Wagners Koffer

Richard Wagner - Der Bayreuth-Clan inszeniert John Frankenheimer. Über die Bücher einer furchtbaren Familie.

The artist formerly known as "Christo" überraschte die Kunstwelt vor einigen Jahren durch die Behauptung, seine weltberühmten Werke stammten nicht von ihm selber ab, sondern von einem Ehepaar, das seither unter dem no-name "die Christos" durch die Welt geistert. Es war, als fände sich von Schopenhauer ein Zettel mit der Nachricht, er habe seine misogynen Texte nicht alleine geschrieben, sondern zusammen mit seiner Zimmerwirtin. Bekenntnisse dieser Art sind nicht selten. Auch Claes Oldenburgs Gattin avancierte eines Tages zur Mitherausgeberin seiner brillanten Software.

Über die Gründe berühmter Männer, sobald sie pro Monat eine Kurpackung "Nomon" verbrauchen, ihre alten Schachteln als bedeutsame Künstlerinnen zu outen, kann man nur spekulieren. Von einem meiner Freunde, der angibt, seine Gattin sei Co-Autorin, vermute ich, daß er es tut, um sie über seine Affären hinwegzutrösten. Geradezu epidemisch ist der umgekehrte Fall: Künstler tot, das Trauerjahr ist noch nicht vorüber, da entdeckt die Witwe der Nachwelt ihre Miturheberschaft. Zuweilen machen sich auch zwei Witwen die Urheberschaft am Werk des Verflossenen streitig. Bekannter Fall: Anja Silja und Gertrud Wagner, Wielands wehleidige Witwe.

Das nicht zu empfehlende Buch der Ghostwriterin Renate Schostack "Hinter Wahnfrieds Mauern: Gertrud Wagner" wirft deshalb ganz nebenbei die Frage auf, warum Frauen sich nicht gleich trauen, Ruhm und Lohn einzufordern, sondern erst, wenn sie trauern?

Man könnte auch mit dem Kino anfangen. Richard Wagners Tonwerk ist Filmmusik, seine Art, Stoffe zu adaptieren und zeitgemäß zu drapieren, entspricht der Art, wie die Hollywood-Tycoone Filme gemacht haben. In der dritten und vierten Generation nach dem deutschen Tonsetzer sind wir dann bei Altmeister John Frankenheimer.

Sein "Ronin" (Jungle World, Nr. 49/98), den man sich der audiovisuellen Effekte wegen im Moviedick anschauen sollte, ist nach dem bekannten Muster gestrickt, ein paar Revolverhelden streiten sich um einen Koffer, hat aber einen ungewohnten Aspekt: Keiner weiß, wem der Koffer gehört, was drin ist, wozu sein Inhalt gut sein soll und folglich, welchen Sinn es machen könnte, sich seinetwegen gegenseitig umzubringen. Robert de Niros Partner Vincent kriegt nur raus, daß es sich eigentlich um einen Schlittschuhkoffer handelt.

Diese Reduktion ist derzeit unerläßlich. Ich hasse lange Erklärungen für eine Schlägerei oder eine Autojagd. Was aber ästhetischen Sinn macht, ist auch inhaltlich gut. Unsere heutige Art, Kunst zu genießen, verlangt nach einem Koffer, dessen Inhalt unwichtig ist.

Das war früher anders.Nehmen wir Wagners Opern. In der Auseinandersetzung um Wagner werden seit der Restauration in den frühen fünfziger Jahren am liebsten nur die emotionalen Beziehungen zwischen dem Wagner-Clan und Hitler herausgestellt, zum Beispiel Winifreds Verehrung für Onkel Wolf. Sie liebte Hitler, lange bevor er sich als Schutzherr ihres Familienunternehmens nützlich machte. "Auf ihrem Papier und mit ihrer Tinte und ihren Federn schrieb er den ersten Band seines 'Mein Kampf'. Solange er sich auf der Festung befand, versorgte sie ihn mit allem, was ein vermeintliches Genie benötigen könnte", schreibt Friedelind Wagner in "Nacht über Bayreuth. Die Geschichte der Enkelin Richard Wagners", 1944. Nachts traf man sich heimlich, und einmal wollte man sogar heiraten. Später übernahm Onkel Wolf im Rahmen seiner knapp bemessenen Zeit als Führer und Reichskanzler Vaterrolle und Taschengeld bei Richards Enkeln Wieland und Wolfgang, da Winifreds neuer Stecher, der Berliner Generalintendant Tietjen, sich als wenig kinderfreundlich erwies. Der ohnehin schwule Siegfried starb relativ früh, 1930.

Das ist jedoch zu kurz gegriffen. Verena Naegele hat in ihrer Studie "Parzifals Mission. Der Einfluß Richard Wagners auf Ludwig II. und seine Politik" sehr spannend herausgearbeitet, wie die Homosexualität nur das Mittel (also ein emotionaler Kitt) war, mit dem Wagner Ludwig II. an sich band, jedoch nicht das Ziel.

