Enten vom Chef

B.Z.-Redakteure mobben zurück - Die Franz Josef Wagner-Hate-Page im Internet

Um eine eigene Haß-Seite im Internet zu bekommen, reicht es meist nicht aus, nur ein unsympathischer Mensch zu sein - man muß schon ein prominenter Unsympath sein. Aber selbst dann bringt man es bei den naturgemäß eher unaufgeregten Internet-Bewohnern noch nicht unbedingt zur Webpage, denn bevor so etwas passiert, muß man schon Ungeheuerliches getan haben. Mit dem Mann der Princess of Wales geschlafen haben, etwa, ein weltweit anerkannter Diktator sein oder eine ganze Redaktion in den Wahnsinn treiben.

Das scheint gerade Franz Josef Wagner, dem derzeitigen B.Z.-Chef, mühelos zu gelingen. Der Erfinder des Neun- (Berliner Zeitung) respektive 15- (Tagesspiegel)-Zeilen-Kurzroman war im Sommer dieses Jahres von Claus Larass, Zeitungsvorstand bei Axel Springer, als Chefredakteur zur B.Z. geholt worden, nachdem der alte Chef, Manfred von Thien, innerhalb von zwei Jahren 10 000 Leser verloren hatte. Mit Wagner kamen Walter Mayer (früher Tempo/Tango) als stellvertretender Chefredakteur und der freischaffende Snob Christian Kracht (Spiegel / "Faserland"), der für angeblich 800 Mark pro Tag als "Textpfleger" arbeitet.

Warum Wagner als geeignet gilt, die sinkenden Verkaufszahlen des Boulevardblatts in steigende umzuwandeln, ist unklar, denn ein besonders erfolgreicher Blattmacher war er in den letzten Jahren nicht: Die im Mai 1991 gestartete Super! ("Zonen-Arsch! Da drückte er ihr die Kehle zu - tot") wurde schon nach wenigen Monaten wieder eingestellt. Das von Wagner für Burda entwickelte Zeitschriftenprojekt Korsika kam über die Nullnummer nicht hinaus. Immerhin, die B.Z.-Redakteure haben seit Wagners Antritt immer viel zu erzählen: Wagner, dem der Ruf vorauseilte, seine Mitarbeiter im Streitfalle gern mit Aschenbechern zu bewerfen, sei ein Choleriker und völlig planlos, beginnt ein normaler Wagner-Anekdoten-Abend. Er renne mit seinen Spezis ständig aufs Klo, um zu koksen, bezahle in den USA zwei Mitarbeiter dafür, daß sie die dortigen Zeitungen nach brauchbaren Ideen durchsuchen, und lasse sich seinen Espresso nur mit Evian-Wasser kochen. Auch habe er keine Ahnung von Berlin, sei jedoch immer sehr begeistert, wenn er in der Stadt etwas Neues entdecke: "Da muß dann sofort eine große Story gemacht werden, auch wenn man ihm 100mal erklärt, daß das Thema durch ist und die Berliner langweilt - das interessiert ihn einfach nicht. Gnade uns Gott, wenn der Mann entdeckt, daß das Brandenburger Tor in Berlin steht!", erzählt ein Redakteur.

Seit kurzem reicht den B.Z.-Journalisten das bloße Tratschen über ihren Chefredakteur scheinbar nicht mehr aus. "Diese Seite wurde auf Anregung von Redakteurinnen und Redakteuren der Berliner Tageszeitung B.Z. erstellt", behauptet eine Webpage, die sich mit Wagners Arbeit bei der ältesten Boulevardzeitung Deutschlands befaßt, "da es im Hause Ullstein/ Springer keine andere Möglichkeit der risikolosen Kommunikation" über das "skandalöse Wirken der neuen Chefredaktion und seiner Prätorianer" gebe. Unterteilt in die Rubriken "News", "Files" und "Links", ergibt sich auf der Seite nicht nur ein schönes Wagner-Gesamtbild; auch bekommt man einen Eindruck davon, wie es aussieht, wenn B.Z.-Redakteure den Boulevard-Journalismus neu erfinden.

"Immer mehr Kollegen gehen oder sind lange krank", berichtet eine E-mail. "Das liegt daran, daß sie das Gefühl haben, daß sie als Personen völlig gleichgültig sind. Und noch mehr liegt es daran, daß sie auch als Journalisten völlig gleichgültig sind. Der Typ kennt immer noch nicht die Namen seiner Kollegen. Und eine Idee ist immer schlecht, wenn sie nicht von ihm ist." Ein anderer Informant schreibt, man könne sich nicht auf die Arbeit konzentrieren, "weil man immer Sprungaufmarschmarsch bereitstehen muß für eine völlig unrealisierbare Chaosrecherche". Die Folgen sind schlimm: "Ich war noch nie bei einer Zeitung, wo die meisten Kollegen gehofft haben, daß die Auflage sinkt, nur damit der Chefredakteur wieder verschwindet. Bei der B.Z. denken die meisten so, und ich auch."

Ein anderer Autor beschreibt die Zielsetzung der Wagner-Webpage und beteuert mit überraschender Larmoyanz, daß es um nichts weniger geht als die Rettung der Moral und der B.Z.: "Das ist das eigentliche Verbrechen von Wagner: Daß er durch seine Art einen ganzen Zeitungstypus der Lächerlichkeit preisgibt. Bedauerlich, denn ich glaube schon, daß man eine packende, provozierende, manchmal fröhliche oder auch wütende Zeitung machen kann, in der trotz allem die Inhalte stimmen."

