Tod in Exilien

Die Deutsche Andrea Wolf starb, wie viele in Kurdistan sterben - ermordet von der türkischen Armee

Als Opfer wollte sie sich nicht behandelt wissen. Sie sei nicht in die Illegalität getrieben worden: "Das ist immer noch ein Schritt, den du selbst machst", widersprach sie der RAF-Gefangenen Birgit Hogefeld. Dennoch hatte Andrea Wolf allen Grund, sich dem Zugriff der deutschen Behörden zu entziehen: Die Bundesanwaltschaft (BAW) warf ihr vor, sie habe die RAF beim Sprengstoffanschlag auf den Neubau des Weiterstädter Gefängnisses 1993 unterstützt.

Das war 1995. Damals, so schrieb sie ein Jahr später, sei sie gerade auf Reisen in Lateinamerika gewesen. Schon zweimal war sie im Knast gesessen: Anfang der achtziger Jahre, weil sie sich an Aktionen der Münchner autonomen Bewegung "Freizeit '81" beteiligt hatte; 1987, nachdem sie ein Spitzel in der süddeutschen Autonomen-Szene bei den Strafverfolgern angeschwärzt hatte. Zwar stellten sich die Anschuldigungen - die Vorbereitung von Brandanschlägen - als haltlos heraus, trotzdem saß Wolf mehrere Monate in Untersuchungshaft.

Daß die BAW ausgerechnet beim Vorwurf der RAF-Unterstützung zurückhaltender vorgehen werde, war kaum zu erwarten. Auch wenn dem Staatsschutz nach ihren Worten bekannt war, "daß ich nichts damit zu tun habe". Also kehrte sie nicht nach Deutschland zurück, zumal die Terrorfahnder mittlerweile ihr Frankfurter Wohnprojekt fest im Visier hatten: Hausdurchsuchungen und Observationen waren an der Tagesordnung. "Die Situation" sei "nicht mehr überschaubar oder einschätzbar" gewesen, ließ sie aus "Exilien" wissen.

Gerüchte, nach denen sie sich der Kurdischen Arbeiterpartei PKK angeschlossen habe, wies sie zunächst zurück. Ein gutes Jahr später bestätigte deren Chef, Abdullah Öcalan, der deutschen Öffentlichkeit dann doch: Andrea Wolf ist "an der Front" in Kurdistan. Die Autonome, Linksradikale und Feministin hatte sich der YAJK, der Frauenarmee des Freien Frauenverbandes Kurdistan, angeschlossen. In der PKK, konterte sie Kritikerinnen, seien in der "Frauenfrage" reale "Schritte der Veränderung" möglich.

Vergangene Woche wurde bekannt, daß türkische Militärs die 33jährige wahrscheinlich am 24. Oktober dieses Jahres in der nordkurdischen Provinz Van ermordet haben. Andrea Wolf starb, wie viele Menschen im kurdischen Teil der Türkei sterben: Bei einem Gefecht der Volksbefreiungsarmee (ARGK) mit der türkischen Armee. Nach Darstellungen der Infostelle war sie als zunächst von einem Spezialteam "lebend gefangen genommen" und später "vom Feind liquidiert" worden.

Während die Morde der türkischen Militärs an Kurden und Kurdinnen hierzulande nur noch selten Beachtung finden, führte der Tod der Deutschen zu ungewohnter Betriebsamkeit: Diplomaten protestierten in Ankara, das Auswärtige Amt forderte von der türkischen Regierung "unverzügliche Aufklärung". Der Focus sprach davon, Wolf sei verhört worden und habe geschwiegen, und spekulierte, sie sei erschossen worden, weil "die Armee einen weiteren spektakulären Prozeß gegen eine deutsche PKK-Aktivistin vermeiden wollte".

Eine absurde Einschätzung. Schließlich stieß schon der Prozeß gegen die Hamburgerin Eva Juhnke, die im Sommer von einem türkischen Gericht zu einer fünfzehnjährigen Haftstrafe verurteilt wurde, in Deutschland nicht gerade auf großes Gehör. Dafür aber will der Spiegel wissen, Wolf habe eine Nachfolgeorganisation der RAF geplant.

Schon 1995 hatte die BAW solche Vorwürfe erhoben. Damals beschlagnahmte die Polizei bei einem Freund persönliche Briefe der Gesuchten, aus denen angeblich entsprechende Hinweise hervorgingen. Die Beschuldigte selbst sprach von "einzelnen Wörtern", die "aus dem Zusammenhang gerissen" und "mit Füllwörtern aufgepeppt" worden seien. Warum und wie eine "RAF-Nachfolgeorganisation" gerade aus Kurdistan aufgebaut werden sollte, konnte auch die BAW nicht genauer erklären.

Auch in Sachen Weiterstadt bewegten sich die deutschen Sicherheitsbehörden auf Glatteis. Spätestens, nachdem Andrea Wolf im vergangenen Jahr der RAF vorwarf, die Gruppe habe bislang verschwiegen, daß der Verfassungsschutz-Spitzel Klaus Steinmetz schon vorzeitig über den Anschlag informiert gewesen war, galt die PKK-Aktivistin als Kronzeugin gegen die Kölner Behörde. Mit der Knastsprengung, so schrieb sie vor zwei Jahren, habe sie nichts zu tun gehabt. Auch gegen Aussagen, sie habe zu dem VS-Mann eine enge Beziehung gehabt, kämpfte sie an: "Die Bezeichnung 'Freundin' in den Medien soll mich als Frau demütigen und mein Handeln und Denken entpolitisieren: die Frau ohne eigenen Willen, als Anhängsel des (V)-Mannes, war überall dabei."