Wem gehört die Prinzhorn-Sammlung?

Die Initiatoren einer Gedenkstätte für die Opfer der Euthanasie wollen die berühmte Sammlung des Heidelberger Psychiaters nach Berlin holen

Berlin, Tiergartenstraße 4: Früher stand hier eine alte Villa. Von dort aus koordinierten die Nationalsozialisten den Massenmord an Psychiatrie-Insassen, an Menschen, die als körperlich und geistig krank und damit als "lebensunwert" galten. In der sogenannten Aktion T-4 suchte man die zu tötenden Menschen aus und organisierte ihre Überführung in eine der berüchtigten Tötungsanstalten wie Grafeneck, Hadamar oder Brandenburg. Heute erinnert nur ein Kranz auf einer in den Boden eingelassenen Platte mit der Aufschrift "Ehre den vergessenen Opfern" an die Ermordeten.

Um den bisher kaum beachteten Opfern der Euthanasie zu gedenken, soll an dieser Stelle das Ausstellungs- und Dokumentationszentrum "Haus des Eigensinns" entstehen. Die InitiatorInnen dieses Vorhabens kommen aus dem Bundesverband und dem Landesverband der Psychiatrie-Erfahrenen (BPE/LPE) und der Berliner Irrenoffensive. Das Konzept für das Haus des Eigensinns sieht einen historischen Teil vor, in dem die nur wenig bekannte Aktion T-4 dokumentiert werden soll. Darüber hinaus soll die Gedenkstätte auch die Prinzhorn-Sammlung beherbergen. Diese einzigartige Sammlung umfaßt mehr als 5 000 Zeichnungen, Bilder, Skulpturen und Texte von Psychiatrie-Insassen, Werke, die der Heidelberger Psychiater Hans Prinzhorn in den Jahren zwischen 1910 und 1920 aus allen großen Psychiatrien Deutschlands und der Schweiz zusammengetragen hat.

Nach seinem Tod im Jahr 1933 verblieb die Sammlung in der Heidelberger Universitäts-Psychiatrie. 1937 wurden die Bilder innerhalb der Wanderausstellung "Entartete Kunst" gezeigt, wo man sie mit Werken der klassischen Moderne verglich. Die Ähnlichkeit gerade expressionistischer Bilder mit denen der Psychiatrie-Insassen galt den Nationalsozialisten als Beweis für die "Entartung" moderner Kunst.

Heute befindet sich die Prinzhorn-Sammlung noch immer im Besitz der Heidelberger Universitäts-Psychiatrie. Die InitiatorInnen des Hauses des Eigensinns kritisieren den Verbleib der Sammlung in Heidelberg und verweisen auf die aktive Beteiligung der dortigen Universitäts-Psychiatrie an der Euthanasie.

Die medizinische Abteilung der Berliner Euthanasie-Zentrale in der Tiergartenstraße 4 unterhielt zwei Forschungsstellen. Eine davon befand sich in der Heidelberger Universitäts-Psychiatrie und wurde von Professor Carl Schneider geleitet. Wie der Historiker Ernst Klee in seinem Buch "Dokumente zur Euthanasie" feststellte, arbeitete die Heidelberger Forschungsabteilung eng mit der Tötungsanstalt Eichberg zusammen. Die Heidelberger Forschungsabteilung, so Klee, "läßt sich besonders interessante 'Fälle' melden oder sucht sich die 'Forschungs-Objekte' selbst aus, läßt sie in die Kinderfachabteilung Eichberg verlegen und anschließend die Gehirne übersenden", um sie zu untersuchen.

Daß die Heidelberger Universitäts-Psychiatrie durch ihren Vertreter Carl Schneider eine wesentliche Funktion für der Euthanasie gehabt habe, delegitimiere die heutige Forschungsstätte als Besitzer der Prinzhorn-Sammlung, argumentiert die Berliner Initiative und fordert daher die Herausgabe der Bilder, die statt dessen in der Gedenkstätte in Tiergarten gezeigt werden sollen. Die Bilder würden hier in einem Museum ausgestellt, das von psychiatrieerfahrenen Menschen geleitet wird, sagt René Talbot, einer der Initiatoren der Gedenkstätte und Mitglied der Berliner Irrenoffensive.

