Was ist zeitgemäßer: Mahnmal oder Spielberg?

Für Ekel

Die Fragen, die nicht entscheidend sind, lassen sich immer sofort beantworten. Etwa die, was zeitgemäßer sei - die von Mitarbeitern Steven Spielbergs auf einer CD-Rom aufbereitete Sammlung von Video-Interviews mit Holocaust-Überlebenden oder ein mehr oder weniger abstraktes Holocaust-Mahnmal, "Nauman" (Tagesspiegel) oder der Nowhere Man.

Etwas schwerer zu beantworten ist die Frage, was aufgeklärter, bewußter, politischer ist. Man braucht dann wenigstens zwei Minuten, um sagen zu können: Ich nehme den Nowhere Man oder gar keinen.

Aber ist nicht das, was zeitgemäß ist, stets aufgeklärter, bewußter, politischer, besser? Ist nicht z.B. ein Mahnmal Teil der verquälten deutschen Gedenkkultur, die abgeschafft gehört, und eine Gedenk-CD-Rom faßlich, lehrreich, erschütternd, einfach modern? Wir kennen das Argument aus der Zeit, als die Serie "Holocaust" lief, und aus der, als Oskar Schindler die Herzen rührte: Die deutschen Intellektuellen hätten bloß über das Verbrechen der Verbrechen schwadroniert, da seien einige US-amerikanische Burschen gekommen, hätten das religiöse Bildverbot verletzt, die Geschmacksgrenzen überschritten, seien herrlich trivial und zeitgemäß gewesen. An die Stelle der geisterhaften Debatte hätten sie etwas sinnlich Faßbares gesetzt. "Schindler's List" habe den Holocaust dargestellt, hieß es damals anerkennend.

An dieser Auffassung ist alles falsch. Der Realismus samt seiner Einbildung, man könne symbolische Entsprechungen für die Wirklichkeit finden, ist keine US-amerikanische Erfindung, sondern eine des europäischen 19. Jahrhunderts. Im Gegensatz dazu formulierte das 18. Jahrhundert, das Zeitalter der Aufklärung, die Unmöglichkeit von Darstellung. Das ist nicht zeitgemäß, aber modern.

Zeugnisse werden abgelegt, sie sollten gehört werden. Aber Spielbergs Versuch, Zeugnisse in Videoclips zu zwingen, sie mit Routinefragen zu lenken, der Versuch, Leben zu katalogisieren, eine Totalität des Erinnerten anzustreben, ist obszön. (Jacques Derrida spricht in seinem neuen Buch, "Demeure", davon, ein Zeugnis anzuhören, verlange die Einsicht in dessen prekären Charakter. Er zitiert Paul Celan: "Niemand / zeugt für den / Zeugen".) Ebenso obszön war es, durch ein Mahnmal dem Gedenken staatliche Würden abtrotzen zu wollen.

Nicht alles, was die Erinnerung an den Mord wachhält, wird ihm gerecht. Im Gegenteil kann ihm nur die Einsicht, daß ihm nichts gerecht wird, gerecht werden. Es läßt sich streiten über die von verschiedenen französischen Denkern, aber auch von Adorno vertretene Meinung, daß die Kultur, in der Auschwitz stattfand, nicht das Recht hat, sich Auschwitz einzuverleiben. Es läßt sich darüber streiten; aber wer auch nur zu ein wenig Ekel fähig ist, wird zum selben Standpunkt gelangen.

Schwatzhaften Zeitgenossen ist es ein ungewohnter Gedanke, daß Schweigen unmöglich ist, weil es sie nie nach ihm verlangt hat. Erst recht nicht einsehen wollen sie, daß die Darstellung des Schreckens nur ins Leere gehen kann, daß symbolische Identifikation ein nützliches Beruhigungsmittel sein mag, aber weder moralisch noch philosophisch oder politisch ausreichend ist. Celan, Jabès und andere haben keine Darstellungen versucht, sondern Nicht-Darstellungen; das ist vielleicht die schwierigste Weise, sich dem Schrecken zu stellen. Es ist in jedem Fall die beunruhigendste.

Ruhe mag sich beim Anblick eines Mahnmals oder nach der Vorführung eines erbaulichen Spielberg-Spielfilms einstellen. Ruhe ist denen gegeben, die Geschichte erkennen und darstellen können. Den anderen bleiben nur die Fragen und der Ekel.