Thomas Sandbergs Schröder-Fotografien

Ein Bild von Mann

"Er kommt!" Wer sich jetzt im Werbespot der Rügenwalder Teewurst ("die mit der Mühle") wähnt, irrt. Wir befinden uns im Willy-Brandt-Haus, der Kreuzberger Schalt- und Walt-Zentrale der SPD. Und er - das ist Bundeskanzler Gerhard Schröder. Schnack hier und da, fröhliches Lächeln ... Prima, der hat gute Laune. Grund: Die Wände hängen voll mit Bildern. Einziges Motiv: Schröder. Von der Art, wie wir sie aus stern, Spiegel, Niederlausitzer Regionalpresse kennen.

Der Schwarzkopf & Schwarzkopf Verlag aus Prenzlauer Berg hat ihm ein munteres Bilderbuch gewidmet. Heute wird es der Öffentlichkeit vorgestellt. Und der Kanzler ist tatsächlich gekommen. Ein Jahr begleitete der Pressefotograf Thomas Sandberg das corpus delicti auf dessen Wahlkampf, der heute keinen mehr interessiert. Schwarzkopf ergreift in der Laudatio die Chance, vor Deutschlands mächtigstem Mann im Staate reden zu dürfen: "Retten Sie die Buchpreisbindung. Helfen Sie armen kleinen Verlegern!"

Nur zwei Meter sitzt der kleine Mann von ihm entfernt. Kameraleute haben Mühe, sich zwischen Bühne und Politiker zu klemmen. Na klar: Wenn es schon Bilder von Schröder zu feiern gibt (Söhnlein aus ausgespülten Senfgläsern) - warum nicht schnell ein paar neue machen? Den Kanzler ablichten, wenn er sich selber anschaut - da kommt's im Fernsehen und er schaut sich's abermals an: Ein wahrlich verzwickter Fall der Ikonographie.

Schwarzkopf hechtet durch die Rede. Hier zählt nicht Etikette noch Protokoll. Das Büchlein sei gar nicht staatstragend, das ist sehr wichtig: Normalerweise produziert der Verlag Graffiti-Bände mit Werken jugendlicher Straftäter. Sandberg ist dran. "Sie, Herr Schröder, müssen sich doch gefragt haben: Was macht der Sandberg da eigentlich?" Ja, was hat er da eigentlich gemacht? Das, was alle Fotografen gemacht haben oder nicht? Schröder jedenfalls dankt artig den Jungunternehmern. "Ein Betrieb mit viel Power", sagt Schröder, "die machen was. Toll." Schwarzkopf - zehn Angestellte, fünf Ost, fünf West, im Berliner Problembezirk. Da schlägt jedes Unternehmerherz in der Arbeitnehmerpartei höher. Immer nah am Volk mit der Sprache, der Mann. Der nimmt jeden für sich ein. So sehr, daß Schwarzkopf eine vergammelte Spiegel-Lobeshymne von Jürgen Leinemann als Vorwort verbraten hat.

Der letzte Pieps ist gesagt, Schröder haut ab. Ist auch richtig: Vierzig Minuten hat er mit sich selber verplempert, anstatt große Politik zu machen.

Einen Tag später Katzenjammer. Die Zeitungen zerreißen sich das Maul über Buch und Autor. "Landet gleich auf dem Grabbeltisch" (Berliner Zeitung) bzw. - zwei Tage später - auf dem "Ramschtisch" (taz). Ansonsten vertritt die taz-Reporterin dieselbe Meinung wie der Gehrs von der Berliner. Man könnte glauben, sie hätte abgeschrieben. Wahrscheinlicher ist: Journalisten sind so kritisch, daß alle die gleichen kritischen Gedanken haben! Anruf bei Sandberg. Der Ostberliner tieftraurig: "Ungerecht! Die wollen den Schröder treffen und dafür schlagen sie auf mich ein."

Die Bilder Sandbergs sind abgrundtief gagsngnagna - jetzt bloß nichts Falsches schreiben. Sandberg ging's schon schlecht genug, und wir wollen ja auch den Kanzler treffen und nicht den Boten. Oder das Kapital und den Faschismus. Aber die waren, liebe Journalisten, im Willy-Brandt-Haus gar nicht da! Sondern das, was viele Journalisten viel aggressiver macht: die Arbeit eines Kollegen.