Den Genen auf die Sprünge geholfen

Jeremy Rifkin warnt vor den Nebenwirkungen des biotechnischen Zeitalters - Evelyn Fox-Keller schätzt die Irrtümer der Genforscher - Isabelle Stengers wünscht sich die Bio-Demokratie: Drei gezähmte Wissenschaftskritiken

Zwei Nachrichten standen letzte Woche zufällig nebeneinander: Ein weiterer genetischer Speicheltest unter den Einwohnern eines Dorfes wegen einer Sexualstraftat - weniger medienintensiv als im Fall der Morde an Christina Nitsch und Ulrike Everts - und die Einrichtung eines Investmentfonds für Biotechnologie, den die Hoechst AG und die hessische Landesregierung gemeinsam installiert haben.

Kritik an Gentechnologie findet in diesem Kontext kaum noch statt, sie scheint obsolet geworden. Selbst die Grünen - nicht nur in der hessischen Landesregierung - beteiligen sich am neuen Wirtschaftsfaktor Biotechnologie.

Jeremy Rifkin dagegen, den das US-amerikanische Magazin Time einmal als den "meistgehaßten Mann der Wissenschaften" bezeichnet hat, gilt immer noch als eine Ikone der Kritik an der Biotechnologie. Leider zu Unrecht. "Das Biotechnische Zeitalter" - in Deutschland fast zeitgleich mit der US-amerikanischen Originalausgabe erschienen - bietet zwar reichlich Material für eine Kritik und ist doch der Einstieg in den Ausstieg aus der Kritik. Um vor den Risiken der Biotechnologien zu warnen, muß Rifkin diese zuerst einmal als epochal qualifizieren und von einer "zweiten Schöpfung" sprechen, in der nichts mehr so bleibe, wie es ist.

Was den Zusammenhang von unternehmerischer Goldgräberei und staatlicher Investition betrifft, bietet Rifkin einiges an überzeugendem Belastungsmaterial auf; aber seine Version der Kritik am "Biotechnischen Zeitalter" schreibt von der Logik der Ökologiebewegung ab: Die entscheidenden Punkte sind die unwägbaren Gefahren und Risiken der Gentechnologie auf der einen Seite und auf der anderen etwas, was Rifkin "genetische Umweltverschmutzung" nennt.

Sein wesentliches Argument ist, daß Veränderungen an der Keimbahn sich fortpflanzen und den humanen "Genpool" irreversibel verändern. Für ihn ist das Genom ein komplexes und empfindliches System (analog zum Ökosystem), das aus dem Gleichgewicht gebracht zu werden droht. Tatsächlich zeigen Beispiele wie rezessive "Krankheitsgene" - Gene, die angeblich Sichelzellenanämie auslösen können, wenn sie doppelt in der DNA vorhanden sind, sonst aber "schlafen" -, daß sie keine "Defekte", keine Indikatoren einer möglichen Erkrankung sind, sondern genetische Schutzfunktionen übernommen haben, beispielsweise die, vor Malaria zu schützen.

Rifkins Problem bleibt jedoch, daß er die Annahmen und Versprechungen der Biotech-Forschung nicht grundsätzlich in Zweifel zieht, sondern das Spiel mit den Hoffnungen mitmacht. Zwar stellt er den Versprechungen der Biotech-Forschung Gefahren unterschiedlichster Art gegenüber - aber was ist schon ein Risiko gegen das Versprechen, Schönheit und Intelligenz kaufen zu können? Seine Ausführungen zu eugenischem Denken bei werdenden Eltern in den USA geben zwar einen guten Einblick ins american psycho, unterschlagen aber die Möglichkeit, daß die gentechnologischen Verfahren ihre Versprechungen möglicherweise nicht einhalten können.

Unberücksichtigt bleiben auch die körperlichen "Kosten", die solche Verfahren der Reproduktionsmedizin für Frauen bedeuten. Diese Aussparungen sind politisch bedeutsam und zudem symptomatisch für eine gezähmte Wissenschaftskritik, nicht nur in den USA.

