Bärtige aus Eisen

Kuba feiert den 40. Jahrestag der Revolution

Der Platz der Revolution in Havanna ist schon Tage vorher festlich geschmückt. Gleich mehrere kubanische Flaggen flattern an den Lichtmasten, die den zentralen Platz der Hauptstadt in gleißendes Licht tauchen. Der Kommunistische Jugendverband UJC hat zur Fiesta geladen. Die Stars der kubanischen Musik stehen auf der Bühne. Neben der dienstältesten Salsaband Kubas, Los Van Van, haben die Nachwuchskommunisten für ihre zweitägige Jahresabschlußveranstaltung aufstrebende Nachwuchsgruppen geladen, denn es gibt etwas zu feiern: den 40. Jahrestag der kubanischen Revolution.

Die Jugend der Hauptstadt kann sich vor dem 1. Januar - der Tag, an dem 1959 die barbudos, die bärtigen Revolutionäre, in Havanna einmarschierten - schon einmal warmtanzen für das Jubiläum, das in diesem Jahr mit einem zentralen Akt in Santiago de Cuba begangen wird.

Vor der offiziellen Siegesfeier beschäftigt viele, was Staatschef Fidel Castro den elf Millionen Kubanern wohl mitteilen würde. Die einen erwarten eine historische Rede über die Erfolge von 40 Jahren kubanischer Revolution, die anderen eine Analyse der aktuellen Situation und neue Perspektiven vom wortgewaltigen Comandante en Jefe.

Aber bei Castro steht vor seinen etwa 10 000 geladenen Gästen, darunter der kolumbianische Schriftsteller Gabriel Garc'a M‡rquez und der portugiesische Nobelpreisträger José Saramago, die Erinnerung an den glorreichen Sieg im Vordergrund. Jenes "militärische und politische Wunder" vor 40 Jahren, an dem Castro selbst und seine "Männer aus Eisen" mitgewirkt hatten.

Für Ernesto Gonz‡lez, Wissenschaftler am Biotechnologischen Institut von Havanna, hat das seine Berechtigung. Er freut sich über "das, was die Revolution uns gebracht hat: die Unabhängigkeit, die Gleichberechtigung, die unentgeltliche Gesundheitsversorgung und das Bildungssystem". Davon profitiere die gesamte Bevölkerung - und: "sie haben es mir ermöglicht zu studieren und hier am Institut zu arbeiten", erklärt das UJC-Mitglied.

Ernesto hat der Revolution viel zu verdanken. Mit seinen 30 Jahren hat er einen Job mit Perspektive, denn die Biotechnologie ist sich als potentielle Wachstumsbranche einer Vorzugsbehandlung im sozialistische Kuba sicher. Mit vielen Alltagssorgen seiner Landsleute hat er wenig zu tun. Die Anreise zur Arbeit, das reichhaltige Kantinenessen, die Versorgung mit Arbeits- und manchmal auch mit Freizeitkleidung, das alles wird von seinem Betrieb garantiert. Diese Vergünstigungen, aber auch Leistungsprämien in Devisen - der begehrten Währung des Klassenfeindes, mit der sich in Kuba alles kaufen läßt - gehören zu den Anreizen, die Ernesto das Leben erleichtern. Für kubanische Verhältnisse hat er das große Los gezogen, denn Arbeitsplätze wie der seine sind Mangelware und für die Jugendlichen des Landes kaum zu ergattern.

Das ist ein Thema, über das Castro sprechen sollte - über die Perspektiven der Jugendlichen und über die des Landes, meint Enrique. "Wie es weitergehen soll, das möchten wir wissen", sagt der 29jährige Taxifahrer. Enrique ist ausgebildeter Pilot in der zivilen Luftfahrt und hat nach Jahres des Wartens auf einen Job bei der Cubana de Aviaci-n das Handtuch geworfen. An den älteren Piloten mit ihrer Berufserfahrung sei er nicht vorbeigekommen. "Nun bin ich eben Taxifahrer, und das ist einer der privilegiertesten Jobs in Kuba, denn durch das Trinkgeld habe ich ein legales Dollareinkommen." Nicht viel zwar, aber er komme damit über die Runden: "Mein Lohn von 248 Pesos allein reicht hinten und vorne nicht, und das ist ein Grundproblem für alle Kubaner", erklärt er.