Das Ziel war politisch, der (gescheiterte) Versuch, die deutsche Einheit zwar nicht ohne, aber auch nicht hegemonial mit Preußen zu erkämpfen, sondern über die süddeutschen Fürsten, mit Ludwig an der Spitze. Ein Kaiserreich mit Kaiserich. Die Hohenzollern waren bekanntlich gekränkt und wiesen Richards Jubelhymne brüsk zurück, die er flugs komponierte, als er seinen Irrtum bemerkte, und erst 1933 wurde der Komponist posthum von der königlich-bayerischen Hofschranze zum großdeutschen Musikgott befördert.

Man mag von Wagners Koffer halten, was man will. Seine unsäglichen Libretti waren allzeit mehr als nur Tolkien oder Michael Ende oder was immer für Kitsch aus europäischen Legenden und Mythen gebraut wurde. Wagners schwülstige Weisen und Orchesterstürme, das Alphabet seiner Leitmotive, seine karnevalesken Kostüme, kitschigen Ausstattungen und grotesken Requisiten, die ihrerseits allesamt der infantilen Phantasie eines Gozzi oder eines Hollywood-Studio-Chefs entstammen könnten, seine ridikülen Songtexte, die Lächerlichkeit seiner Pseudo-Stabreime etcetc., alles das, was "der braune Richard" (Wieland an Friedelind) sich erträumte, reüssierte spätestens am fin du siècle zum Ausdruck für die ideologisch verhunzte Gefühlswelt eines Bürgertums, das nach dem Sturz der Monarchie und dem Stuß der SPD in Hitler seinen Jung-Siegfried sehen wollte.

Wagners Werk als Kraftwerk Hitlers, das kann man schon sagen. Hitler freilich nahm Wagner nicht allzu wörtlich. Während Wagners Wotan noch hoffte, mit Hilfe des "Rings der Nibelungen" die Weltherrschaft zu erlangen, verließ der von ihm inspirierte Führer sich lieber auf die Panzer Krupps.

Die Parallelität zu "Ronin", den man wirklich nicht gesehen haben muß, beschränkt sich nicht auf den Koffer. So wie sich in Wagners Tetralogie alle um den Ring kloppen (oder bei Frankenheimer um den Koffer), kloppen sich Wagners Erben um den Ruhm, am wagnerischsten zu sein.

In einer Auswahl aus dem Familienalbum, "Die Geschichte unserer Familie in Bildern", herausgegeben von Wolf Siegfried Wagner 1976, kann man bestaunen, wie Richards Nachkommen sich seit drei Generationen am liebsten im Profil fotografieren lassen, um zumindest die biologische Artverwandtschaft zu belegen (wenn man schon strunzdumm und unbegabt ist), und wer es nicht tut, hat garantiert nicht den Familienzinken geerbt und kriegt deshalb keinen Zinnteller.

Ich habe nicht überprüft, wann die Wagners angefangen haben, "Dallas" zu spielen. Früh dran war Isolde, die zwar noch von Bülow hieß, jedoch schon von Wagner stammte. Der Fall war brisant. Siegfried, Isoldes Bruder, war aus den bekannten Gründen noch immer ohne Nachkommen, und Isolde hatte bereits einem Enkel das Leben geschenkt. Cosima Liszt, geschiedene von Bülow, verwitwete Wagner, aber zog es vor, ihren Sohn Siegfried zu drängen, für Söhne zu sorgen, um den Sippennamen zu retten und bestritt Wagners Vaterschaft, und so half es Isolde wenig, daß sie auf dem üblichen Profilfoto den gleichen Zinken hatte wie Siegfried, Eva und Cosima bzw. Richard, der aber nicht mit drauf ist, weil er schon tot war.

Hätte Isolde damals den Prozeß gegen ihre Mutter gewonnen, hätte Gertrud sich ihr jetzt erschienenes Buch sparen können, weil irgendein Franz Willi Beidler Festspielleiter geworden wäre und nicht ihr Wieland, und als First Lady hätte Haus Wahnfried noch dazu eine Schweizer Jüdin gekriegt, aber wie sich nach 1945 zeigen sollte, hätte die bayerische Staatregierung das sowieso nicht mitgemacht.

Heutzutage schreibt jeder vom Clan, der auch nur einen Griffel halten kann, mindestens eine Familiensaga, zwecks Eigenlob und Mobbing der übrigen Clanmitglieder, notfalls eben wie Gertrud, die etliche Ghostwriterinnen verschlissen hat, weil keine den Spagat hinkriegte, aus ihrem Geschwätz ein brauchbares Buch zu machen.

Es sind unsägliche Werke darunter wie Wolfgang Wagners "Lebens-Akte" (1994), eine Selbstbeweihräucherungsbilanz, die den Charme des Kassenberichts des Kassieres eines Karnickelzüchtervereins und eben auch so langweilige Korinthentüten wie Schostacks Schwarte noch unterbietet.

Inzwischen schreibt die vierte Generation, Nike, Gertruds und Wielands Tochter, 1945 geboren. Sie war eine Steißgeburt, wog eben fünf Pfund und wurde sofort lebensgefährlich krank. Sobald ich mehr über sie gelesen habe, werde ich Sie unterrichten.

