Leni bei den Emmas

Wie Alice Schwarzer mit Leni Riefenstahl ins Gespräch kam

Daß Alice Schwarzers Altersweisheit seit Jahren der von Rudolf Augstein in nichts nachsteht, ist bekannt. Daß es für einschlägige linke Periodika nur noch langweilig sein kann, die jeweils neueste Emma nach Spuren der jeweils neuesten Enthüllung zu untersuchen, ebenso.

Aber wenn man durch Zufall auf deren Titelbild eine Riefenstahl erblickt, die einen angrinst - muß man das Heft 1/1999, das ein Gespräch von Alice und Leni ankündigt, nicht doch kaufen, selbst wenn es die im Bekanntenkreis ungläubig bestaunten 11 Mark 80 kostet? Und wenn das Ergebnis noch alles übertrifft, was man als regelmäßiger Leser von Gremlizas "express" eh schon befürchtete, muß man da nicht doch sich zu Wort melden? Man muß wohl, sonst gibt's bloß wieder Magenprobleme.

Schwarzer inszeniert in ihrem Riefenstahl-Porträt Vergangenheitsbewältigung als Kaffeeklatsch - ein Kondensat standardisierter wie höchst origineller Entschuldigungsmythen, zusammengehalten weniger durch innere Logik als durch klebrigstes Gemenschel über Arbeit und Liebe, das es schwer macht, einen Satz zu finden, der nicht zitierenswert wäre. Beginnen wir mit dem Titel: "Leni Riefenstahl - Künstlerin oder Propagandistin?" Um diese dümmste aller Fragestellungen, die in der seit 50 Jahren nicht klüger gewordenen deutschen Riefenstahl-Debatte gestellt wird, geht es allerdings nur auf den nächsten (textfreien) drei Seiten, auf denen schon die Antwort geliefert wird: Hübsche, bunte, kommentarlos aneinandergereihte Fotos von Korallen und drolligen Nuba-NegerInnen, von Leni aufgenommen.

Wo ist denn da, bitte schön, die Politik? Na also. Nun kann sich Schwarzer, von der Auseinandersetzung mit dem Werk befreit, geruhsam dem Menschen widmen, "in diesem Fall noch einem weiblichen dazu, also bescheiden und verbindlich im Auftritt". Und sie gibt sich das ganze Programm - wie vorgesehen beginnend mit "altersloser Vitalität und Präsenz", dann schwere Kindheit, mit Vater als "Familientyrann", schöne Zeit als Ausdruckstänzerin, das "mörderische Zwischenspiel des Tausendjährigen Reiches", ohne das "die Riefenstahl-Euphorie heutzutage vermutlich noch viel weiter gehen" würde, der Tonmann, der "immer 'ausgerechnet dann mit mir schlafen [wollte], wenn ich 150prozentig mit meiner Arbeit beschäftigt war'", Entnazifizierung und "Hatz", die sie, mit Zwischenstation Psychiatrische Klinik, schließlich nach Afrika und in den Ozean trieb, und natürlich die "Anerkennung im Ausland", ohne die sie es "gar nicht durchgehalten" hätte. Deutlich mehr, als man wissen wollte, und deutlich weniger, als es zu wissen gibt.

Daß sie nichts von Kunst versteht, macht Schwarzer eingangs klar: Hätten die Kommunisten 1933 die Macht bekommen, wäre Riefenstahl "neben Sergej Eisenstein eine Ikone der roten Filmkunst geworden", plappert sie, ohne Argument am Material, antitotalitären Common sense nach. (Noch ahnt sie nicht, daß sie später im Artikel nachweisen wird, daß die Linken nicht aus politischen, sondern aus frauenfeindlichen Gründen die "Qualität der Arbeit (...) erschüttern" wollen; schade um Riefenstahls schönen ZK-Film "Panzerkreuzer des Willens".)

Dafür versteht Schwarzer um so mehr vom "Verhängnis der Leni Riefenstahl": Natürlich, gähn, "ihr Glaube an die 'reine Kunst', an eine von Inhalten losgelöste Form"; mag auch Walter Benjamin sich die Finger wund geschrieben haben über Ästhetisierung der Politik, war ja schließlich bloß ein Typ. Dann, schon weniger gähn: "Denn als die Nazis an die Macht kamen, schwärmte Leni Riefenstahl für den Führer, wie Millionen andere Deutsche auch."

