis, die überall in Mexiko gebräuchlich ist, und stellte ihre Wahlkampagne schließlich weitgehend ein. Auch die PAN schloß sich den Anschuldigungen an. Mit einem Kommuniqué reagierte die EZLN: "Die Führung der PRI in Chiapas und die Landesregierung rauben die humanitäre Hilfe, die für die Opfer der Katastrophe in der Sierra und der Küste bestimmt ist."

Präsident Ernesto Zedillo sah sich bei einem Besuch im Katastrophengebiet genötigt, auf die Anschuldigungen zu reagieren, und erklärte, daß die Regierung garantiere, die humanitäre Hilfe nicht zu politischen Zwecken einzusetzen. Um dies zu kontrollieren und aufgrund des Mißtrauens in die Behörden, bildeten sich spontan Brigaden Hunderter aufgebrachter Bürger, die die Transporte in die überschwemmten Gebiete begleiteten.

In den Einflußgebieten der EZLN hingegen versuchte die PRI, die Wahlen zur Wiederherstellung politischer Kontrolle zu nutzen. Unter der Protektion des Militärs wurden paramilitärische Gruppen gestärkt, deren Führer vielerorts die Wahlkampagne der Partei koordinierten. So sollte den Zapatistas Territorium abgewonnen werden. Der Wahlkampf führte auf diese Weise die Politik von Integration und Repression fort, mit der die PRI den Zapatismus bekämpft. Einerseits wurden Hilfsgüter verteilt, anderseits die Paramilitärs aufgewertet, die in Verbindung mit Armee und Polizei seit Beginn des Jahres etwa 60 Menschen, meist Sympathisanten der EZLN, ermordet haben und für die Vertreibung von 20 000 Menschen mitverantwortlich gemacht werden.

Wie schon bei den Kommunalwahlen im Oktober 1995 organisierte die EZLN einen Wahlboykott, dem wie damals ein großer Teil der Bevölkerung folgte. In der Selva Lacandona nahmen nur 14 Prozent der Stimmberechtigten an den Wahlen teil, obwohl PRI-Funktionäre Medizin, Lebensmittel und Kleidung für die Stimmabgabe verschenkten. In Acteal, wo im Dezember letzten Jahres 45 Zapatista-Sympathisanten von Paramilitärs hingerichtet wurden, nahm so gut wie niemand an der Wahl teil. Statt dessen setzt die EZLN auf den Aufbau sogenannter "autonomer Landkreise". Dort ersetzen von zapatistischen Sympathisanten aufgebaute Parallelstrukturen die staatliche Verwaltung. Abstimmungen finden in Vollversammlungen statt.