Prügel für die kleinen Wilden

Nach den Riots fordert Frankreichs Innenminister eine drastische Verschärfung des Jugendstrafrechts

Seit einigen Tagen hat Frankreichs Innenpolitik einen neuen Helden: Jean-Pierre Chevènement, Innenminister und Chef des "Mouvement des citoyens" ("Bewegung der Staatsbürger"), einer linksnationalistischen Abspaltung der französischen Sozialdemokratie. Nach mehreren Monaten der politischen Abstinenz - Chevènement mußte sich von einem Narkoseunfall erholen - hat er Anfang Januar sein Amt wieder übernommen. Er kam gerade rechtzeitig, um bei den aktuellen Auseinandersetzungen in Sachen Law and Order kräftig mitzumischen - und sich als einer der wichtigsten Politiker der Regierung zu profilieren.

Denn seit dem Jahreswechsel ist die "Innere Sicherheit" zum Top-Thema der französischen Innenpolitik avanciert. Der Hintergrund: Staatspräsident Jacques Chirac, der nach seinem Mißerfolg bei den vorgezogenen Neuwahlen im Frühjahr 1997 lange Zeit politisch schwer angeschlagen war und sich mit einer Regierungsmehrheit aus dem gegnerischen politischen Lager arrangieren muß, geht wieder auf Konfrontationskurs zur Linkskoalition. Bei seiner Neujahrsansprache und erneut vier Tage später wählte Chirac das populäre Thema für seine Angriffe aus. Er klagte lautstark, die Situation insbesondere in den Banlieues sei "sehr beunruhigend", um weiter festzustellen: "Die Sicherheit von Personen und Gütern ist zweifellos die erste Erwartung der Franzosen gegenüber der Staatsmacht."

Die Rede spielte damit auf Riots in Toulouse von Anfang Dezember an, wo zuvor ein Immigrantensohn von der Polizei erschossen worden war, sowie auf die erneuten Unruhen in der Silvesternacht in den Strasbourger Vorstädten.

Ermutigt durch Premier Lionel Jospin begann Chevènement, mit Chirac und der Rechtsopposition auf dem Gebiet der "Inneren Sicherheit" zu wetteifern. Nach zwei vergeblichen Anläufen seit 1997 versuchte er nun erneut, bestimmte gesetzliche Bestimmungen zu verschärfen, über die er hinter den Kulissen mit der sozialistischen Justizministerin Elisabeth Guigou streitet. Chevènement will die Verordnung zur Jugendgerichtsbarkeit aus dem Jahr 1945 ändern, an der die Justizministerin hingegen festhält.

Die Verordnung sieht eine doppelte Aufgabe für die Jugendrichter vor - sie sind demnach sowohl für "gefährdete" wie auch für bereits straffällig gewordene Jugendliche zuständig und sollen zugleich eine pädagogische und eine repressive Funktion erfüllen.

Chevènement ist nun der Ansicht, daß dieses "Durcheinander von Funktionen" straffällige Jugendliche daran hindere, eine "klare Orientierung" zu erlangen. Er fordert daher die Einführung eines Jugendstrafrichters mit rein repressiver Funktion. Die randalierenden Jugendlichen in den Trabantenstädten seien schließlich "kleine Wilde", die "eine Tracht Prügel" verdient hätten.

Premierminister Jospin beeilte sich vergangene Woche, die eingeschlagene Richtung zu bestätigen, und erklärte in einem Interview mit Le Monde: "Der Kampf gegen die Unsicherheit ist nach den Arbeitsplätzen die zweite Priorität (der Regierung) im Jahr 1999." Zwar habe die Jugendkriminalität - die vor allem in den Banlieues ansteigt - zunächst soziale Ursachen: "gravierende Phänomene einer schlechten Städtebaupolitik, Zerrüttung der Familien, soziales Elend". Er vergaß jedoch nicht hinzuzufügen: "Aber diese Ursachen bilden dennoch keine Entschuldigung für strafbare Handlungen. Man darf Soziologie und Gesetz nicht miteinander verwechseln. Jeder ist für seine Taten selbst verantwortlich."

In einem Interview mit der Regionalzeitung L'Est républicain ging Innenminister Chevènement daraufhin noch einen Schritt weiter und forderte, den Eltern wiederholt straffällig gewordener Jugendlicher künftig die Sozialleistungen zu sperren.

Der Vorschlag jedoch konnte seinen Regierungschef nicht begeistern. Bei einem Fernsehauftritt erklärte Jospin, diese Maßnahme könne in Familien mit großen sozialen Schwierigkeiten die Probleme nur verschärfen.

Ein anderes Anliegen Chevènements scheint allerdings mehr Erfolg zu haben: Der Innenminister hatte sich für Arrestzentren für junge Straftäter ausgesprochen. Die derzeitige Gesetzeslage, die es untersagt, Jugendliche zwischen 13 und 16 Jahren in Untersuchungshaft zu stecken, sei zu revidieren.

Gefängnisse würden zwar mehr Kriminelle schaffen als Jugendlichen zu helfen, stellte Jospin dazu fest. Aber zugleich sprach er sich für die Idee geschlossener "Erziehungszentren" aus.