Mut zur Intoleranz

Der designierte Innensenator Eckart Werthebach erinnert an Beckenbauer und Kanther, aber die kommen nicht aus Essen
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Er hat ein bißchen was von Beckenbauer. Wenn er die rechte Hand gespielt locker in der Hosentasche versenkt und sich mit der anderen seine leicht getönte Brille zurechtrückt. Skilaufen und Tennis, ach, und gern mal eine wirklich bunte Krawatte. Billige Managerposen, von jemandem, der es nötig zu haben scheint.

Man kann sich vorstellen, daß so einer ein Mercedes-Emblem als Schlüsselanhänger hat. Und auf der Fensterbank in seinem Büro könnte glatt das Modell eines roten Porsche 911 Targa stehen. Stand da übrigens wirklich, im Zimmer 614 der Merianstraße 100 in Köln-Chorweiler, wo EckartWerthebach, Berlins designierter Innensenator, von 1991 bis 1995 das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) hütete. Blick auf den Kölner Dom und auf eine Vitrine mit der vom Onkel geerbten Mineraliensammlung. Die Brocken größtenteils im Siegerland aus dem Staub gehoben. Also keine besonders wertvolle oder originelle Sammlung. Aber irgend einen Spleen braucht man auch als Bürokrat.

Der Mann stammt wie die meisten seiner Steine aus Nordrhein-Westfalen. Aus Essen. Vater Ingenieur bei Krupp. Man kann ihm also die fehlende Mondänität nicht zum Vorwurf machen. Daß er im nahen Köln studierte, im benachbarten Bonn dem Innenministerium diente, dann wieder in Köln den Verfassungsschutz dirigierte, um dann wieder in Bonn dem Innenminister zuzuarbeiten, mag gleichfalls von einer gewisser Provinzialität zeugen. Nach seiner Promotion jedoch war Werthebach einige Monate als juristischer Berater einer Bezirksregierung in Unterfranken auf "Auslandseinsatz", ansonsten blieb er seiner Scholle treu. Wenn er jetzt ins ferne Berlin zieht, um hier den Schönbohm zu machen, ist das für den Mann vermutlich so ähnlich, wie nach Amerika auszuwandern.

Das heißt natürlich nicht, daß Werthebach keine Ahnung von der großen weiten Welt hat. Im Gegenteil. In seiner Laufbahn gewann der tüchtige Beamtentyp aus dem Geheimdienstapparat zahlreiche profunde Einblicke, wenn auch meistens vom Schreibtisch aus. Außer 1977, im Deutschen Herbst. Da war er Mitglied der Krisenstäbe und mußte "tatsächlich im Ministerium übernachten" (Werthebach). Das - oder jedenfalls diese Zeit - habe ihn entscheidend geprägt. Auch geprägt hätten ihn - sagt er jetzt - die letzten Jahre in Bonn, wo er als Staatssekretär bei Kanther angestellt war. Ein "Ziehkind des Bundesinnenministeriums" sei er. So gesehen, hat er auch etwas von Kanther. Werthebach, Beckenbauer, Kanther - es wird nicht besser.

Jedenfalls hat er nichts von Schönbohm. Das läßt sich definitiv sagen. Er ist kein Typ, der mit der Bazooka in den Flur springt und "Alle aus dem Weg, ich bin der Heilige Krieg, ich mach' hier sauber!" ruft. Der Mann springt jetzt in Potsdam herum. Politisch sieht das schon wieder anders aus. Werthebach zitiert gerne Carlo Schmid: Man müsse den "Mut zur Intoleranz" gegen die Feinde der Demokratie aufbringen. Zero tolerance also auch hier. Innensenatoren werden in Berlin ja auch nicht angeheuert, um die Verwaltung zu reformieren, Innensenatoren sollen den künftigen Regierungssitz von politischen Extremisten sauber und den aggressiven, rechten Polizeiapparat unter Kontrolle halten. Wer außer einem soldatesken Ex-General wäre da geeigneter als ein altgedienter Agenten-Boß. "Wer die RAF erledigt hat, wird auch den autonomen 1. Mai bewältigen." Das hat zwar niemand gesagt, aber bestimmt gedacht.