Das ist neu, das hat Zukunft - klar haben alle mitgemacht; aber das macht nicht mißtrauisch gegen alle, sondern entschuldigt die eine, die halt Pech hatte: "Nur bei ihr kam hinzu - der Führer schwärmte auch für Leni. (...) 70 Jahre Arbeit, davon drei Monate im Dienste Hitlers", nichts stimmt, alle Riefenstahl-Filme im NS wurden von der Partei (zumindest mit-)finanziert, "- und sie gilt lebenslang als Nazi-Künstlerin. Nach 1945 wurde sie zwar restlos 'entnazifiziert'" - mit einer kalten Dusche? - "aber trotzdem" - trotzdem! - "an den Pranger gestellt. Die Verfolgung dieser einen Frau" - man ahnt, welches Ticket gleich gezeigt wird - "wurde vor allem in Deutschland zu einer Hexenjagd" - deren Höhepunkt wohl die Veröffentlichung ihrer Nuba-Photos im stern und in zwei großen Bildbänden war - , "die bis heute andauert. Dabei hat die eine sich nicht mehr - aber auch nicht weniger - zuschulden kommen lassen als Millionen Deutsche ihrer Generation auch: ihre Faszination für den Führer, ihr Wegsehen bei den Opfern, ihre Verdrängung." Mehr nicht? Nicht schlecht, so pauken wir demnächst auch Rudolf Heß raus. Aber nein, der war ja keine tüchtige Frau.

Denn darauf bringt's Schwarzer: "Ist es, weil die angeblich besondere Schuld dieser Frau den Wahn der Millionen Männer verdeckt? Und spielt auch der Neid von Kollegen eine Rolle, die unter dem Vorwand der politischen Kritik eine professionell bedrohliche Kollegin demontieren wollen", mit anderen Worten: die Auschwitz zu gegenwärtigen patriarchalen Zwecken instrumentalisieren?

Flugs werden drei kulturschaffende Männer angeführt, die nach 1945 schnell wieder auf ihrem Posten waren, und eine kommunistische Tageszeitung, die 1946 eine Fotomontage von Riefenstahl in den Armen eines Mannes abdruckte, schon ist die antifeministische Verschwörung perfekt; sinniert die LeserIn aber noch, was die (unterschiedlich gewichtigen) Skandale eigentlich beweisen sollen, ist Alice schon wieder bei ihrem Superstar. "Triumph des Willens"? Ach was, bloß gedreht "in der Hoffnung, danach die Freiheit zu haben, 'nie mehr Filme für die Partei machen zu müssen'" - was interessieren da schon "Sieg des Glaubens", Riefenstahls erster NSDAP-Parteitagsfilm, und der Wehrmachtsfilm von 1935, "Tag der Freiheit"?

Schwarzer will ihr einfach alles glauben und geht dafür über Fakten wie über Leichen. "Wir schrieben das Jahr 1934. Noch gab es keine Kristallnacht, keinen Krieg, keine Konzentrationslager." Hätte es dieses Dingsda in Dachau beispielsweise nicht schon damals gegeben, würde aber auch noch kein Argument daraus. Dann war da noch die Geschichte mit den Statisten aus "Tiefland", aus dem KZ zwangsverpflichtete Zigeuner, die anschließend nach Auschwitz deportiert wurden. Daß Riefenstahl - sie hat, toll, "selbst in 'Tiefland' eine Zigeunerin gespielt" - sich gerichtlich bestätigen ließ, von Auschwitz nichts gewußt zu haben, wird erwähnt.

Daß dagegen Nina Gladitz, die den Fall dokumentarisch aufbereitete, in ihrem Rechtsstreit in allen anderen Punkten Recht bekommen hat, was Riefenstahls Beteiligung an Auswahl und Zwangsarbeitsbedingungen anging, dann doch lieber nicht - ist halt 'ne "Behauptung". Denn Schwarzer muß ihre Leni, die Leni Riefenstahl, die auch 1998 noch keine Ausstellung mit dem harmlosen Titel "Schönheit und Schuld" will, zur mutigen Vergangenheitsbewältigerin stilisieren. War Verdrängung eben noch die läßliche Sünde, die ihr bei schlechtem Willen anzuhängen wäre, so verstellt schon auf den nächsten Seiten "das ihr (von den Besatzern; L.Q.) angetane Unrecht" den Blick auf ihr eigenes; doch bevor man noch "Ach je" sagen kann, hat Leni auch schon aufgearbeitet: der Persönlichkeit Hitlers verfallen, das Dämonische zu spät erkannt, "doch das will niemand hören"; vielleicht ja, weil's die deutsche Ausrede von der Stange ist.

