Der Elektro-Troll

Zum ersten Mal seit 60 Jahren steigt Norwegen wieder in die Automobilproduktion ein - mit einem E-Mobil

"Ich habe den Wagen über Weihnachten gefahren und mich sofort darin verliebt!" erklärte Fordchef Jack Nasser Anfang Januar auf einer Pressekonferenz während der Automobilausstellung in Chicago über das von der norwegischen Firma Pivco Norden entwickelte Auto "Th!nk". Dabei gibt es die norwegische Autoindustrie eigentlich schon seit den dreißiger Jahren nicht mehr, als die Produktion der aus Holz gefertigten und mit Skiern versehenen Marke "Troll" aus Rentabilitätsgründen eingestellt worden war.

Insgesamt geht es der skandinavischen Autoindustrie derzeit nicht besonders gut. Volvo, weltweit einziges Unternehmen, das nicht mit einem der Branchenriesen kooperiert, meldet zwar regelmäßig gute Verkaufszahlen und ist fest im Markt etabliert, hat aber kein Geld für Neuentwicklungen und mußte sich deshalb einen finanzstarken Partner suchen. Diesen scheint Volvo vergangene Woche nun in dem schwedischen Nutzfahrzeughersteller Scania gefunden zu haben. Eine Fusion der beiden Unternehmen würde den neuen Konzern zum größten Lkw- und Bushersteller in Europa und zweitgrößten der Welt nach DaimlerChrysler machen.

Daß ausgerechnet zu diesem Zeitpunkt Norweger - mit Hilfe des zweitgrößten Automobilkonzerns der Welt, Ford, der 51 Prozent der den Angestellten und dem Firmengründer gehörenden Pivco-Aktien erwarb - wieder in die serielle Automobilproduktion einsteigen, macht das Ganze natürlich doppelt schön, zumal die internationale Beachtung der Kooperations-Pressekonferenz ungewöhnlich groß war. Das Ereignis wurde jedoch nicht nur von zehn US-amerikanischen und drei japanischen Fernsehsendern, sondern auch von den Beschäftigten der Herstellerfirma gespannt verfolgt.

Denn im November hatte die Firma Pivco Norden ihren Konkurs erklärt - die Angestellten um Firmengründer Jan Otto Ringdal arbeiteten trotzdem in den nächsten Monaten ohne Lohn weiter -, noch bevor sie ihre umgerechnet 60 Millionen Mark teure Entwicklung, das Elektroauto "Th!nk" (ursprünglich hieß es auf norwegisch "Tenk!"), der Öffentlichkeit vorstellen konnte. Das Kapital, das Pivco dringend benötigte, um mit der Serienproduktion beginnen zu können, konnte nicht aufgetrieben werden.

Der Markt für elektrisch betriebene Autos ist schließlich begrenzt. Die Reichweite von E-Mobilen beträgt nur ungefähr 100 Kilometer und das Aufladen ist schwierig, weswegen sie allenfalls als Zweitwagen genutzt werden können. Dabei ist der Gedanke, elektrisch betriebene Autos zu bauen, nicht besonders neu. Schon die ersten 1 880 konstruierten Kraftfahrzeuge waren mit Elektroantrieb ausgestattet. Die Diesel- und Ottomotor-betriebene Konkurrenz setzte sich jedoch schnell durch, erst nach den Ölkrisen in den siebziger Jahren beschäftigte man sich wieder mit dem Elektroantrieb. Der Einstieg von Ford in die E-Mobil-Fertigung wird nun als Signal gesehen, daß diese Wagen zunehmend auch für die Automobilindustrie interessant werden.

Immerhin hatte eine Umfrage des norwegischen Statistischen Zentralbüros ergeben, daß sich besonders Besserverdienende für Elektroautos interessieren. Vor allem in Großstädten lebende Frauen, die in kreativen Berufen arbeiten, männliche Singles mit überdurchschnittlichem Einkommen und Firmen, die sich von E-Mobilen ein besseres, umweltfreundliches Image versprechen, kommen als Käufer in Frage.

Der voll recyclebare, getriebelose "Th!nk", der mit maximal 100 Stundenkilometern und "zwei Sitzen plus Platz für zwei Kästen Bier" (Dagbladet) sowieso am besten zum innerstädtischen Einsatz taugt, könnte allerdings auch aus einem anderen Grund, zumindest in Skandinavien, zum Erfolg werden. Stockholm, Stavanger und Oslo sollen langfristig zu den europäischen Städten werden, in denen E-Mobile am stärksten verbreitet sind.