Recht witzig ist Friedelinds Buch, das keiner mag, auch Gertrud nicht, die aber auch Friedelind nicht mag. Die beiden waren Schulfreundinnen, und "Maus" war immer so hinterhältig.

Natürlich freut es einen, wenn man liest, wie Onkel Wolf tobt, und Winifred droht mit Giftmord und Gestapo, wenn "Maus", die in die Schweiz ausgebüxt ist und sogar noch weiter will, nach New York, zu Onkel Toscanini, nicht sofort nach Hause kommt. Aber das Werk hat zwei gravierende Mängel. Der eine: Mausens Kritik an Winifreds Liaison mit dem Führer beschränkt sich darauf, daß er ein Parvenu war, der einen schlechtsitzenden Frack trug, keine Tischmanieren hatte und in kurzen Hosen komisch aussah (wie alle Männer).

Der zweite: Friedelind wollte selber gern Festspielleiterin werden. Sie hatte wie es scheint, auch das Zeug dazu, und da 1944, als "Heritage of Fire" erschien, der Krieg praktisch verloren war, wurde ihr Buch nach dem Krieg natürlich als Versuch interpretiert, ihre Startposition zu verbessern.

Anzunehmen, daß die bayerischen Politiker, die am Ende über die Zukunft Bayreuths entschieden, eben deshalb - wie schon im Fall Franz Beidler - nie erwogen, Friedelind den Chefsessel zu geben. So wurde die Kontinuität lieber auf der ästhetischen Ebene durchbrochen und zugleich gewahrt.

Daß es nach 1945 unerläßlich war, Richards Koffer ohne Inhalte zu präsentieren, wußte damals jeder. Man konnte dabei sogar auf ästhetische Errungenschaften der Nazizeit zurückgreifen. Die Lichteffekte in Wieland Wagners ersten Inszenierungen haben mich immer an Leni Riefenstahl erinnert, und darin lag sicher auch die breite Anerkennung begründet, die der Neubayreuther Stil sofort fand. Nur die unbelehrbaren Nazis, die in der Adenauerrepublik nicht die Fortsetzung der Nazizeit unter alliierter Aufsicht sehen wollten, waren über die Entrümpelung entrüstet.

Daß die vagen Versuche, Bayreuth überhaupt für den Wagnerclan und dessen Erbe (Opas Opern) zu sperren, bald aufgegeben wurden, nachdem die innige Beziehung zwischen Nazi-Doktrin und Wagners Werk evident war, beruhte dementsprechend auf einem kunsttheoretischen Mißverständnis.

Es ist auffällig, daß seit 1945 gerne zwischen dem musikalisch genialen, als Musiker quasi unpolitischen Tonkünstler Wagner und dem zielstrebig auf Eliminierung undeutscher Elemente zusteuernden Essayisten und Librettisten unterschieden wird, und mir scheint, schon Adorno ("Versuch über Wagner", 1952) versuchte seit den dreißiger Jahren, sein musikalisches Idol mit dieser Masche wenigstens partiell zu retten.

Der Versuch war auch in der DDR genehm, wenngleich erst in der Verfallsphase. Man lese (oder lieber nicht: es ist ziemlich langweilig und mir auch zu religiös) Friedrich Dieckmanns Wagner-Buch "Richard Wagner in Venedig" von 1983. Wie er sich müht, Wagners Judenhaß in Einklang mit der marxistischen Lehre zu bringen und im Rückgriff auf die drei Barrikadentage des Dresdner Kapellmeisters, 1848, in eine tendenziell antikapitalistische, quasi revolutionäre Linie einzubetten, womit er gleich für die Zeit nach der Wende gewappnet ist.

So unhaltbar diese Trennung zwischen Musik und politischer Ideologie, zwischen Libretto, Komposition und vorhergehender essayistischer Darlegung ist, sie war in der Bayreuther Aufführungspraxis ab 1951, an der Gertrud in Schostacks Buch jetzt posthum Miturheberschaft beansprucht, das Ei des Columbus. Was Bayreuth inszeniert, seit Winifred, Wieland und Wolfgang den Krieg verloren hatten, ist Frankenheimers Koffer.

Ah ja: Es gibt natürlich doch gute Gründe, Gertruds Biographie zu lesen. Wer Enthüllungsbücher mag wie die über Lady Di und für Richard Wagner schwärmt und gerne liest wie die Männer immer den Frauen die Butter vom Brot nehmen und wie prüde Wieland erst war und wie er später dann rumgefickt hat und wie schlecht es sogar den Wagners gleich nach dem Krieg ging und was für ein reaktionärer Pedant und Nazi Gertruds Vater war und wie schofel Wolfgang sie behandelt hat und wie schön sie tanzen konnte und wie das war, wie sie schon als Kind bei Wagners ein- und ausging, und wie ulkig Friedelind sein konnte, wenn sie nicht gerade gemein war, und daß es doch auch ganz nette Menschen gibt, und daß Wieland ganz nett fotografieren und hübsch konventionell malen konnte, aber ein lausiger Regisseur war, der ohne Gertrud nie eine Inszenierung hingekriegt hätte - aber ich glaube, das hatten wir schon.

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