Wirtschaftswunder-Story

ARD und Premiere verfilmten das Leben des Profiboxers Bubi Scholz und schafften es, Scholz' wahre Bedeutung nicht zu erkennen

"Die Zeit war nämlich einfach reif für das süße Leben nach den 15 Jahren Wiederaufbau, der Schwielen an den Händen und an den Seelen hinterlassen hatte. Süßes Leben wurde ein Schlagwort. Vielleicht war es auch nur eine notwendige Reaktion, eine Sache der Besinnung auf sich selbst. In Dachau wurde die unheimliche Vergangenheit mit der Einweihung der Todesangst-Christi-Kapelle auf dem Gelände des ehemaligen Konzentrationslagers zitiert. Aber in der Berliner Waldbühne, in der sich Boxer große Ringschlachten geliefert hatten, stand auch die verlorene Vergangenheit beim Tag der Heimat wieder auf, einer Demonstration der Vertriebenen." (Bubi Scholz über das Jahr 1960 in seiner Autobiographie "Der Weg aus dem Nichts", Berlin 1982)

Gustav "Bubi" Scholz ist Geburtsjahrgang 1930. Wie Helmut Kohl. Fragt man sich, warum im Jahr der Abwahl von Helmut Kohl in dieser Republik dem früheren Europameister im Mittelgewichtsboxen ein größeres Interesse entgegengebracht wird, kommt man an Helmut Kohl und Gerhard Schröder nicht vorbei.

Doch zunächst zum Boom. Die ARD sendet am 30. Dezember und 1. Januar den zusammen mit Premiere gedrehten Spielfilm "Die Bubi Scholz Story", der Ullstein-Verlag hat die Autobiographie "Der Weg aus dem Nichts", die Scholz vier Jahre, bevor er seine Frau Helga erschoß, geschrieben hatte, neu aufgelegt, der Heyne-Verlag verkauft die Biographie zum Film, der Aufbau-Verlag das Drehbuch des Films, die Plattenfirma Bear Family Records hat Scholz' "Sie hat nur Blue Jeans" neu pressen lassen, und die Berliner Boulevard-Zeitung B.Z. brachte Mittte November eine groß beworbene dreiteilige Scholz-Geschichte, die mit der Schlagzeile "Mein Gott, Alzheimer" begann. Den jungen Bubi Scholz spielt Benno Fürmann, den alten Götz George, die junge Helga Druck, spätere Scholz, wird von Nicolette Krebitz, die alte von Angela Winkler gespielt.

In den Mittelpunkt des Films haben Regisseur Roland Suso Richter, Drehbuchautor Uwe Timm und Produzent Günter Rohrbach den juristisch fahrlässige Tötung genannten Mord an Helga Scholz gestellt: Am 22. Juli 1984 schoß Bubi Scholz im Vollrausch auf die Toilettentür in der heimischen Grunewald-Villa, wissend, daß seine Frau gerade in der Toilette war. Er schoß mehrmals, Frau Scholz verblutete. Scholz erhielt eine dreijährige Haftstrafe, von der er etwas mehr als zwei Jahre absaß.

Mit der Haft, einem Selbstmordversuch in der Haft und mit Gesprächen, die Scholz mit einer Therapeutin führt, beginnt der Film. Die Gefängnisgespräche von Scholz werden in einem grobkörnigen Grau gezeigt, das an die Focus-Fernsehwerbung erinnert und befürchten läßt, gleich erklärte Helmut Markwort devot nickenden Redakteuren, warum die Leser ein Scholz-Gespräch interessiert. Alle anderen Sequenzen des Zweiteilers sind schön bunt. Erzählt wird die Geschichte des Jungen Bubi aus dem Prenzlauer Berg, der Boxen lernt, weil es sonst für ihn nichts gibt. Einem drohenden "Rocky I"-Revival steht der Umstand im Weg, daß der junge Bubi schlicht kein guter Boxer war: Er mußte es erst langsam lernen, tat sich schwer damit, aber er hatte den festen Willen, nach oben zu kommen.

Diesen Willen schildert der Film erstaunlicherweise nicht. Geschildert wird nur der Wille des jungen Bubi, sich bourgeois zu geben, sich vom von ihm als kleinbürgerlich empfundenen proletarischen Mief der Eltern loszusagen, anders als der Vater zu werden. Möglichst schnell zieht er aus dem Prenzlauer Berg fort, von einer seiner ersten größeren Gagen kauft er sich einen Cabrio, mit dem er Mädchen imponieren möchte. Das wird in dem Film geschildert, aber das sind eben für junge Profiboxer sehr normale Umgangsformen. Es sind keine, die den Willen, ganz nach oben zu gelangen, dokumentieren, sondern eher welche, die sich recht bald selbst genügen.