Bei der B.Z. stimmen sie jedoch oft genug nicht: In "Wagners Wahrheits-Tuning" sind deshalb die spektakulärsten Fakes des Chefredakteurs zusammengetragen worden. Am 11. November z.B. machte die B.Z. mit einem Bericht über die Folgen des Pallas-Brandes auf und zeigte auf der Titelseite einen angeblich ölverschmierten Vogel. Der erwies sich später, so die Wagner-Webpage, als kerngesunde und "von Natur aus schwarze Ente", denn "es gab zwar genügend Fotos von verendeten Vögeln am Stand der Insel Amrum, aber die waren Wagner nicht beeindruckend genug." Dabei kümmert sich der Mann nicht bloß um die Auswahl von Entenbildern.

Am 12. November dann berichtete die B.Z. auf ihrer Seite 1 von einer angeblichen Verschmutzung des Bahnhofs Zoo. Als Beweis für die "schlimmen Zustände" mußten Fotos herhalten, von denen eines "anläßlich der Love Parade 1997 aufgenommen" worden war und Raver zeigte, "die sich - wie auch an vielen anderen Orten Berlins - zum Schlafen legten. Anlaß für diese Geschichte war ein Besuch Wagners am Bahnhof Zoo, wo er die vermeintliche Verwahrlosung des Bahnhofes feststellte. Die von ihm per Handy herbeigerufenen Fotografen konnten jedoch auch beim schlechtesten Willen keinen 'Schmutz' finden."

Also wurde die Realität auf Trab gebracht. Es entstand die Titelgeschichte "Bahnhof Zoo - die schmutzige Visitenkarte". "Wer aus der sauberen Welt des ICE steigt, kriegt einen furchtbaren Eindruck von Berlin", erzählt Textpfleger Christian Kracht: "Gebrauchte Spritzbestecke liegen herum. Kampfhunde versperren den Weg zum Ausgang. Überall wird geraucht. Ich selbst sah neulich eine Blutlache, offensichtlich war ein anderer Reisender gerade erstochen worden. Und so empfängt einen Berlin. Unglaublich."

Unglaublich fand das auch die Deutsche Bahn AG und verlangte eine Richtigstellung des Artikels, zumal ihr Personal herausgefunden hatte, daß einem Mann 40 Mark gezahlt worden waren, um sich beim Pinkeln fotografieren zu lassen. "Das stinkt zum Himmel: Gegenüber vom Haupteingang pinkelt ein Mann an den BVG-Pavillon", machte die B.Z. daraus. Daß diese Geschichte auch von anderen Zeitungen freudig aufgegriffen wurde, um Wagners Wirken zu dokumentieren, macht die Webseiten-Betreiber jedoch nicht unbedingt glücklich: "Am 27. November 1998 deckte die Berliner Zeitung diese Fälschung auf", schreiben die Redakteure, "doch sie brachte leider nur die halbe Wahrheit. Es gelang dem B.Z.-Chef, die Angelegenheit als Versagen und Eigenmächtigkeit seiner Redaktion darzustellen. Aber seine Anstiftung zur Fälschung blieb unenthüllt", klagen die Autoren der Webpage und meinen, einer Verschwörung auf die Spur gekommen zu sein: "Der dortige Kollege Gehrs war früher bei Korsika und verehrt Wagner." (Unerklärt bleibt jedoch, daß der Autor der Berliner, der die Fälschung öffentlich machte, eben dieser Oliver Gehrs war.)

"Lieber Franz Josef Wagner," heißt es in einem Brief der Chefredaktion des Magazins der Süddeutschen Zeitung an den B.Z.-Chef, "uns freut natürlich, daß das SZ-Magazin Sie weiterhin so inspiriert: nach den 50 Gründen (oder waren es 33?) haben wir uns zuletzt besonders über den blinden, Porsche fahrenden Richter in der B.Z. gefreut. Wie wär's mit einem Deal: bei jedem dritten Klau gibt's eine Kiste Champagner? Das sind wir unserer Redaktion schuldig!"

Andernorts nimmt man die Schwierigkeiten Wagners mit dem geistigen Eigentum anderer Leute nicht mit so viel Stil hin. "Die B.Z. ist so ziemlich das einzige Blatt, das sich keinen Deut um Urheberrechte schert", mailte der anonyme Fotoredakteur einer Illustrierten an die Wagner-Hasser, die Zeitung habe aus seinem Blatt kürzlich "ein Foto geklaut und es ohne Rücksprache gedruckt". Bei einem humorvollen Brief ließ es die Zeitschrift allerdings nicht bewenden: "Wir schicken denen eine Rechnung, daß sie nicht mehr froh werden. 10 000 Mark muß dieser Wagner dafür bezahlen, mindestens. Mit anderen Illus soll er es ja noch schlimmer gemacht haben, aber die wehren sich auch. Angeblich müssen die Fotostrafen von 500 000 Mark bezahlen."

Und so könnte sich Wagner bei der B.Z. doch schneller als vermutet erledigt haben: Nicht nur, daß der Mann seit seinem Amtsantritt 15 000 Leser verlor, auch die Sterne stehen derzeit denkbar ungünstig für ihn. Bei einer noch unveröffentlichten Umfrage, die sein Blatt anläßlich des Jahreswechsels kürzlich unter 18 Berliner Wahrsagern veranstaltet hat, erklärten alle Hellseher übereinstimmend, daß der B.Z.-Chefredakteur noch vor Weihnachten entlassen werde. Schade um die Webpage.