Die Heidelberger Universitäts-Psychiatrie dagegen kann die Ansprüche der Berliner auf die Prinzhorn-Sammlung nicht nachvollziehen. Inge J‡di, die Kustodin der Sammlung, verweist insbesondere auf die problematische Argumentation, wonach Heidelberg sich als historisch belasteter Ort für die Sammlung diskreditiert habe, Berlin sich aber im selben Kontext als Ausstellungsort auszeichnen solle. In ihrer "Stellungnahme für den Standort Heidelberg" weist sie das Ansinnen, die Bilder in Berlin zu zeigen, zurück, hieße dies doch, die Exponate an einem Ort auszustellen, der, wie sie schreibt, "noch viel schrecklicher" gewesen sei als Heidelberg.

Nach Meinung des Berliner Projekts spricht für Berlin, daß sich in der Tiergartenstraße 4 die Zentrale der Euthanasie-Aktion befand. Es sei notwendig, an dieser Stelle an das Geschehen zu erinnern, sagt auch der Freundeskreis des Hauses des Eigensinns, eine Initiative, zu der u.a. Ellis Huber, Walter Jens, Henry Friedländer und Norbert Kampe gehören. Sie unterstützen das Vorhaben, eine Gedenkstätte für die Opfer der Euthanasie zu errichten.

Im Haus des Eigensinns sollten, so Ellis Huber gegenüber Jungle World, Werke der Prinzhorn-Sammlung gezeigt werden, um sichtbar zu machen, "welchen Wert und welchen Sinn 'Verrückte' für unsere Gesellschaft haben". Der Freundeskreis plädiert jedoch im Unterschied zu den Initiatoren der Gedenkstätte nicht für eine Herausgabe der Sammlung, sondern favorisiert eine Kooperation mit der Heidelberger Universität. Lediglich Teile der Sammlung sollten nach Vorstellungen von Huber für die Berliner Gedenkstätte zur Verfügung gestellt werden.

Eine solche Kooperation könne, so Huber, sehr produktiv sein, denn Berlin habe aufgrund seiner sozialen Bewegungen einen anderen kulturellen Hintergrund als Heidelberg.

Dieser unterschiedliche Background zeige sich in der explizit antipsychiatrischen Konzeption des Hauses des Eigensinns. Hier, so René Talbot, wolle man die Werke der Prinzhorn-Sammlung in einen Kontext stellen, der aufzeigen könne, was Psychiatrie für die Betroffenen und die Gesellschaft bedeutet habe und noch immer bedeute.

Allerdings hat die Heidelberger Universitäts-Psychiatrie nicht vor, die Bilder abzugeben. Auch der vom Freundeskreis vorgeschlagenen Zusammenarbeit steht man ablehnend gegenüber. Inge J‡di verweist in der "Stellungnahme für den Standort Heidelberg" auf ein Angebot für ein gemeinsames Ausstellungs- und Dokumentationsprojekt, das Heidelberg gegenüber dem Freundeskreis und dem Haus des Eigensinns bereits unterbreitet habe. Es sei aber ignoriert worden.

Ellis Huber behauptet dagegen, Heidelberg sei nicht kooperationsbereit. Als Grund vermutet er, man habe "Angst, daß die Berliner freier, tabuloser und offener mit der Vergangenheit umgehen" könnten als die Heidelberger.

Wie man dort mit der eigenen Geschichte verfährt, kann wohl erst im Jahr 2000 begutachtet werden, wenn das Museum eröffnet wird, das derzeit innerhalb der Universitäts-Psychiatrie entsteht. Hier soll die bisher kaum der Öffentlichkeit zugängliche Prinzhorn-Sammlung ausgestellt werden. In die Konzeption sollen auch Ergebnisse der an der Heidelberger Uni forschenden Arbeitsgruppe "Medizin im Nationalsozialismus" einfließen. Finanziert wird das Museum mit Mitteln aus dem baden-württembergischen Landeshaushalt.

So weit wie das Heidelberger Museum ist das Berliner Haus des Eigensinns noch nicht. Bisher gibt es lediglich inhaltliche Konzepte, architektonische Entwürfe für das noch zu realisierende Gebäude und 1,75 Millionen Mark, die ein anonymer Spender dem Projekt zur Verfügung gestellt hat. Die Initiatoren verhandeln derzeit noch mit dem Senat.