Und ganz so falsch ist das gar nicht. Werthebach war im BfV ein vehementer Vertreter einer engen Zusammenarbeit von Geheimdiensten, Staatsanwaltschaften und Polizei. Die Organisierte Kriminalität sei am besten zu bekämpfen durch den "gemeinsamen arbeitsteiligen Einsatz von Polizei und Verfassungsschutz in Ausschöpfung ihrer bestehenden tatsächlichen und rechtlichen Möglichkeiten bei Wahrung ihrer jeweiligen Eigenständigkeit und Zuständigkeiten", erklärte der damalige VS-Chef in vorbildlichem Beamtendeutsch am 15. April 1994 bei einer Tagung der Friedrich-Ebert-Stiftung in Berlin. Man kann sich vorstellen, wie er diesen Satz zuvor im Angesicht seiner Mineraliensammlung aufs Papier geschrieben hat.

Bei jener Tagung sprach sich Werthebach entschieden gegen eine Aufhebung des Trennungsgebotes von Geheimdiensten und Polizei aus. Aber nicht, wie immer wieder gerne kolportiert wird, um seine nach der Wende unter Legitimationsdruck geratene Behörde vor der Abwicklung zu bewahren. Diese Gefahr bestand nie. Werthebach fürchtete vielmehr um den von ihm heiß geliebten V-Mann-Einsatz.

Bei einem Verfassungsschutz mit Exekutivbefugnissen ebenso wie bei einer Polizei mit erweiterten Ermittlungskompetenzen sah Werthebach das Opportunitätsprinzip gefährdet. Dieses Opportunitätsprinzip, ein Ermessensspielraum, nach dem etwa bei staatsschutzrelevanten Verfahren aus ermittlungstechnischen Gründen von einer Anklageerhebung abgesehen werden kann, ermöglicht V-Leuten des VS das unauffällige Bewegen in bestimmten Kreisen, weil sie dabei ungestraft straftätig werden können. Und Informationen von V-Leuten und Agenten sind für Werthebach "das wichtigste nachrichtendienstliche Mittel" und daher "unverzichtbar für die Beurteilung und Bewertung der Gefährlichkeit von extremistischen Organisationen und Parteien". Berlins Autonome wissen also, was auf sie zukommt.

Ein Gremium, in dem die von Werthebach gepriesene Zusammenarbeit der verschiedenen Repressionsorgane in besonderem Maße ihren Ausdruck findet, ist die Koordinierungsgruppe Terrorismus (KGT). Am 13. Mai 1993 saßen der Generalbundesanwalt von Stahl, BKA-Präsident Zachert, verschiedene Fachbeamte ihrer Behörden und Werthebach für das BfV zusammen in einer Besprechung und ließen sich von Vertretern des VS-Landesamtes Rheinland-Pfalz einige spannende Dinge erzählen. So erfuhr man dort von den Kontakten des VS-Spitzels Steinmetz mit der RAF, und beschloß, sogleich zuzuschlagen. Vier KGT-Sitzungen folgten, um die Festnahme vorzubereiten, die schließlich am 27. Juni 1993 in Bad Kleinen erfolgte. Die Aktion wurde trotz bester Vorbereitung zum Desaster, so daß sowohl von Stahl als auch Bundesinnenminister Seiters den Hut nehmen mußten. Werthebach blieb. So einer bleibt immer. Und wenn er nicht Präsident des FC Bayern wird, dann Innensenator in Berlin.

Daß er dazu am Donnerstag, den 12. November, die nötigen Stimmen im Abgeordnetenhaus bekommt, scheint sicher. Auch wenn PDS und Grüne in der letzten Woche heftig Protest anmeldeten. Sie erinnerten an einen Skandal aus dem Jahr 1991: Damals ließ Werthebach einer Brandenburger FDP-Abgeordneten ein Dossier mit Zeitungsberichten und VS-Einschätzungen über den Datenschutz-Experten Thilo Weichert zukommen, den der VS offenbar als Linksextremisten einschätzte.

Die FDP kündigte daraufhin die Absprachen zur Wahl Weicherts zum Datenschutzbeauftragten des Landes auf. Das Kölner Verwaltungsgericht stellte 1993 fest, daß die Aktenübermittlung rechtswidrig gewesen sei und ein "unzulässiger Eingriff in die parlamentarische Willensbildung des Brandenburger Landesparlaments". 1995 wurde das von Weichert angestrengte Verfahren gegen Werthebach jedoch eingestellt. Die Ausrede des VS, der Bote habe den vertraulichen Teil des Dossiers versehentlich bei der FDP-Frau liegengelassen, reichte dazu aus.

Der Berliner Grünen-Sprecher Wolfgang Wieland schimpfte daher jetzt, Werthebach habe in seiner VS-Zeit "intrigiert und konspiriert". Irgendwie eben doch ein Beckenbauer-Typ. Schönbohm hätte gleich geschossen.