Scholz' Glaube, etwas ganz Besonderes zu sein; sein Wille, erst im Sport, dann im Geschäftsleben besondere Erfolge zu feiern - er führte nach seiner Boxerkarriere recht erfolgreich eine Werbeagentur - wird in seiner Autobiographie deutlich, nicht in dem Film. Das ist erstaunlich, denn genau dieser Wille zum Erfolg, egal was vorher war und egal was kommen wird, machte aus Scholz bis zum 22. Juli 1984 alles: Obwohl ihn niemand für talentiert hielt, wurde er Profiboxer. Obwohl er nur in einer niedrigen Gewichtsklasse kämpfte, wurde er Nachkriegsdeutschlands Boxidol. Obwohl ihn die vermögende Familie seiner späteren Frau ablehnte, heiratete er Helga Druck. Obwohl eine offene Tuberkulose 1955 seine Karriere beendete, machte er weiter, wurde 1957 Deutscher Meister im Mittelgewicht, 1958 Europameister, 1962 verlor er einen Halbschwergewichts-WM-Kampf gegen Harold Johnson und 1964 wurde er bei den Halbschweren noch mal Europameister. (Mit einem Anflug von Häme erwähnt Scholz in seiner Autobiographie, daß Johnson später "Drummer einer zweitklassigen Bar-Combo" wurde.)

Damit wurde Bubi Scholz, der zum Kriegsende 15 Jahre alt war, zum Symbol des Wirtschaftswunders. Trotz oder wegen seiner Vergangenheit entwickelte Deutschland sich wieder zu einer ökonomischen Macht, erhielt gar seine eigene Armee wieder und erkämpfte sich internationale Anerkennung. "Von meiner Sorte und aus meiner Generation gibt es Hunderttausende in der Bundesrepublik", schreibt Scholz in seiner Autobiographie. "Wenn ich noch den Mut zum Größenwahn der ganz Jungen hätte, würde ich behaupten: Wir sind die Republik!"

Bubi Scholz, der Nachkriegsdeutschland repräsentiert wie kaum einer sonst - einzig der gerade verstorbene Hendl-König Friedrich Jahn wäre mit Scholz vergleichbar, wenn er kein Österreicher gewesen wäre -, scheiterte in den siebziger Jahren, wie auch in den siebziger Jahren das "Modell Deutschland" in die Krise rutschte. Scholz begann zu trinken, er schlug seine Frau, im Suff schoß er um sich, und 1977 wurde er wegen gefährlicher Körperverletzung verurteilt. Dieses Scheitern, gipfelnd im Mord an seiner Frau 1984, ist dramatischer als die Krise des Exportweltmeisters BRD. Bubi Scholz repräsentierte nichts mehr und geriet in Vergessenheit. Einem Mörder und Verlierer halten nur wenige die Stange.

Davon ist in dem Film nicht die Rede. "Die Bubi Scholz Story" versucht sich am Boxsport, am Saufen, am Mord. Sie versucht, Zusammenhänge zu konstruieren, die sich nicht finden lassen. Drehbuchautor Uwe Timm schaffte es sogar, die Figur eines gescheiterten und in der Birne weich gewordenen Ex-Boxers, Paul Körner, einzuführen, der angeblich Würstchen verkaufte. Das Symbolbild hat mit der historischen Person Paul Samson-Körner, der im zweiten Weltkrieg starb, nichts zu tun; es zeigt eher, welches Boxerbild Drehbuchautor und Regisseur haben.

Der Film, den sie drehten, ist eben Bestandteil des gegenwärtigen Bubi-Scholz-Booms und taugt kein bißchen zur Erklärung dieses Phänomens. Der Aufstieg eines Boxers mit dem Allerweltsnamen Scholz und dem Allerweltsspitznamen Bubi erfolgte, als in den fünfziger Jahren eine Figur benötigt wurde, die die Ärmel hoch krempelte. Er repräsentierte einen, der mit der Arbeiterbewegung nichts zu tun hatte, denn er vertraute der eigenen Kraft - in seinem Buch lobt er die SPD, die 1959 "die Ballonmützen abgab". Vor allem aber repräsentierte er einen, der das Vergessen der jüngsten Geschichte so glaubwürdig vertreten konnte, ohne daß man ihm dabei böse sein konnte.

Bubi Scholz verkörperte die "Gnade der späten Geburt", die Helmut Kohl später stolz für sich reklamieren sollte. Und nun ist dieser Bubi Scholz, ist diese Verkörperung des Wirtschaftswunders, die diesen Blick auf die Geschichte produzierte, selbst historisiert. Helmut Kohl ist abgewählt, Bubi Scholz ist ein Pflegefall in seiner Wohnung in Berlin-Ruhleben. Sie sind Relikte einer Übergangszeit, in der es noch galt, das Gedenken an die Greuel in den Konzentrationslagern mit dem Tag der Heimat der Vertriebenen zu harmonisieren.

Die neue Epoche aber wird von der arroganten neuen Unbefangenheit eines Gerhard Schröder bestimmt: Kein Aufsteiger trotz der widrigen Bedingungen, sondern einer, der nimmt, was ihm gehört, und der zum Gedenken nur dann schreitet, wenn man "gerne hingehen" möchte. Da ist einem ja fast Bubi Scholz noch lieber.