Selbstkritik der USA

Eingeschränkte Fehlermeldung

Pinochet makes the world go crazy: "Viele von uns blicken zurück und stellen fest, daß wir in Lateinamerika schwere Fehler begangen haben."

Der Satz klingt, als stamme er von einem zum Sozialdemokraten mutierten Ex-Guerillero aus Nicaragua, Guatemala oder Kolumbien. Tut er aber nicht. "Sorry" für die Unterstützung Pinochets und anderer Diktatoren Latein- und Südamerikas sagte vergangene Woche US-Außenministerin Madeleine Albright.

Ein Student hatte bei Albrights Gastvortrag an einer Universität in Atlanta nach der Zukunft der liebevoll "School of Americas" genannten US-Akademie in Fort Benning für einheimische und auswärtige Militär-Schlächter in Ausbildung gefragt. Und Albright antwortete, reumütig und moralisch: Die USA hätten es versäumt, "demokratische Prinzipien an die Streitkräfte in den Ländern Lateinamerikas weiterzugeben". Heute jedoch sei alles anders. Die Freigabe von bislang geheimen Akten zur Diktatur Pinochets solle nun helfen, die Fehler von früher zu korrigieren.

Was ist nur mit den einst als Weltimperialist, später nur noch als Weltpolizei geschmähten USA los? Im Irak werden sie regelmäßig vorgeführt. In Afrika hören nicht mal mehr Kleinstaaten auf ihre Weisungen. Selbst die Raketen auf Bin Laden und den Sudan waren eher mediengerechte Inszenierungen plus reichlich Propaganda denn ernstgemeinte Aktionen.

Nun kommt noch die Selbstkritik hinzu. Dies erstaunt besonders, weil es um Latein- und Südamerika geht. Also dem nach der Monroe-Doktrin klassischen Einflußgebiet der USA.

Man kann das als Taktik verstehen, als eigene Offensive: Ein ausgewählter Teil der Akten zum Putsch in Chile wird offengelegt, da immer noch unklar ist, ob Pinochet von Großbritannien nach Spanien ausgeliefert wird. Denn auch beim traditionell engsten Verbündeten in London hat der Druck aus Washington, Pinochet nicht auszuliefern, bislang keine sichtbaren Erfolge gezeitigt. Und Pinochets Aufenthalt in Spanien könnte bedeuten, daß mehr zur Sprache kommt, als es den USA lieb ist.

Aber auch andere Interpretationen liegen nahe. Langfristig haben sich Diktaturen in Latein- und Südamerika politisch und ökonomisch als ineffizient erwiesen. Zu schnell verbraucht sich das Führungspersonal, muckt schließlich auf und geht eigene Wege. Noriega hat es vorgemacht.

Wo aber Kontinuität fehlt, muß eventuell die Armee ran. Das kostet. Und nutzt auch nur kurzfristig. Zudem sind viele Skandale - und die bleiben bei autokratischen oder oligarchischen Machtkonzentrationen nicht aus - auch noch schlecht fürs Geschäft.

Das war nicht immer so, scheint aber zur Zeit trendy zu sein. Mit der Konkurrenz einer sozialdemokratischen EU konfrontiert, die bei ihren Handelspartnern "Demokratie und Menschenrechte" als Marktvorteil ansieht, mögen die USA nicht länger zurückstehen.

Zumal es dabei auch und gerade um Lateinamerika geht. EU-Projekte und -Mitarbeiter zwischen Mexiko und Kolumbien werden zahlreicher. Und die politischen Akteure vor Ort, vor allem ihr oppositioneller Teil, ziehen sie nicht selten den US-Einrichtungen samt Abgesandten vor. Denn nur allzu deutlich ist, daß beispielsweise die Drogenbekämpfer der DEA lediglich die Strategien der CIA zur Aufstandsbekämpfung fortsetzen.

Aber darum ging es bei Albrights Fehlermeldung gar nicht. Sie ist zeitlich und inhaltlich eingeschränkt. Die Ausbildung und Unterstützung der Militärs in Lateinamerika während der siebziger und achtziger Jahre sei falsch gewesen. Nicht aber die Beratung Pinochets durch die Chicago Boys um Milton Friedman. Die "Demokratisierung" der in Fort Benning ausgebildeten Metzger habe gefehlt. Die der Musterdemokraten der US-Marines nicht. Zu ausgewählten Pinochet-Akten paßt eine ausgewählte Selbstkritik.

Dennoch scheint Albrights Vorstoß im internationalen Vergleich erstaunlich progressiv: Pinochet wurde nicht allein von den USA unterstützt. Nicht nur Konservative aus fast allen westlichen Staaten bejubelten seinen Amtsantritt. Zwar ist die Unterstützung aus diesen Ländern gemessen an der Rolle der USA gering. Gerade deswegen könnten die Dokumente von damals in Bonn, London oder Rom aber umso leichter veröffentlicht werden.

Aber bis in Europa auch nur das Deckblatt einer Geheimakte zu Pinochet publiziert wird, wird man wohl noch lange warten.