Rezepte für Kröten

Die linken Grünen verleihen der neuen FDP erst den richtigen Geschmack.

Gut, daß die Grünen an der Regierung sind, hört man in diesen Tagen von Freunden der Partei - schade, daß sie so wenig durchsetzen konnten. Diejenigen, die der Grünen längst überdrüssig sind, wenden dasselbe Argument gegen sie: Egal, ob die Ökos mitregieren, sie werden sowieso wieder überall einknicken. Rot-Grün = Rot Pur; Beweis: NRW, Schleswig-Holstein, Hamburg.

Gemeinsam ist Optimisten wie Pessimisten der Glaube an das bessere Prinzip, das die Grünen vorgeblich verkörpern. Das Böse, das ist die SPD, der man abtrotzen muß, was man ihr abtrotzen kann. Weil die SPD so böse ist, gibt sie immer viel zu wenig nach und versucht, gute Menschen abzuschieben, böse Löcher in die Erde zu graben und böse Autobahnen und Atomkraftwerke in die Landschaft zu klotzen. Gute Menschen, gute Erde, gute Landschaft. Böse SPD. Reflektorisch klagen Basisaktivisten dann übers Krötenschlucken. Daß sie mittlerweile einige Rezepte kennen, um die Amphibie schmackhaft zu machen, verschweigen sie.

Denn eines wollen und dürfen auch sie nicht bestreiten: Daß der schlimmste Grüne immer noch besser ist als der beste Sozialdemokrat. So mußten sich die Trittins und Müllers und diversen Fischers und Becks auf dem Bonner Parteitag von der Parteilinken hauptsächlich vorwerfen lassen, sie seien den Sozialdemokraten gegenüber zu soft gewesen, hätten Beschlüsse grüner Parteitage nicht ausreichend durchgesetzt.

Beharrlich hält sich die Annahme, die grüne Partei sei links zu verorten - offenbar deswegen, weil Fragmente aus Bewegungszeiten, wie etwa die Forderung nach der Abschaffung von Atomkraftwerken, automatisch als linke Politik buchstabiert werden. Und weil heutzutage schon beinahe als Revolutionär durchgeht, wer die Menschenrechte auch nur im Parteiprogramm einklagt.

Doch die sonstigen Basics der Partei zeigen ein anderes Bild: Die Grünen sind vor allem angetreten, um nun auch in Bonn das programmatische Erbe der alten deutschen Liberalen fortzuführen. Im Gegensatz zur heutigen FDP steht die Partei für eine politische Erneuerung, wie sie dem Stand der Produktivkräfte entspricht: ökologisch, flexibel, modern. Doppelte Staatsbürgerschaft und frühere Einbürgerung als Dreingabe, um die juristische der realen Situation anzupassen.

Dagegen stehen, vom Versprechen der "außenpolitischen Kontinuität" und der Kantherschen "Kriminalitätsbekämpfung" ganz abgesehen, eine Reihe von Beschlüssen, mit denen die Grünen sich liberal ins Zeug gelegt haben. Sei es bei den Renten, wo sie sich schon im vergangenen Jahr zusammen mit der Union gegen die Sozialdemokraten für eine Senkung von 70 auf 64 Prozent aussprachen. Oder in der Steuerpolitik, wo bis 2002 der Spitzensteuersatz von 53 auf 48,5 Prozent (bei den Grünen waren noch niedrigere Zahlen im Gespräch) gesenkt wird, um mittelständische Investitionslaune zu stimulieren. Und in der Diskussion zum Staatshaushalt machte sich nicht nur ein Oswald Metzger für eine restriktive Ausgabenpolitik stark.

Die Beispiele zeigen: Die Links-Rechts-Meßlatte läßt sich nicht mehr mit der vermeintlichen rot-grünen Dichotomie in Einklang bringen. Schließlich war es der Sozialdemokrat und angehende Finanzminister Oskar Lafontaine, der an diesem Punkt mehr Spielraum auf Kosten einer höheren Staatsverschuldung verteidigt hat.

Was die Grünen gegenüber der SPD durchsetzen konnten, läßt sich also durchaus mit dem Einfluß der FDP in der alten Regierungskoalition vergleichen. Nachdem dort die Bürgerrechtsorientierten um Sabine Leutheusser-Schnarrenberger und Burkhard Hirsch die Segel quasi gestrichen haben, geht an den Ökos kein Weg der Modernisierung mehr vorbei. Für den mittelständisch-akademischen Nachwuchs, geprägt von den sozialliberalen siebziger Jahren, war die Westerwelle-FDP ohnehin kein Angebot mehr, auf das man sich einlassen wollte.Den Strategen Fischer und Kuhn kommt nun der Verdienst zu, diese Wählergruppe ins Auge gefaßt und die Grünen nach deren Vorbild geformt zu haben. Den verbliebenen Parteilinken bleibt dagegen die Rolle, die einst in der FDP die Jungdemokraten spielten. Wenn die Grünen dereinst den Partner wechseln und in eine Koalition mit CDU und CSU eintreten, kann man ja immer noch geschlossen austreten.

Logisch auch, daß die Grünen nun die selben Rücksichten zu nehmen haben wie früher die FDP. Wer einen hohen Lebensstandard zu wahren hat, der achtet sehr genau darauf, ob ihm die eigene Partei nicht etwas davon wegnehmen will. Spätestens, als die Debatte um die Benzinpreiserhöhung annähernd die Hälfte der grünen Wähler in die Flucht geschlagen hatte, wurde auch dem letzten Grünen-Funktionär klar, daß der Basis der Mittelklassewagen längst näher ist als der Schafwollpullover. Fischer machte kein Hehl daraus, was er von solchen Querschüssen hält.

Doch trotz seiner Klientelpolitik nimmt die grüne Parteibasis dem Anführer der Verhandlungskommission fast geschlossen ab, daß er die Forderung nach einer 30-Pfennig-Benzinpreiserhöhung in die Koalitionsverhandlungen eingebracht hat, daß er sogar versucht hat, die Parteitagsbeschlüsse zu Auslandseinsätzen der Bundeswehr durchzusetzen. Wer auf den Gedanken kam, daß es, mehr als die bösen Sozialdemokraten, die Verhandlungsdelegation - und vor allem Joseph Fischer - war, die steuerte, was bei den Verhandlungen an grünen Programmpunkten durchgesetzt werden konnte und was nicht, der schwieg. Herausgekommen ist ein Koalitionsvertrag, der die Handschrift der Rechten in der SPD und bei den Grünen trägt - der einen so gut wie der anderen.