Palästina will Staat werden - aber wann?

Willkommener Aufschub

Der Mai soll's bringen: Den Israelis eine neue Regierung, den Palästinensern einen eigenen Staat. Doch so sicher in Israel am 17. Mai gewählt wird, so unsicher ist die Proklamation eines palästinensischen Staates 13 Tage zuvor. Oder umgekehrt: Als sicher kann gelten, daß es am 4. Mai keinen Staat geben wird, dem Yassir Arafat als politisches Oberhaupt vorsteht. Unsicher in Israel ist nur, wer die Wahlen gewinnen wird.

Aber dann geht's ja in Israel erst richtig los: Wer wird nach den Wahlen mit wem eine neue Regierung bilden? Netanjahus Likud zusammen mit der neuen Zentrumspartei? Oder die mit der Arbeitspartei? Gar alle drei großen Parteien zusammen? Wo bleiben die rechten und nationalreligiösen Parteien? Und welche Auswirkunkungen hätten die verschiedenen Konstellationen auf den Friedensprozeß mit den Palästinensern? Ab Mitte Mai wird in Israel alles unsicher.

Als sicher hingegen kann bis zu diesem Zeitpunkt die Strategie der Palästinensischen Autonomiebehörde gelten. Bloß keinen eigenen Staat vor den Wahlen in Israel ausrufen. Denn das könnte Netanjahu und der Rechten helfen, die Wahlen doch noch zu gewinnen. Die "Sicherheitspolitik" genannte Dauerverzögerung der Absprachen von Oslo und Wye-Plantation hätte ebenso Erfolg gehabt wie die taktische Ansetzung der Wahl durch Netanjahu auf einen Termin nach dem 4. Mai.

Eine Proklamation des Staates Palästina würde aber auch, wie von Netanjahu immer wieder angekündigt, die Eingliederung der von Israel besetzten Gebiete in das israelische Staatsgebiet nach sich ziehen. Für Arafat hieße das: Viele Stücke aus dem Flickenteppich zwischen Nablus und Hebron, Gaza und Ramallah wären kurz- bis mittelfristig für das Konzept Staatlichkeit durch Autonomie verloren. Und mit dem Rest wäre nicht mal mehr ein bißchen Staat zu machen.

Vorbei wäre es erst recht mit der teuer erkauften Zurückhaltung des islamistischen Palästinenser-Flügels, der wieder einmal sofort und brutal auf die Juden losgehen würde: Umsonst also die fristgerechte Freilassung von Hamas-Gründer Scheich Ahmed Jassin, die allein der gelungenen Erpressung der Autonomiebehörde durch die Hamas geschuldet war; vergeblich der Versuch, auch die anderen islamistischen Schlächterfraktionen durch Freilassungen von deren Inhaftierten am Ende des Ramadans - Anfang letzter Woche - zu besänftigen.

Um weiter zu besänftigen, muß am 4. Mai aber wenigstens etwas passieren: Zum Beispiel eine feierliche Erklärung, daß die Übergangsperiode nach dem Osloer Abkommen beendet und die darin festgelegte Selbstbeschränkung nun hinfällig sei. Diese in den letzten Wochen von Mitgliedern des palästinensischen Legislativrats immer wieder vorgetragene Forderung bleibt aber bewußt undeutlich.

Denn eine aufgehobene Selbstbeschränkung kann unterschiedlich interpretiert werden: Als Offensive heißt "keine Selbstbeschränkung" gleichzeitig, keine Rücksichten mehr auf Israels Forderung nach Sicherheitsgarantien nehmen zu müssen: Das im Dezember neu formierte Anti-Israel-Bündnis aus islamistischen und laizistischen Judenfeinden könnte von der Kette gelassen werden.

Die Mittel dafür wären denkbar einfach. Entweder läßt sich die Autonomiebehörde auf die Erpressungen der Islamisten nicht mehr ein und behält alle Hizbollah-, Hamas- und Jihad-Aktivisten hinter Gittern. Oder sie läßt alle auf einmal frei und verzichtet auf weitere Integrationsangebote. Beides käme der Aufforderung gleich: Faßt!

Aber auch defensiv läßt sich der Vorschlag der Legislativräte lesen. Als Versuch, mehr und neue Bündnispartner für eine spätere, also aufgeschobene Staatsgründung zu gewinnen; die USA wären wohl zum 1. Januar 2000 ebenso dabei wie Frankreich und Teile der israelischen Noch-Opposition - allen voran Shimon Peres, der einen ökonomisch von Israel abhängigen Palästinenser-Staat schon jetzt kaum noch erwarten kann.

Mit der Festlegung der israelischen Wahl auf einen Termin im Mai - um so die palästinensische Staatsgründung zu verhindern -, scheint Netanjahu ungewollt den Palästinensern einen Gefallen getan zu haben: Der Pali-Staat zur Jahrtausendwende - was für ein Spektakel.