Dabei verfügt der Autor über genügend Hinweise, die Skepsis gegenüber der Wirkmächtigkeit der neuen Technologie nahelegen würden. So weist Rifkin z.B. darauf hin, daß die medienwirksam verkauften Gentherapien eines French Anderson bislang ergebnislos verlaufen sind, daß - wie das National Institute of Health feststellte - es bis heute keine klinischen Erfolge gentherapeutischer Maßnahmen gibt. Aber Rifkin unterläßt es, die Genese des Gen-Diskurses in die angeblichen Fakten selbst zurückzuschreiben, die paradigmatische Bindung von Gentechnologie an ihr (phantasiertes) Gelingen durch andere Paradigmen anzugreifen.

Mit diesen Fragen kann Rifkin offenbar wenig anfangen und endet deshalb trotz aller vorgebrachten Kritik in atavistischen Oppositionen: "Ein Teil von uns, unsere archaischere Seite, zaudert bei der Aussicht auf die weitere Entweihung von Leben, auf die Reduktion von uns selbst und aller anderen lebenden Wesen auf chemische Codes, die es aus rein instrumentalen und utilitaristischen Gründen zu manipulieren gilt. Unsere andere Seite, die der Modernität verpflichtete Komponente unseres Selbst, engagiert sich dafür, die Biologie des Planeten den gentechnologischen Standards, den Kräften des Marktes und der Wertschöpfung anzupassen."

Anders dagegen geht die feministische Wissenschaftskritikerin (mit Hang zum Naturwissenschaftlichen) Evelyn Fox-Keller in ihrem Buch "Das Leben neu denken" mit der Frage nach Fakten und Projektionen um. Sie beschreibt die Geschichte der Gentechnologie als einen "Gen-Diskurs", der seinen Einfluß entwickeln konnte, ohne sich auf gesicherte Erkenntnisse stützen zu können. Dieser Diskurs war umstritten, seine Prämissen waren z. T. unhaltbar, wie beispielsweise die berühmte "Ein-Gen-Ein-Protein"-These, nach der es immer genau ein klar definierter Abschnitt auf der DNA-Kette sei, der ein Eiweiß herstellen könne.

Für Fox-Keller lag bis vor einigen Jahren das grundsätzliche Problem der Gentechnologie in einer "Ontologisierung" und zeitlichen Vorrangigkeit der DNA gegenüber dem Zytoplasma, also dem Zellumfeld. Sie zeigt wissenschaftshistorisch, wie der Begriff der Gen-Aktivität bereits in den zwanziger und dreißiger Jahren den Diskurs der entstehenden neuen Wissenschaft in den USA prägte, bevor es noch den geringsten Begriff davon gab, was das nun sein sollte, was Vererbung steuert und wie diese "Gene" selber aktiv sein könnten.

Die DNA-Doppelhelix metaphorisch "Information" zu nennen, wie das die beiden "Erfinder" der DNA-Doppelhelix, James Watson und Frances Crick, 1953 sofort taten, ist nach Fox-Keller ein "Genie-Streich", an dem sie lediglich auszusetzen hat, daß das Gemachte, Konstruierte dieser Entscheidung nicht deutlich gemacht wurde. Die Metapher lehne sich zwar, so Fox-Keller, an die Informationstheorie Claude Shannons an, entspreche seiner Definition von Information aber keineswegs. Die Verwendung des Begriffs Information hat in den Biowissenschaften keinen Zugewinn an Berechenbarkeit und Quantifzierbarkeit der jetzt "Information" genannten Gene mit sich gebracht. Das also, was Shannon interessierte, war für die Molekularbiologie gar nicht gegeben.

Der für Fox-Keller bisher entscheidende Einwand gegen Gentechnologie ist für sie heute jedoch nahezu aufgehoben. Es gehöre zur "Ironie der Geschichte", daß es gerade die Ergiebigkeit des "falschen" Ansatzes war, die derart viele Entwicklungen und Praktiken ermöglichte, welche innerhalb eines deterministischen Paradigmas nicht unterzubringen waren.

