Sadie Plant: nullen + einsen

Die Zukunft der Fußnoten

Eine Arbeit wie das Weben erhält ihren Sinn durch das Produkt, das Tuch bzw. den Teppich - soviel zur kapitalistischen Verwertungslogik. Daß Weben darüber hinaus eine Methode zur Welterfassung sein kann, behauptet Sadie Plant in ihrem cyberfeministischen Buch "nullen + einsen" und legt so einen Subtext zur scheinbar männlich dominierten Computergeschichte frei. Sinngebung findet im nachhinein statt: Handwerkliche Fertigkeiten, die historisch als frauenspezifisch gelten, wie Weben, Knüpfen, aber auch das Tippen von Texten und Zahlenkolonnen stehen nach ihrer Lesart in einer Reihe, die direkt zum Programmieren führt.

Im Fall von Ada Lovelace zeigt Plant auf, daß ihr Einfluß auf die Entwicklung der Differenzmaschine von 1835 weitaus größer war, als die Geschichtsschreibung ihr zugestanden hat. Bisher galt Charles Babbage als alleiniger Entwickler der mit Lochkarten programmierbaren Rechenmaschine. Lovelace dagegen war offiziell nur für den geringgeschätzten Schriftverkehr, die Fußnoten und das Stanzen der Lochkarten zuständig. Im Fußnoten-Apparat finde aber die eigentliche theoretischen Auseinandersetzung um das Maschinenleben statt. Zugleich habe die mit dem Stanzen der Karten beschäftigte Lovelace die unmittelbare Kommunikation mit der Maschine geführt, indem sie die Anlage mit Informationen fütterte und die Ergebnisse auswertete.

Am Beispiel Lovelaces und einer Reihe weiterer Fälle wird zunächst einmal klar, daß Frauen wie gewohnt in der zweiten Reihe Platz zu nehmen haben, wenn es um Anerkennung und Macht geht. Entscheidender ist aber, daß in diesem "Fußnotentum" der Geschichte durchaus der spezielle Wert der Computertechnologie zu entdecken ist. Nichtlineare Strukturen, wie sie Fußnoten oder das Weben darstellen, werden zu den entscheidenden Kennfaktoren der Computerentwicklung.

Im Kontext aktueller Computertechnologien und Künstliche-Intelligenz-Forschung wird die Interpretation von Sadie Plant plausibel: Nicht simpel strukturierten hierarchischen Systemen, die nur von oben nach unten arbeiten und rechnen können, gehört die Zukunft, sondern kleinen Einheiten, die sich vernetzen, verkoppeln und verweben, wie beispielsweise den Netzwerken im Internet schon passiert. In diesen Strukturen gibt es weder Anfang noch Ende, weder Rand noch Zentrum, kein Unten und Oben - (fast) alles ist mit Links verflochten. Und mit dieser Art zu handeln und zu denken, so Plants These, sind Frauen - gezwungenermaßen - vertraut.

Bei der Lektüre ihres Buches stellt sich immer wieder die Frage, ob Technologie schließlich doch eine Geschlechtlichkeit besitzt und Plant nur die Vorzeichen umkehrt: Was bisher pauschal als "männlich" galt, wäre dann als "weiblich" zu umschreiben. Solchen essentialistischen Annahmen stellt Sadie Plant in den Kapiteln "Übergänge, Mutanten und Botanisieren" unterschiedliche Geschlechtskonstruktionen gegenüber. Spätestens hier macht sich bemerkbar, daß die Autorin nicht nur die "Cybernetic Culture Research Unit" der Universität Warwick organisiert, sondern auch im weiten Feld der Cultural Studies unterrichtet. Eine Bewegung, die auch Ada Lovelace genossen hätte, fand sie es doch problematisch, ihre Art zu denken nur einem Geschlecht zuzuordnen. "Ganz sicher ist sie dem Stil einer Frau besonders unähnlich, aber genausowenig kann ich sie so recht mit der irgendeines Mannes vergleichen."

Sadie Plant: nullen + einsen. Berlin Verlag, Berlin 1998, 303 S., DM 39,80