Dazu plant man in den beiden norwegischen Städten, nach Angaben der Zeitung Dagbladet besondere Vergünstigungen für die Elektro-Fahrer einzuführen: die zentralen Parkplätze sollen ihnen zu verbilligten Gebühren reserviert werden, die innerstädtischen Mautzahlungen entfallen, gleichzeitig werden die Wagenhalter von den Kfz-Steuern befreit. Eine sich eigens mit diesem Thema beschäftigende skandinavische Städte-Konferenz wird von den jeweiligen Umweltschutzbeauftragten bereits geplant.

Im norwegischen Aurskog wird nun so bald wie möglich mit der Produktion begonnen werden, 5 000 Autos sollen dort jährlich für den norwegischen Markt hergestellt und über die Firma Pivco distribuiert werden. In diesem Jahr hofft man, mindestens 1 500 E-Mobile fertigen zu können, was die Nachfrage auf keinen Fall befriedigen wird: 500 wurden bereits in den ersten Tagen nach Bekanntwerden des Ford-Engagements vorbestellt. Nicht nur von Privatleuten, auch die Post, Elektrizitätswerke, Kurierfirmen und die norwegische Eisenbahn interessieren sich für den Wagen.

Diese plötzliche Nachfrage der Staatsunternehmen, ebenso wie die begeisterten Kommentare von Politikern wie Staatsminister Kjell Magne Bondevik führten in den Medien jedoch zu ironischen Kommentaren. "Wir verstehen gut, daß der Wirtschaftsminister und die anderen führenden Köpfe der Venstrepartei sich jetzt gerne im Erfolg (...) sonnen möchten. Gunnar Knudsen hatte sich schließlich vorher genug darüber ärgern müssen, ihn ausländischen Kapitalisten überlassen zu müssen, aber das Kapital hat keine spezielle Muttersprache. Man braucht es nur, um gewisse Entwicklungen in Gang zu setzen", schrieb beispielsweise Dagbladet und wies darauf hin, daß Pivcos Finanzprobleme vor dem Einstieg von Ford niemanden interessiert hatten und der "Th!nk" als ökologisches Symbol der Regierung erst danach entdeckt wurde.

Ringdal hatte damals zunächst auf Unterstützung staatlicher Stellen gehofft, war aber dort abgeblitzt. Der Ärger der norwegischen Regierungspolitiker über die verpaßte Chance ist nun groß - zumal sich jetzt schon abzeichnet, daß der Wagen zwar ein Nischenprodukt sein wird, aber eins, das Geld verdienen kann. Überdies ist der "Th!nk" das bislang einzige Elektro-Auto, das den EU-Richtlinien entspricht.

Und in Aurskog wird man es, wie bei anderen Autoherstellern auch, nicht bei einem Produkt belassen. Demnächst will man dort einen größeren "Th!nk" für die speziellen Bedürfnisse der US-amerikanischen Autofahrer entwickeln, der ab dem Jahr 2000 in Kalifornien gefertigt und über Fordhändler vertrieben werden soll. Das Auto werde wohl soviel wie ein VW Golf kosten, erklärte Nasser. "Th!nk"-Fabriken können vor Ort schnell errichtet werden und so für die heimische Bevölkerung fertigen. Lange Lieferwege entfallen, während die Entwicklungsabteilung weiterhin in Norwegen bleibt.

"Die Zusammenarbeit mit Ford wird den Markt in Richtung eines Spezialangebots an Stadtautos erweitern", glaubt "Th!nk"-Erfinder Ringdal, ein Angebot, das langfristig nicht nur für die reichen Industrieländer interessant sein könnte, da in einigen Jahren steigende weltweite Verkaufszahlen zu einer Verbilligung des Produktes führen könnte.

Die norwegische Umweltschutzorganisation Belona stellte in einer Untersuchung zudem fest, daß selbst aus veralteten dänischen Kohlekraftwerken stammender Strom als Antrieb für die E-Mobile den CO2-Ausstoß noch um 20 Prozent verringern werde. Dabei sei es viel einfacher, den Abgasausstoß von Kohlekraftwerken zu verringern als den von mit fossilen Brennstoffen angetriebenen privaten Pkw. Vielleicht, so glaubt man, könne man mit seriell gefertigten Elektroautos auch das Problem der Massenmobilisierung in den Griff bekommen.