Deutsche Interessen im Euroland

Schröder nimmt Kurs

Zwei Weltkriege und ein Wirtschaftskollaps waren bisher nötig, um in Deutschland eine Währungsreform durchzusetzen. Daß es diesmal ganz ohne Katastrophen gelang, mit dem Euro ein neues Zahlungsmittel einzuführen, ist alleine schon deshalb erstaunlich - und begrüßenswert. Aber man lebte nicht in Deutschland, wenn der bedingte Fortschritt, der mit dem Wegfall der Grenzen verbunden ist, nicht sofort wieder kompensiert werden würde: durch eine Revitalisierung des Nationalen.

Die Einführung des Euro im Blick, hatte Kanzler Gerhard Schröder schon lange vor Martin Walser die Debatte über einen Schlußstrich unter die deutsche Vergangenheit begonnen. Bereits auf dem SPD-Parteitag in Leipzig im April 1998 erklärte er, die Europapolitik von Kohl, der die Währungsunion zu einer Frage von "Krieg oder Frieden" stilisiert hatte, sei noch ein Reflex auf die deutsche Geschichte gewesen. Damit sei es nun vorbei. Deutschland, so Schröder, solle endlich als "normaler" Staat unbelastet von der Vergangenheit seine Interessen im "Konzert der Nationen" (Außenminister Joseph Fischer) vertreten.

In der Welt wird die neue deutsche Marschmusik schon bald zu hören sein. Denn der Euro wird mächtig werden - weniger wegen seiner eigenen Stärke als durch die Schwäche der Konkurrenz: Ein Drittel der Welt durchläuft derzeit eine Rezession; das "asiatische Jahrhundert" ist einfach ausgefallen. Euroland bleibt als Insel der Seligen - die neue Währung hat beste Chancen, dem Dollar Konkurrenz zu machen.

Doch während die Europäer nach außen homogener denn je erscheinen, stehen im gemeinsamen Binnenmarkt harte Verteilungskämpfe bevor. Der Euro-Raum wird zum lukrativsten und damit weltweit heißesten Standort im Kampf um Marktanteile werden. Während sich die Unternehmen den für sie günstigsten Standort aussuchen können, sind die alten Nationalstaaten gezwungen, bei den Sozialleistungen, Löhnen etc. in einen verschärften Wettbewerb zu treten. Der Kampf um Marktanteile wird daher zunächst die soziale und ökonomische Asymmetrie innerhalb der Union verstärken - um dann neue Verlierer und Gewinner zu produzieren.

Die Angst, zu den Verlierern zu gehören, hat schon bei der deutschen Währungsunion von 1990 zu einem starken Rechtsruck geführt: Im Westen erlebte der Wohlstandschauvinismus neue Höhenflüge, im Osten ein nationaler "Anti-Kapitalismus". Kaum einer ist besser geeignet, diese Stimmung in Euroland zu repräsentieren, als Schröder. Er hat bisher keinen Zweifel daran gelassen, welche Prioritäten für ihn in Europa gelten: Zuerst kommt die Deutschland AG, und dann lange nichts.

Großkotzig hat Schöder Ende 1998 diese Position auf dem EU-Gipfel in Wien präsentiert. Die ungleichen und ungerechten finanziellen Leistungen müßten endlich korrigiert werden, Deutschland dürfe nicht länger die Melkkuh der EU sein. Doch seine patriotischen Appelle verbrämen nur die simple Botschaft: Für Schröder gilt das Recht des Stärkeren.

Wer in der EU etwas zu sagen hat, zeigte sich im Clinch um Wim Duisenberg, dem deutschen Wunschkandidaten für die Europäische Zentralbank. Der EZB-Boß, der in vier Jahren das Amt seinen französischen Konkurrenten übergeben sollte, denkt nun nicht mehr daran, nach dieser Frist abzutreten. Und auch Schröders Melkkuh-Beschwörungen können nicht darüber hinwegtäuschen, daß vor allem Deutschland vom Euro profitieren wird. Schon jetzt bleiben rund 80 Prozent der deutschen Exporte innerhalb Europas; die EU-Ausgleichszahlungen tragen dazu bei, daß diese Rate weiter steigen wird. Ebenso wird die EU-Ost-Erweiterung zuallererst Deutschland zugute kommen.

Doch zugleich setzt Schröder mit seiner nationalistischen Politik nicht nur die weitere EU-Integration aufs Spiel. Er wird auch die Gegensätze zu Ost-Europa weiter verschärfen. Sein Populismus, der gleichzeitig auf nationale Werte und sozialen Ausgleich setzt, wird inzwischen von Rechtsradikalen ebenso wie von Linksnationalisten und einem Teil der 68er propagiert.

Der Lange Marsch der Sozialdemokraten scheint nun ausgerechnet über die europäische Integration in die Zielgerade einzulaufen: nicht in die vaterlandslose Gesellschaft, sondern ins nationale Lager.