Die Genforschung widerlegte ihre eigene Ausgangsthese, sie entdeckte "Springende Gene", "rekombinante DNA", "retrovirale Mechanismen". So wurde es nötig, Komplexität und Rückkopplungen, die heute als Motor des Zellgeschehens angesehen werden, zu berücksichtigen. Heute kann, glaubt man Fox-Keller, geradezu vom Gegenteil gesprochen werden, jetzt produziert nicht die DNA den Phänotyp, es sind die Organismen, die sich der DNA bedienen. "Die neue DNA ist natürlich eine Kopie der alten (...), aber wir bezeichnen die Eastman Kodak-Fabrik ja auch nicht als einen Ort der Selbstreproduzierung" von Fotografien.

Eine überraschende Einschätzung - und hier trägt die Materialfülle von Rifkins Buch dazu bei, solche Paradigmenwechsel der Wissenschaften nicht überzubewerten. Denn die Praxis der industrienahen Forschung ist weit davon entfernt, sich ernsthaft mit einer Komplexität zu befassen, die die Behauptung von Vorhersagbarkeit und damit gentechnologischer Planbarkeit in Frage stellen könnte. Die wirtschaftliche Anbindung erzwingt weiterhin einen funktional eindeutigen und vereinfachten Zugriff auf DNA und Steuerung, ohne den gentechnologische Verfahren gesellschaftlich nicht durchzusetzen sind.

"Wem dient die Wissenschaft?" fragt denn auch die Wissenschaftsphilosophin Isabelle Stengers, die bisher lediglich als Co-Autorin von Ilya Prigogine bekannt ist, in ihrem Buch, worin sie aufzuzeigen versucht, wie im Spannungsfeld von Macht und Interessen wissenschaftliche Tatsachen geschaffen werden. Das wirkt unspektakulär, weil die Verbindung von Wissen und Macht ein Allgemeinplatz ist, der in dieser Vagheit politisch unwirksam bleibt.

Stengers versucht, eine wissenschaftliche Erkenntnis als das zu definieren, was auf eine bestimmte Fragestellung antwortet - eine Frage aber, die ebenfalls erst entwickelt oder erfunden werden muß. Für Stengers gibt es keine Wissenschaft, die durch Macht und ökonomische Interessen "verdorben" wäre, sondern diese Verquickung ist überhaupt die conditio sine qua non von wissenschaftlicher Erkenntnis. Jede Erkenntnis ist eine Investition in eine Sichtweise, und sie muß sich ein Umfeld schaffen, in der ihre Ergebnisse eine Stichhaltigkeit haben, eine Kommunikation zwischen Kolleg/innen und zwischen Wissenschaft und Macht ermöglicht.

Damit umgeht die Autorin den akademischen Streit zwischen Konstruktivisten und Hardlinern des Wissenschaftlichen und kann dennoch die praktischen und ökonomischen Entscheidungen aufzeichnen.

Viel Mühe, ihren Ansatz auf seine Kritikfähigkeit zu überprüfen, macht sich die Autorin nicht. Jenseits der damit einhergehenden Entzauberung technoider Kontrollphantasien sind Anwendungen ihrer Kritik auf bestimmte Bereiche wie Gentherapie, Kloning, Pränataldiagnostik noch herzustellen. Stengers schließt mit der Absicht, Wissenschaft aufgrund ihrer Bindung an Entscheidungsprozesse wieder dem demokratischen Prozeß zuzuführen.

Das setzt allerdings voraus, dieser Demokratie in ihrer gegenwärtigen Form zuzutrauen, Interessen formulieren zu können, die nicht den bestehenden entsprechen. Was durch die neue Regierung nicht wahrscheinlicher geworden ist.

Evelyn Fox Keller: Das Leben neu denken. Metaphern der Biologie im 20. Jahrhundert. Kunstmann, München 1998, 160 S., DM 32

Jeremy Rifkin: Das Biotechnische Zeitalter. Die Geschäfte mit der Genetik. C. Bertelsmann, München 1998, 385 S., DM 44,90

Isabelle Stenger: Wem dient die Wissenschaft? Gerling Akademie Verlag, München 1998, 120 S., DM 32