Die Kraft der zwei Herzen

Deutschlands doppelte Präsidentschaft in EU und WEU soll Europa einer gemeinsamen Interventionsarmee näherbringen

Soviel Macht auf einmal hat es in der Geschichte der EU noch nie gegeben. Die Bundesregierung hat mit Beginn des Jahres nicht nur die Präsidentschaft im Europäischen Rat übernommen, sondern zeitgleich auch den Vorsitz in der Westeuropäischen Union (WEU). Die doppelte Präsidentschaft soll die möglichst effiziente Umsetzung der im Amsterdamer Vertrag der EU festgelegten Beschlüsse zur Ausgestaltung einer "Europäischen Sicherheits- und Verteidigungsidentität" (EVSI) ermöglichen.

Seit dem 1. Januar hat die rot-grüne Regierung daher die Aufgabe, die Integration der WEU in die EU und damit die Schaffung einer europäischen Interventionsarmee vorzubereiten. Bundesaußenminister Fischer kündigte vergangene Woche auch prompt an, sich mit Nachdruck für die Schaffung einer europäischen Sicherheits- und Verteidigungsidentität einzusetzen.

Doch damit steht er erneut im Gegensatz zu den Beschlüssen seiner Partei. Im Entwurf zum Europawahlprogramm 1999 hat die bündnisgrüne Basis betont, daß sie die Entwicklung einer europäischen Militärpolitik durch die Integration der WEU strikt ablehnt. Schließlich habe gerade die bisherige Trennung des Zivilen und des Militärischen der gemeinsamen Außenpolitik Europas die große Chance geboten, die EU als zivile Macht in der internationalen Politik zu stärken.

In ihrem Programmentwurf haben die Grünen den Punkt klar benannt, den Außenminister Fischer noch immer nicht sehen will: Die bündnisgrüne Forderung nach einer Stärkung der OSZE als gewaltfreie Konfliktlösungsinstanz in Europa ist mit der Europapolitik, für die er in der Regierungsverantwortung steht, sicherlich nicht vereinbar.

Der erste Schritte zu einer Anbindung der WEU an die EU begannen bereits im Jahre 1991 mit der Unterzeichnung des Maastrichter Vertrages. Vor allem Deutschland und Frankreich drängten darauf, daß sich das Projekt Europa mit dem Ende der Blockkonfrontation und der Gründung des europäischen Binnenmarktes von der engen Nato-Bindung seiner Mitgliedsstaaten befreien und nicht nur wirtschaftliche, sondern vor allem auch militärische Handlungsfähigkeit erlangen sollte.

Im Vertragswerk von Maastricht wurde die WEU erstmalig als "integraler Bestandteil der Entwicklung der Europäischen Union" bezeichnet und der schrittweise Ausbau der Organisation zum militärischen Arm der EU angekündigt. Dieser Ausbau begann mit den "Petersberger Beschlüssen" im Jahre 1992. Sah das WEU-Statut in der Vergangenheit lediglich eine gemeinsame Beistandsverpflichtung seiner Mitgliedsstaaten vor, wurde auf dem Petersberg ein Aufgabenspektrum vereinbart, das, neben sogenannten humanitären Aufgaben, Rettungseinsätze, friedenserhaltende Aufgaben sowie Kampfeinsätze bei der Krisenbewältigung einschließlich friedensschaffender Maßnahmen beinhaltet.

Die WEU sollte als reines Verteidigungsbündnis aus dem Schatten der Nato treten und sich zu einer militärisch handlungsfähigen Interventionsarmee der Europäischen Union entwickeln. Was blieb, war die Frage nach einer möglichen Emanzipation Europas von der militärisch übermächtigen Nato, durch welche die meisten EU-Mitgliedstaaten nicht nur politisch, sondern vor allem auch militärisch an den transatlantischen Partner USA gebunden waren.

