Frohe Botschaft, gute Hoffnung

westlichen Staaten diskutieren einen Entsorgungsplatz für PKK-Chef Öcalan

Wenn es um seine Person geht, ist Abdullah Öcalan nicht allzu bescheiden, aber auch nicht von übermäßigem Realismus geplagt: "Meine Anwesenheit hier eröffnet die Chance, einen Dialog zu beginnen, der Türken und Kurden aus der Sackgasse des Krieges herausführen kann."

Letzte Woche setzte der PKK-Führer seine Goodwill-Offensive aus seiner Zwangsresidenz am Meer bei Rom fort - wohl noch im Glauben, durch seine Person die kurdische Frage zu einem Dauerproblem der europäischen Staaten machen zu können, das auf eine politische Lösung drängt. Der kurdische Politiker bekräftigte erneut nicht nur seine Abkehr vom bewaffneten Kampf. Er kritisierte sogar seine Partei - zumindest deren Führungsstruktur - heftig und kündigte an, seinen PKK-Vorsitz aufzugeben.

Allerdings sind seine Botschaften nicht neu. Ab 1993 wurden von Öcalan zusammen mit den ersten Waffenstillständen politische Lösungsvorschläge verkündet, in denen er immer wieder seine Bereitschaft erklärte, vom Vorsitz der PKK zurückzutreten, sollte seine Person ein Hindernis für einen Verhandlungsprozeß unter Beteiligung der PKK darstellen. Aus kurdischen Kreisen war hingegen relativierend von der möglichen Abgabe einiger Aufgaben des PKK-Vorsitzenden die Rede. Öcalan sprach gegenüber der linken italienischen Zeitung Il Manifesto von einer Aufgabe des Vorsitzes, um einen politischen Neuanfang bei der PKK selbst zu ermöglichen.

Auch die übrigen im Verlauf der letzten Woche bekanntgegebenen Vorschläge Öcalans knüpfen an die bereits 1993 eingeleiteten politischen Neuorientierungen der PKK an. So berichtete die FAZ vom vergangenen Wochenende von intensiven Kontakten zwischen der PKK-Führung und anderen kurdischen Organisationen mit dem Ziel, das seit 1993 bestehende gemeinsame Protokoll zwischen PKK und der - schon immer gewaltfrei und sozialdemokratisch orientierten - Sozialistischen Partei Kurdistans Kemal Burkays auf einen Zusammenschluß möglichst vieler kurdischer Organisationen im europäischen Exil auszuweiten. So steht die Frage einer inneren Reformierung der PKK auch mit einer Neudefinition der politischen Rolle der Organisation im Zusammenhang: im Sinne eines weitergehenden Abbaus des Hegemonieanspruchs der PKK gegenüber den übrigen kurdischen Diaspora-Strukturen in Europa. Mit einer gemeinsamen Stimme soll der Druck auf die europäischen Staaten erhöht werden, um sie im Kurdistan-Konflikt zu einer konsequenteren Haltung gegenüber der Türkei zu bewegen.

Es geht also bei Öcalans Rücktrittsäußerungen nicht nur darum, sich angesichts eines eventuell doch bevorstehenden Prozesses gegen ihn von den der PKK und seinen Befehlen zugeschriebenen Taten zu entlasten und eine "vorteilhafte Optik" herzustellen, wie die FAZ Verfassungsschutzkreise zitiert. Persönliche Distanz zur Tagespolitik der Partei, etwa in einer Art repräsentativer Präsidentenrolle, könnte Öcalan genau den Bewegungsspielraum verschaffen, den er für ein Konfliktlösungsmodell braucht: Auf der einen Seite die kurdischen Massen und die PKK als Teil einer neugeschaffenen, PLO-artigen Struktur kurdischer Organisationen, auf der anderen Seite die europäischen Staaten und die Türkei als unmittelbare Gegner der kurdischen Bewegung.

Zwischen den verschiedenen Ebenen vermittelt Öcalan dann in der Rolle eines als Staatsmann anerkannten Übervaters der kurdischen Nationalbewegung aus der Türkei, der als großer Kommunikator zwischen Massen, Partei und internationaler Staatspolitik die politischen Prozesse anstößt und moderiert.

Die Verwirklichung solcher Visionen Öcalans zu verhindern, dürfte Konsens unter allen beteiligten Staaten sein - jenseits aller in den letzten Wochen aufgebrochenen Unstimmigkeiten über den Umgang mit dem ungeliebten Kurdenführer. Die Freilassung Öcalans aus seinem italienischen Hausarrest durch die römischen Richter wurde zwingend, nachdem Deutschland definitiv ein Auslieferungsbegehren als Konsequenz aus dem formal noch immer gültigen internationalen Haftbefehl abgelehnt hat. Italiens maßgebliche politische Kreise können bei aller Sympathie für die kurdische Sache aber schon aus außenpolitischen Gründen kein Interesse an einem dauerhaften Asyl Öcalans in Italien und einer Umsetzung seiner Visionen von italienischem Boden aus haben. Die USA haben Öcalans Freilassung sofort kritisiert und üben nun "beratenden" Druck auf die deutschen, italienischen und türkischen Behörden aus, das leidige Problem im Sinne ihrer außenpolitischen Interessen in der Region zu lösen. Und ein Prozeß in Italien, den Öcalan womöglich tatsächlich in Dimitroffscher Manier gegen die Türkei wenden könnte (vgl. Bruinessen-Interview in Jungle World, Nr. 50/98), ist, abgesehen von den unsicheren juristischen Realisierungschancen für ein internationales Verfahren, sicher auch nicht in diesem Sinn.

Bleibt also die Abschiebung Öcalans in ein Land, das möglichst nicht in den türkisch-kurdischen Konflikt involviert und zudem bereit ist, Öcalan aufzunehmen. Die im Laufe der vergangenen Woche in der Öffentlichkeit lancierten Möglichkeiten Albanien, Libyen oder gar Nordkorea bzw. Pakistan sind wohl eher als Drohung gegen Öcalan zu verstehen, in welch unsichere Weltgegenden man ihn im Falle mangelnder Kooperation verschwinden lassen könnte. Der Aufenthalt Öcalans in einem von den USA als "Schurkenstaat" gebrandmarkten Land wie Libyen oder Nordkorea wäre darüber hinaus äußerst kontraproduktiv für das kurdische Anliegen, das Terroristen-Image endlich abzustreifen.

Die zuletzt ins Spiel gebrachte Möglichkeit einer Abschiebung Öcalans nach Südafrika könnte einen Ausweg aus dem Dilemma bieten. Dessen heutiger Präsident Nelson Mandela kann selbst auf eine Vergangenheit als Führer einer lange Zeit vom Westen als "terroristisch" verfemten Befreiungsbewegung, des ANC, blicken. Öcalan wäre dort relativ sicher vor türkischer Verfolgung - Mandela hat schließlich schon einmal die Verleihung eines "Atatürk-Friedenspreises" durch die Türkei unter Verweis auf die Unterdrückung der Kurden abgelehnt -, gleichzeitig aber auch weit weg von Europa.

Damit wäre auch der kurdische Druck auf die Staaten der EU abgeschwächt und der aktuelle Streit um die Person Öcalans entschärft. Zugleich könnte Südafrika eine Art Vorbild-Funktion erfüllen - ein Wink an die Türkei, daß die Konflikte nur politisch zu lösen sind.