Was im Rücken des Türstehers geschah

Noch eine Hommage an die Siebziger: "Studio 54" von Mark Christopher

Zwanzigjährige! Einige eurer Eltern hatten's gut: Die waren in den siebziger Jahren so alt wie ihr heute. Es gab noch Sex. Kokain war ein Pulver, vor dem nicht andauernd gewarnt wurde. Und heute? Aids, Mord und Totschlag, bewaffnete Drogenbarone bedrohen alles und jeden. Wer mahnt zur Vorsicht? Die Eltern.

Daß die es wie die Wilden treiben konnten, davon möchte der Film "Studio 54" erzählen. Und diskutierten die Pop-Intellektuellen vor Tagen noch, ob der Glam-Rock-Streifen "Velvet Goldmine" das Zeug zum Kultobjekt habe, da kommt schon die nächste Hommage an die Zeiten der Schlaghose.

Mit "Studio 54" möchte der Regisseur Mark Christopher an jenen gleichnamigen New Yorker Club erinnern, in dem Mick Jagger auf dem Tisch tanzte und Helmut Berger Sexualität auf dem Tisch hatte. Andy Warhol war dort Dauerstehgast, Liza Minelli trank Champagner aus dem Stöckelpumps. Der exaltierte Besitzer Steve Rubell, der sein Geld vorher mit Steakhäusern gemacht hatte, und sein zurückhaltender Kompagnon Ian Schrager, der im Hintergrund das Geschäft kontrollierte und die Geldmaschine bediente, hatten den mit Abstand wüstesten und wichtigsten Club der Welt in einem alten Fernsehstudio einrichten wollen; und dies muß ihnen wohl gelungen sein: Weltweit wurde das Etablissement gecovert. Selbst im deutschen Provinzstädtchen Bonn gab es mal ein "Studio 54". Es hatte rabiate Türsteher wie sonst nur Franz Kafka oder eben das New Yorker Original.

Vorhang auf für die unerhörte Geschichte: Der junge Shane (Ryan Phillippe) arbeitet als Tankwart in der Ödnis von New Jersey. Vater ist Trinker, die Kumpels häßliche Idioten. Ein bißchen Glamour tut not zur Beseitigung dieser Menschheitsprobleme, darum überqueren die Freunde eines Tages die Brücke nach New York. Vom "Studio 54" haben sie schon gehört, jetzt stehen sie davor. Inmitten einer Menge Leute, die auch nicht hineindürfen. Stämmige Türsteher sortieren gnadenlos aus. Werden unsere Freunde auserwählt? Ach, bitte, bitte, flehen sie.

Ja, damit kann ich mich identifizieren, auch ich wurde meistens übersehen, nicht nur im Club. Der steht hier für die gesellschaftlichen Verhältnisse. Und wenn ich's recht überlege, war ich 1979 tothäßlich, 14 und fett. Ich bin nie und nimmer ins "Studio 54" gekommen, nicht mal in die Bonner Kopie. Doofe Zeiten also, in denen alle Pickel hatten und bei ihren Eltern wohnten. Man wußte nichts mit sich anzufangen. Es regnete tagaus, tagein. Einmal die Woche war Training vom Tischtennisclub, Franziska "Zissy" Peters war - völlig zu Recht - in jemanden anderen verliebt. Vergnügen gab es nur für die anderen, und die waren eben im "Studio".

Wer ist drinnen, wer ist draußen? - das ist in Zeiten von Pop und Beschäftigungsproblemen eine jederzeit aktuelle Frage. Studio-Chef Steve Rubell (Mike Myers) faßt es so zusammen: "Es ist wie einen Salat zu mixen: Models, Aktienhändler, Feuerwehrleute, Künstler, alles rein, außer Schlägern, professionellen Nutten und Leuten wie mir."

Das reicht jetzt als Vorrede. Sagen wir noch was zur Filmhandlung. Weil Shane ein hübscher Junge ist, wird er in den elitären Kreis der Gäste aufgenommen und muß nicht mit den armen Landeiern vor der Tür verderben. Er hat nur das falsche Hemd an. Aber halbnackt kommt er bei der "Studio"-Gesellschaft auch besser an, und vor allem bei Rubell. Der stellt ihn als Gläsersammler an. Shane erlebt Aufstieg und Fall des Clubs der Schönen und Reichen, sich durchzuschlagen fällt ihm nicht schwer. Er führt ein Leben mit Geschlechtsverkehr, Drogen und Discothek ohne Ende. Wohlhabende Frauen kümmern sich um ihn und machen ihn sogar zum Fotomodell - erster Job - als Schwulen-Nikolaus!

Wie bisumni ist er vom Licht der Disco-Kugeln und großen Leute und vom Duft der geilen weiten Partywelt. Als Günstling Rubells serviert er den Warhols und Capotes in der VIP-Lounge die Getränke. Sogar eine Traumfrau läuft ihm über den Weg.