Eine Ausweitung der militärischen Handlungsfähigkeit der EU war jedoch ohne Rückgriff auf Nato-Kriegsmaterial undenkbar. Auch hatten einige EU-Mitgliedstaaten, allen voran Großbritannien, wegen der Bündnistreue zur USA politische Bedenken.

Unter dem Slogan "Stärkung des europäischen Pfeilers in der Nato" begann die Suche nach der eigenständigen militärischen Handlungsfähigkeit bei gleichzeitiger Bindung an die Nato und Rückgriff auf deren Ressourcen. Als Lösung vereinbarten EU und USA ein Modell, wonach die WEU künftig "getrennt, aber nicht trennbar" von der Nato operieren dürfe. Im Einsatzfall kann sie auf Nato-Ressourcen zurückgreifen, wenn die USA sich nicht militärisch an der geplanten Operation beteiligen wollen. Das Oberkommando verbleibt aber bei der Nato und damit unter Kontrolle der USA.

Mit der Amsterdamer Weiterentwicklung des Maastrichter Vertrages ist die EU der gemeinsamen militärischen Handlungsfähigkeit erheblich näher gekommen, zumindest innerhalb der von den USA aufgezeigten Grenzen. In dem 1997 unterzeichneten Vertrag vereinbarten die Mitgliedsstaaten die notwendigen Regelungen, durch die eine gemeinsame militärische Intervention der EU zumindest theoretisch möglich wird.

So wurde die schrittweise Integration der WEU in die EU ausdrücklich im Vertragstext angekündigt, die Praxis der Doppelpräsidentschaft ist dabei ein entscheidender Schritt zu ihrer Verwirklichung. Ebenso wurden die Petersberger Beschlüsse als außenpolitische Handlungsoption in den Vertrag aufgenommen und die Leitlinienkompetenz des Europäischen Rates auf die WEU ausgeweitet. Damit haben sich die Staats- und Regierungschefs der EU die Möglichkeit eröffnet, die WEU in Zukunft als militärischen Arm der Union für Aufgaben einzusetzen, die im Rahmen der gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik als gemeinsame Interessen der Mitgliedsstaaten definiert werden. Und auf deutsche Initiative hin wurde im Jahre 1997 die "operationelle Handlungsfähigkeit" der WEU durch einen eigens eingerichteten WEU-Militärstab, noch weiter gestärkt.

Außerdem wurde in Amsterdam die Einrichtung eines Militärausschußes beschlossen, der dem Rat unterstehen soll - und damit wurde eine weitere Koppelung der politischen Entscheidungen der Union mit der militärischen Exekutive vollzogen.

Die Hausaufgaben für die rot-grüne Doppelpräsidentschaft sind damit bereits gestellt. Fraglich bleibt, ob die neue Bundesregierung dieses Zwanges überhaupt bedarf, schließlich hat sie ihre Bereitschaft zur Weiterführung der europäischen Militärpolitik bereits im Koalitionsvertrag angekündigt. SPD und Bündnis 90/Die Grünen haben hier gemeinsam ihre Entschlossenheit festgelegt, "die im Amsterdamer Vertrag geschaffenen Instrumente und Mechanismen zu nutzen, um die EU auf dem Feld der internationalen Politik handlungsfähig zu machen und die gemeinsame Vertretung europäischer Interessen voranzutreiben."

So verwundert es nicht, daß die Bundesregierung in ihren Reden zur bundesdeutschen Doppelpräsidentschaft Geschlossenheit beweisen kann. Der Staatsminister im Auswärtigen Amt Günter Verheugen sieht die Ziele der deutschen WEU-Präsidentschaft im Gleichklang mit den Anforderungen des Amsterdamer Vertrages: Deutschland werde "die Parameter der europäischen Berufung der WEU weiter entwickeln, ihre Heranführung an die EU fortentwickeln und die operationellen Fähigkeiten der WEU durch eine weitere Verzahnung mit der Nato stärken."