Rudolf Hickel zum Ende des Neoliberalismus

»Zurück in die Siebziger«

Sie haben Lafontaines Zinssenkungsforderung verteidigt. Der Spiegel spottet über den Finanzminister als den Sklaven eines Toten - Keynes. Ist Lafontaine Keynesianer?

Lafontaine steht zusammen mit seinen Staatsekretären Claus Noé und Heiner Flassbeck für eine Wiederentdeckung der gesamtwirtschaftlichen Vernunft. Beim Spiegel scheint der gesamtwirtschaftlich Sachverstand nicht sehr weit verbreitet zu sein.

Wir hatten jahrelang eine Angebotspolitik, die sich nur für das Hegen und Pflegen der Unternehmen interessiert hat. Dagegen sagt Lafontaine: Wir haben ein Nachfrageproblem in Deutschland, deshalb brauchen wir ein Stärkung der Nachfrage.

Das heißt, wir erleben jetzt tatsächlich einen Show-Down zwischen Angebots- und Nachfragepolitik?

Ja. Und dafür gibt es einen ganz klaren Grund: Die Regierung und alle wirtschaftswissenschaftlichen Forschungsinstitute rechnen damit, daß die Konjunktur zurückgeht, auch aufgrund der weltwirtschaftlichen Krisenentwicklung. Deshalb ist es wichtig, daß rechtzeitig gegengesteuert wird.

Wenn jetzt wie erwartet das Wirtschaftwachstum von 2,7 auf 2 Prozent zurückgeht, dann führt das zu Steuermindereinnahmen, die müssen eben durch eine Neuverschuldung aufgefangen werden

Aber so klar wie Sie das sehen, scheint das selbst der Regierung nicht zu sein. Nicht alle stehen hinter Lafontaine.

Sicher gibt es in der Regierung in der Frage auch Streit. Kanzleramtsminister Bodo Hombach steht z.B. mehr für eine Angebotspolitik. Aber ich denke doch, daß die Regierung insgesamt der Meinung ist, daß sie jetzt angesichts der kommenden Krise konjunkturell gegensteuern muß.

Also zurück in die siebziger Jahre?

Zurück in die siebziger Jahre, und damit vor allem zurück hinter die Angebotspolitik. Und die Angebotspolitik war ein Zurück nach 1776, zurück zu Adam Smith. Und in der Tat hatten wir Ende der sechziger oder beispielsweise 1978 mit dem Zukunftsinvestitionsprogramm durchaus positive Erfahrungen.

Lafontaine zielte ja auch auf die Europäische Zentralbank. Wird der Euro jetzt sozialdemokratisch, nachdem er vielen - z.B. der PDS - lange als "neoliberales Projekt" galt?

Ich bin der Meinung, das müßte er werden. Ich habe ja den Begriff vom Eurokeynesianismus geprägt. Im Euroland haben wir natürlich viel mehr Möglichkeiten, die Geld- und Finanzpolitik für Wachstum und Beschäftigung zu koordinieren.

Früher, wenn wir in Deutschland ein Beschäftigungsprogramm gemacht haben, dann hat das meistens zu Wachstum in Frankreich und den anderen Nachbarstaaten geführt. Jetzt spielt das in einer Einheit, das ist ein großer Vorteil.

Aber die Sozialdemokraten Europas scheinen sich nicht so einig zu sein. Lafontaine hat ja nicht einmal aus Frankreich Unterstützung bekommen.

Da bin ich mir nicht ganz sicher. Die Jospin-Regierung ist mit dem Superminister für Finanzen und Wirschaft Strauss-Kahn angetreten, wieder stärker gesamtwirtschaftlich zu regulieren. Zur Zeit spielt da viel Taktik eine Rolle, aber grundsätzlich hat sich der Wechsel zum Paradigma des Keynesianismus in Frankreich auch vollzogen.

Und in England?

Dort weniger. Tony Blair fährt eine andere Politik. Aber es ist interessant zu sehen, daß immerhin die Bank von England letzte Woche die Zinsen gesenkt hat, weil sie sich Sorgen um Konjunkturentwicklung machen. Da wird eine Politik gemacht, die in Deutschland noch heftig umstritten ist.

Sie sind also optimistisch, daß in Europa und weltweit das Ende des Neoliberalismus gekommen ist.

Ja. Ich denke da gilt ein alter Satz, den man bei Karl Marx nachlesen kann: Die reale Krise ist der beste Lehrmeister. Nachdem die Ideologie der Angebotspolitik so schief gegangen ist, können wir sie uns schlichtweg nicht mehr leisten. Wenn Sie in die USA gucken, sehen Sie, daß auch dort wieder stark mit dem Keynesianismus argumentiert wird.

Rudolf Hickel ist Professor für Wirtschaftswissenschaft an der Universität Bremen