"Studio 54" erzählt ein wenig vom Glücksbegriff, in der kapitalistischen Welt ganz allgemein. Da will man hoch hinauf, viel Spaß haben und die Prominenz anbaggern - möge ein wenig von ihrem Glanz auf uns abstrahlen, dann wird man selbst der Lottogewinn. Doch Schein ist nicht gleich Sein: Shanes große Liebe, die Seifenoper-Darstellerin Julie (Neve Campbell), treibt es für die Karriere auch mit jedem, obwohl sie ihr Herz an Shane verschenkt hat. Geld versaut die Welt. Das wußte man aber schon. Doch nachfolgenden Generationen - Heeren von Kinozuschauern - muß das immer wieder erzählt und neu eingebimst werden, bis sie es im Schlaf dahersagen und aus dem Effeff anwenden können.

Und es gibt noch mehr Mythenbearbeitung: Zum Beispiel, daß einen die Eltern blöd finden, wenn man in den tuntigen Klamotten und flottem Sportwagen bei ihnen aufläuft; daß es zwar schön ist, wenn alte Menschen flippig herumtanzen, so wie Disco-Oma Dottie (Ellen Dow), sie es aber nicht übertreiben sollten. Irgendwann liegen sie tot auf dem Tanzflur. Und wenn man Karriere-Absichten hegt, es ernst meint, weil man wirklich was kann - wie die Sängerin Anita (Salma Hayek) - bricht beim ersten Auftritt bestimmt ein Unglück herein (siehe Dottie): Alles ist versaut. Und daß nichts mehr wie früher ist, wenn man sich nach dem Besuch der Steuerfahndung und anschließendem Gefängnisaufenthalt trifft, muß gesagt werden.

"Studio 54" - man kann sich ein bißchen langweilen, und ab und zu gibt es was zu lachen. Die Schauspieler sind alle gar nicht so übel. Mike Myers zum Beispiel wird von Film zu Film besser, und hier spielt überzeugend den extrovertierten Homosexuellen. Ryan Phillippe, der manchmal etwas androgyne Jungstar ist ein hübscher Junge, Salma Hayek das schöne Mädchen mit den schwarzen Haaren, und einen Film ohne Neve Campbell wird es wohl in absehbarer Zeit nicht mehr geben.

Na gut. Was gibt es von "Studio 54" sonst noch an Lehrstoff? Zum Beispiel, daß der ganze Feelgood-bei-der-Arbeit-Modus damals schon voll die Mode war - wir verdienen zwar nicht viel und machen blöde Jobs, aber dafür sind wir eine große Familie. Im Klartext: Als Jungkellner kriegt man vom Chef nicht nur geschimpft, man muß für alles den Arsch hinhalten und sich dazu auch schon mal den Schwanz blasen lassen. Es herrschen eben rauhe Sitten in der Menschenvermarktungsgesellschaft. Zum Ausgleich ist Tanzen ein glückliches Erlebnis, da ist die bescheuerte Gegenwart nicht weit weg. Rumhüpfen bis zum Abwinken - Tanzmäuse und leichte Erotik liegen zur Zeit ja auch gut im Rennen.

"Studio 54" ist also eine schöne Studie aus den Frühzeiten des Jobber-Zeitalters, in dem es allgemeines Lebensziel geworden ist, ebenso prekär zu leben wie die Künstler. Was dann noch fehlt, erzählt die Musik viel besser, außerdem lassen sich alte Kracher in so einem Revival-Bildwerk gut verkloppen. Der Film spielt ja in der Disco, da gibt es naturgemäß jede Menge Liedgut. Diana Ross und Blondie, Chic und Grace Jones schütteln das Publikum. Die Botschaften von "Knock on Wood" oder "Fly Robin Fly" sind leicht zu deuten.

Doch nicht mal soweit sind die meisten dabei: Die stehen in der Regel ja gar nicht vor dem Club rum, um zu ahnen, wie die anderen dort ihren Spaß haben. Nein, selbst das wird von anderen erst mit hohen Finanzierungen nachgestellt und dann muß man es sich im Kino für teures Geld anschauen. Zynisch ist das. Die Soundtrack-Liste ist fünf Presseheftseiten lang. Superfilm.

Auch die Realität hinkt übrigens nicht der Wirklichkeit hinterher. Immer wieder zeigt sie, daß man die Möglichkeit der Auswahl hat, den falschen oder den richtigen Weg zu nehmen. Disco-Mann Rubell verstarb im Jahre 1989 im Alter von nur 45 Jahren und ich fühle mich nicht viel besser. Schrager hingegen ist heute Inhaber einer Luxushotelkette. Und Zissy - die erbte die Bitburger Brauerei.

"Studio 54". USA 1998. R: Mark Christopher, D: Ryan Phillippe, Salma Hayek, Mike Myers u.a. Start: 26. November