Zu allem Überfluß muß Schwarzer, die vorher (ausnahmsweise zu Recht) gegen die Sexualisierung der Schuld geschrieben hatte, gegen das Bild von "Hitler's girlfriend" noch die bizarre Mythologie von sexueller und politischer Reinheit nachzeichnen. Goebbels stellt "brutal" nach, Hitler "macht Plüschaugen", aber Leni bleibt die "gerade bei mächtigen Männern sehr Zurückhaltende". (Daß die persönliche Bindung an Hitler, die Riefenstahl immer behauptet, Schnickschnack ist und sie von der gesamten NSDAP-Spitze einschließlich Goebbels' bis 1945 protegiert wurde, läßt sich ohnehin überall nachlesen, selbst im Potsdamer Ausstellungskatalog.)

Voilˆ, ein Vorbild, endlich eine starke deutsche Frau - da ist doch die Affirmation doofdeutscher Verdrängungsmythologie ein geringer Preis. Endlich kann ein anderes Denkmal vom Sockel gestoßen werden, die Emigrantin Marlene Dietrich: "Dietrich, die 150prozentige Frau, und Riefenstahl, das Mischwesen". "Das Objekt und das Subjekt" stellt Schwarzer gegenüber, und wenn es dann weitergeht: "Die eine die Freundin der 'Untermenschen', und die andere die Komplizin der 'Herrenmenschen'", so stellt sich die Frage, ob das Nebenwirkung oder logisches Ziel des Subjektseins bzw. Objektseins ist.

Und, voilˆ, ein Film, für den der ganze Aufwand lohnte - das "Blaue Licht", Riefenstahls erster Film von 1932. Ein Naturkitschschinken mit Frauenopfer inklusive, in dem "die Niedrigkeit die Erhabenheit, das Materielle das Metaphysische besiegt", wie Schwarzer schreibt (nein, kritisch ist das nicht gemeint). Ohne die Hatz hätte der "zum Kultfilm der Frauenbewegung wie der Ökologiebewegung" werden können, und wieder sollten diese nicht etwa denunziert werden. Nicht mal, daß die Bilder "Hitler zum Träumen brachten", macht deren Komposition verdächtig.

Und, mal ganz ehrlich, müßte es das? War nicht der Faschismus eine unwiederbringliche Chance für tüchtige junge Frauen? "Auch Hitler ist (vom "Blauen Licht"; L.Q.) beeindruckt, nicht zuletzt, 'weil es ungewöhnlich ist, daß sich eine junge Frau gegen die Widerstände und den Geschmack der Filmindustrie durchzusetzen vermochte'." Demnächst in Emma: Hitler, der erste neue Mann.

Mit einer Frauensolidarität, die blind macht, hat das ganze nichts mehr zu tun. Im Rechtsstreit zwischen einer ehemals faschistischen und einer kritischen Dokumentarfilmerin schlägt sich Schwarzer, nur als Beispiel, begründungslos auf die Seite der ersteren.

Die Inszenierung der Geschlechterrollen in den Parteitagsfilmen mit Adolf Hitler Supermann und den sich hingebenden Massen (die fensteröffnenden Jungfrauen nicht zu vergessen), in den Olympiafilmen mit den geschlechtlich codierten Bewegungsabläufen, "stark" contra "sehnsuchtsvoll", in den Nuba-Fotos mit ihrem naturgegebenen Urpatriarchat, mit Kriegern und brünftigen Weibern, all diese Inszenierungen, von denen sich bloß Riefenstahl selbst, als technisch-neutrale Kupplerin hinter der Kamera, ausnimmt, interessieren Schwarzer nicht die Bohne.

Sie will nicht irgendeine Frau, sie will genau diese, und es ist ihr ein innerer Reichsparteitag. Und das Schlimme ist, daß eine neue Riefenstahl-Renaissance wohl wirklich ihren Ausgangspunkt bei den (ehemaligen) Alternativen nehmen wird. Dort wurde noch nie auf die Qualität eines Kunstwerks geschaut, wenn nur die beteiligten Körper, Geist und Seele o.k. waren. (Und irgendwie treffen sie sich schon da mit Riefenstahls Suche nach Reinheit.) Nur dort wird Kitsch so gewürdigt, nur dort läßt sich mit Leni so menscheln, nur dort freut man sich so an der Watte, mit dem sie ihren Körperpanzer umgibt.

Selbst Rechte halten sich mehr zurück: In den konservativen Zeitungen, ja, selbst in der Jungen Freiheit, findet sich nichts, zur Potsdamer Riefenstahl-Ausstellung, was so inhuman, antiaufklärerisch und auch noch sexistisch wäre wie der Dreck aus Emma.