Pilot abgestürzt

Streit um das geplante deutsch-jüdische TV-Magazin "Chuzpe". Die Moderatoren der betulichen Sendung waren dem NDR zu frech

Viel Originelles ist nicht zu berichten, wenn man einen Artikel über ein deutsch-jüdisches TV-Magazin namens "Chuzpe" abliefern möchte. "Chuzpe", ein dem Jiddischen entstammendes Wort, das die Steigerung von Frechheit bezeichnet, ist genau der Titel, auf den eine Redaktion verfällt, die bemerkt hat, daß es eine Sendung mit dem Namen "Tacheles" schon mal gab.

Originell war wahrscheinlich auch nicht der erste Satz der Anmoderation, den die Schauspielerin Adriana Altaras sprach: "Der einzige, der sich antisemitische Äußerungen in meiner Nähe erlauben darf, ist mein Freund, der kennt mich."

Aber nach diesem Satz in der nicht ausgestrahlten Pilotsendung passierte endlich etwas Originelles: Der NDR, für den die Hamburger Firma Polis Film mit Geldern der niedersächsischen Filmförderung das Magazin "Chuzpe" produzierte, fand nämlich, daß die Jüdin Altaras etwas Antisemitisches gesagt habe. So wird es zumindest von den Machern der Sendung kolportiert, und so stand es auch in der Welt.

Vom NDR erfährt man zu diesem Vorwurf nichts. Die zuständige Redakteurin Annemarie Stoltenberg ist der Meinung, Redakteure sprächen nie und nirgends mit Journalisten, dafür gebe es die Pressestelle, im übrigen sei die Abnahme der Sendung "doch sehr normal" verlaufen. Die Pressestelle wiederum verweist auf einen Leserbrief, den der Fernsehprogrammdirektor des NDR, Jürgen Kellermeier, an die Welt geschrieben hat, in dem leider nichts zu den Vorwürfen eines eventuellen Antisemitismus-Verdachts, dessen sich die jüdische Moderatorin schuldig gemacht haben könnte, steht.

Immerhin kann man da nachlesen, daß die überall als Pilotsendung herumgereichte Videocassette gar keine Pilotsendung ist: Es sei "irreführend, von einem Pilotfilm zu sprechen, so als sei bereits geplant oder beschlossen, weitere Folgen von 'Chuzpe' zu produzieren und in Programmen des NDR zu senden. Solche Absichten gibt es nicht."

Der Pilotfilm, der die Abnahme nicht passierte, war also gar kein Pilotfilm, erfährt man bei Kellermeier, und schon bleibt von dem an sich völlig normalen Vorgang, daß die Polis-Leute wieder an den Schneidetisch geschickt wurden, nicht mehr übrig, als daß nichtjüdische Redakteure den jüdischen Machern einen Antisemitismus-Vorwurf unterschoben, an den sich originellerweise nur die Angegriffenen erinnern.

Zu den weggekürzten Stellen gehört beispielsweise auch die Aussage einer jungen nichtjüdischen Frau, die mit einem Juden zusammenlebt und sich im Interview über die Vorurteile äußert, mit denen sie konfrontiert wird: "Was ich schon oft gehört habe, ist, daß nichtjüdische Frauen vor allem dazu da sind, um mit ihnen Spaß zu haben, ins Bett zu gehen und jüdische Frauen letztendlich zum Heiraten, Leben verbringen und Kinder kriegen." Das Interview war drei Jahre alt, die Beziehung der beiden ist mittlerweile in die Brüche gegangen, und der junge Mann berichtete im Studio darüber, daß aus der avisierten Heirat nichts wurde.

Nichts Aufregendes also, allerdings auch nichts, was man in einem Fernsehmagazin sehen möchte. Aber nicht der Umstand, daß es ein wenig langweilig zuging und auch nicht der übrigens von den Machern zustimmend quittierte Vorwurf, alles sei zu harmlos, brachte "Chuzpe" das Aus, sondern eben die Behauptung, solche Sätze seien als antisemitisch mißzuverstehen.

Moderatorin Adriana Altaras kann damit gar nichts anfangen: "Hundertfach frecher müßte die Sendung sein, oder, wenn Sie so wollen, hundertfach antisemitischer." Und Produzent Jürgen Hobrecht von Polis-Film beschwichtigt: "Nachpfeffern kann man immer noch." Für eine Prise Pfeffer, die dem NDR allerdings bereits zu viel war, sorgten im Pilotfilm nur Frau Altaras und ihr Studiogast, der Schriftsteller Rafael Seligmann, aber auch das sehr gebremst. Zum Beispiel erzählt Frau Altaras diesen Witz: "Sind Sie Jude? Nein, ich sehe nur so schlecht aus." Seligmann verstand den Witz nicht, was wahrscheinlich gar nicht gegen den Schriftsteller spricht, aber immerhin haben Gast und Moderatorin versucht, ein bißchen Chuzpe in "Chuzpe" zu bringen.

Mittlerweile liegt dem NDR eine Fassung vor, die bereinigt wurde - ein sendefähiges Band also. Aber ob das jemals zu sehen sein wird, ist noch unklar. Zum einen hat ja der Fernsehdirektor mitgeteilt, "solche Absichten" habe es nie gegeben, zum anderen haben sich auch bei dem Namen "Chuzpe" Titelschutz-Probleme eingestellt, ein Radiomagazin heißt wohl schon so.

Somit werden wohl mittlerweile die dem Jiddischen zu entnehmenden Sendetitel knapp. Daß der NDR Gefallen an "Meschugge" fände, ist eher nicht zu erwarten, wenngleich das gewiß nicht unoriginell wäre.