Eine Lösung dieses Problems ist nicht in Sicht, und auch Ernesto erwartet nicht, daß Castro eine präsentieren wird. Der Comandante in seinem obligatorischen olivgrünen Kampfanzug beschränkt sich in seiner Rede lieber auf seine Erinnerungen an die Revolution. Seine - in Fernsehen und Radio live übertragene - Mitteilung an die Jugend: "Für die jüngeren Generationen beginnt die Revolution gerade erst." Ernesto ahnt, was das bedeutet: "Ohne den wirtschaftlichen Aufschwung geht es nicht, und deshalb müssen wir eben effektiver und produktiver arbeiten", ist er überzeugt. Und auch für Indira, eine 21jährige Mitarbeiterin des Außenministeriums, ist klar, daß ohne einen "Produktivitätsschub" das Geld für alternative Konzepte fehlt.

Solche Appelle von offizieller Seite verfehlen aber bei manchen ihr Ziel - wie bei der 75 Jahre alten Aleida. Sie hat keine Lust, die Rede von Castro im Fernsehen zu verfolgen, um sich und ihre Hoffnungen auf später vertrösten zu lassen. "Seit 40 Jahren gibt es diese Appelle, und heute geht es uns schlechter als vor zehn Jahren." Es sei nicht gelungen, "eine funktionierende Wirtschaft auf die Beine zu stellen, und ohne die geht es nun einmal nicht. Das heißt nicht, daß ich die sozialistischen Ideale Kubas in Frage stelle. Ich teile sie durchaus, aber ich habe auch andere Wünsche, wie beipielsweise das Reisen."

Einer, der ebenfalls reisen möchte, ist Reinaldo. Der 31jährige Sportlehrer träumt davon, als Trainer ins Ausland zu gehen, in jene Welt, die für Castro "durch ungezügelte Währungs- und Aktienspekulation zu einem Spielkasino geworden ist", in dem die "planlosen und chaotischen Gesetze des Marktes gelten". Reinaldo aber will dort Geld verdienen und dann auf die sozialistische Karibikinsel zurückkehren. Die ersten Kontakte hat er bereits geknüpft; aber ob sich sein Vorhaben so einfach realisieren läßt, steht in den Sternen. Ihn interessiert die Rede Castros nicht die Bohne: "Ich erwarte nichts vom Staat und will mein Leben selbst gestalten." Die kostenlose Ausbildung und die Gesundheitsversorgung, aber auch seine Bezugskarte für rationierte Lebensmittel, die libreta, sind für ihn Selbstverständlichkeiten, mit denen er aufgewachsen ist und die nicht weiter ins Gewicht fallen.

Eine Tatsache, die dem UJC-Funktionär Ernesto klar ist. "Natürlich müssen wir mehr für die Jugend tun. Natürlich fehlt es an Perspektiven; es gibt Jugendliche, die ihr Glück auf eigene Faust suchen, die Jugendkriminalität steigt und es gibt Prostitution auf Kuba. All diese Phänomene sind uns bekannt und sind in den letzten Monaten auf Kongressen und in der Nationalversammlung diskutiert worden." Aber nicht die gesamte kubanische Jugend sei betroffen, nur ein Fünftel etwa, und außerdem "gibt es keine schnellen Lösungen für diese Probleme, die schließlich auch in hochentwickelten Industrieländern auftreten", gibt er zu bedenken.

Von diesen internen Diskussion dringt nur wenig an die Öffentlichkeit. Es fehlt an öffentlicher Auseinandersetzung über die Probleme und über eventuelle Lösungen. Die Medien bringen auch zum 40. Jahrestag der Revolution keine kritische Bestandsaufnahme der derzeitigen Situation. Eine Analyse der Probleme wäre aber wenigstens schon mal ein Anfang.

Zum Jahrestag flimmert statt dessen ein mehrteiliges halbdokumentarischer Epos mit dem Titel "Spuren des Kampfes" über die Mattscheibe. Mangels Originalmaterials hat man Szenen auf dem Wege zum Triumph der Revolution nachgestellt - und dabei nicht mit Propaganda und "revolutionären Lehren" gespart.